Wiesbaden – Pneumokokken-Impfung für immunsupprimierte Patienten, Vitamin-D- und Knochendichtemessung nach Glukokortikoid-Therapie, keine Hämodialyse nach Kontrastmittelgabe, gelockerte HbA1c-Werte beim älteren Diabetiker, konsequente Therapie beim Nachweis von Candida spp.: Eine ganze Reihe von neuen „Klug entscheiden“-Empfehlungen sind jetzt auf dem 125. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) in Wiesbaden vorgestellt worden [1].
Die 12 Positiv-und Negativ-Empfehlungen im Einzelnen:
Inzidentalom der Nebenniere
Positivempfehlung: Eine zufällig entdeckte Raumforderung der Nebenniere (Inzidentalom) sollte endokrinologisch abgeklärt werden.
In den meisten Fällen (80%) handelt es sich bei Inzidentalomen um benigne Nebennierenadenome. Gelegentlich treten aber auch Hormon-produzierende Adenome (Aldosteronom, Phäochromozytom, autonome Kortisolproduktion) auf. Das Malignitätsrisiko nimmt mit der Größe der Raumforderung zu und liegt bei 2% (Größe < 4 cm) bis zu 25% (Größe > 6 cm).
Eine endokrinologische Abklärung ist deshalb notwendig. Die Prävalenz von Inzidentalomen liegt bei 3% im 50. Lebensjahr und bei bis zu 10% bei älteren Menschen. Besonders bei Menschen mit arterieller Hypertonie und einem Inzidentalom der Nebenniere sollte gezielt eine hormonelle Ursache ausgeschlossen werden. Diese Empfehlungen gab Prof. Dr. Jan Galle, Direktor der Klinik für Nephrologie am Klinikum Lüdenscheid.
Negativempfehlung: Wurde im CT eine Raumforderung als gutartiges Inzidentalom der Nebenniere eingestuft, (< 4 cm, < 10 Hounsfield Einheiten) ist eine weitere Bildgebung nicht gerechtfertigt.
In Verlaufsuntersuchungen mit mehr als 2.300 Patienten, bei denen ein als gutartig eingestuftes Inzidentalom diagnostiziert worden war, entpuppte sich keine der Raumforderung der Nebenniere schließlich als bösartig, so Galle. Patienten mit gutartigen Inzidalomen weiteren Follow-ups zu unterziehen, mache gesunde Personen zu kranken. Die Strahlenbelastung durch regelmäßige Kontroll-CTs sei nicht gerechtfertigt.
ACS-Abklärung bei Nierenkranken
Positivempfehlung: Bei Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz sollte bei entsprechenden Hinweisen ein akutes Koronarsyndrom (ACS) ausgeschlossen werden.
Patienten mit fortgeschrittener Nierenerkrankung (CKD) sind besonders gefährdet an einem kardialen Ereignis zu sterben. Aus Register- und Studiendaten, etwa der 4-D-Studie (Die Deutsche Diabetes Dialyse Studie) ist aber bekannt, dass bei Hämodialyse-Patienten ein ACS oft keine „klassischen“ Symptome zeigt. Daher ist die kardiologische Diagnostik für Patienten mit fortgeschrittener Nierenerkrankung besonders wichtig. Galles Rat daher: Selbst bei nur geringen eher unspezifischen ACS-Symptomen sollte bei Patienten mit fortgeschrittener CKD die Indikation zur kardiovaskulären Diagnostik großzügig gestellt werden.
Bei Kontrastmittel-Nephropathie keine Dialyse
Negativempfehlung: Werden zu Diagnosezwecken jodhaltige Kontrastmittel verabreicht, ist eine anschließende Hämodialyse zur Nephroprotektion kontraindiziert.
Die kontrastmittelinduzierte Nephropathie (KIN) nach Gabe jodhaltiger Kontrastmittel ist eine schwerwiegende Komplikation. Vor 2 Jahrzehnten war es noch allgemeine Praxis, bei Patienten mit stark eingeschränkter Nierenfunktion nach Exposition eine Dialyse durchzuführen mit dem Ziel, das potenziell nephrotoxische Kontrastmittel zu entfernen.
Studien haben aber gezeigt, dass selbst unmittelbar nach Kontrastmittel-Gabe durchgeführte Dialysen nicht nur nutzlos sind, sondern auch die Nierenfunktion weiter beeinträchtigen können. Deshalb ist eine Dialyse zur Elimination des Kontrastmittels als Schutzmaßnahme kontraindiziert.
Eine Ausnahme stellen größere Kontrastmittel-Mengen bei oligo-anurischen Patienten dar, bei denen aufgrund der osmotischen Wirksamkeit des KMs eine Volumenüberladung droht. Bei diesen Patienten ist die Volumenentfernung angezeigt.
Pneumokokken-Impfung für Gefährdete
Positivempfehlung: Patienten mit Immunsuppression, fortgeschrittener Leberzirrhose oder Niereninsuffizienz sollten eine sequenzielle Pneumokokken-Impfungen erhalten.
Pneumokokken sind die häufigsten Erreger der ambulant erworbenen Pneumonie (CAP). Die CAP weist eine hohe Letalität auf, sie liegt bei 70- bis 79-Jährigen bei 13% und bei 80- bis 89-Jährigen bei 19%. Immunsupprimierte Patienten haben – abhängig von der Art ihrer Immunsuppression – ein deutlich erhöhtes Risiko für schwere Pneumokokken-Infektionen. Das höchste Risiko besteht bei Asplenie.
Auch mit Immunsuppression assoziierte Komorbiditäten wie chronische Nieren-und Leberinsuffizienz und anatomisch bedingte Risiken (Liquorfistel oder Cochlea-Implantat) erhöhen das Risiko für eine Infektion mit Pneumokokken. Gerade diese Patienten sollten deshalb gegen Pneumokokken geimpft werden, erklärte Dr. Norma Jung von der Klinik für Innere Medizin der Universität Köln.
Die STIKO empfiehlt für diese Patienten seit 2016 die sequenzielle Pneumokokken-Impfung mit dem 13-valenten Konjugat-Impfstoff, gefolgt vom 23-valenten Polysaccharid-Impfstoff im Abstand von 6 bis 12 Monaten. Wurde mit dem Polysaccharid-Impfstoff begonnen, sollte im Abstand von einem Jahr der Konjugat-Impfstoff folgen, um eine bessere Impfantwort zu erreichen.
Blutstrom-Infektion mit Candida
Positivempfehlung: Beim Nachweis von Candida spp. in der Blutkultur sind eine konsequente Diagnostik und Therapie von großer Bedeutung.
Candida spp. verursachen häufig Blutstrom-Infektionen und sind mit einer Sterblichkeit von 30 bis 40% assoziiert. Relevant ist schon eine einzige positive Blutkultur mit Candida spp.
Aufgrund ihrer guten Wirksamkeit und ihres Nebenwirkungsprofils werden zur medikamentösen Therapie primär Echinocandine eingesetzt. Fluconazol ist dagegen keine verlässliche Erstlinien-Therapie.
Die Dauer der Therapie beträgt ab nachgewiesenem Ende der Candidämie mindestens 14 Tage. Das Ende der Candidämie wird durch die tägliche Blutkultur bis zum Nachweis der Negativität festgestellt. Innerhalb der Mindesttherapiedauer von 14 Tagen kann – bei Empfindlichkeit des Erregers und wenn sich der klinische Zustand des Patienten stabilisiert hat – auf Fluconazol oder Voriconazol umgestellt werden.
Zentraler Bestandteil der Therapie ist die Suche nach möglichen Quellen. Dazu gehöre die Entfernung von intravaskulären Kathetern, vor allem von zentralen Venenkathetern, betonte Jung.
ICD-Deaktivierung auf Patientenwunsch
Positivempfehlung: Eine Deaktivierung der Schockfunktionen eines ICDs, die ein einwilligungsfähiger Patient nach informierter Aufklärung verlangt, muss durchgeführt werden.
Eine Deaktivierung des ICDs ist unabhängig davon, in welcher Lebensphase sie eingefordert wird, ob die ICD-Behandlung weiterhin medizinisch indiziert ist und die Forderung ärztlichen Empfehlungen zuwiderläuft, und in welchem Kausalverhältnis sie zum möglichen Eintritt des Todes steht, stellte Jung klar.
In einer sterbenahen Situation oder in der unmittelbaren Sterbephase selbst entfällt meist die Indikation für die Aufrechterhaltung der ICD-Behandlung. Das ursprüngliche Therapieziel (einen plötzlichen Herztod zu überleben) tritt gegenüber dem potenziellen physischen und emotionalen Schaden einer Schockabgabe in den Hintergrund.
Vergleichbare Situationen zur Begrenzung der Therapie ergeben sich z.B. bei der Beendigung einer Intensivtherapie, einer Dialysebehandlung, einer Chemotherapie, der medikamentösen Dauertherapie oder der Gabe von künstlicher Nahrung oder Flüssigkeit am Lebensende.
Kortisontherapie und Knochenschutz
Positivempfehlung: Bei absehbar längerfristiger Glukokortikoid-Gabe (mehr als 3 Monate) sollte jeder Patient eine initiale Knochendichtemessung (DXA), eine Vitamin-D-Prophylaxe und ausreichende Kalziumzufuhr, ein moderates Muskeltraining und gegebenenfalls eine spezifische Osteoporose-Therapie erhalten.
Schon eine orale Glukokortikoid-Therapie mit mehr als 5 mg Prednisolon-Äquivalent täglich reduziert den Knochenmineralgehalt und erhöht das Frakturrisiko. Dies zeigt sich schon 3 bis 6 Monate nach Therapiebeginn und hält über die Dauer der Behandlung an. Bereits in diesem Zeitraum kann der Verlust der Knochendichte bei bis zu 27% liegen, machte Prof. Dr. Bimba F. Hoyer vom Universitätsklinikum Schleswig-Holstein Kiel deutlich.
Neben Anamnese und klinischem Befund wird deshalb eine Knochendichtemessung (DXA – LWS, Femur, Femurhals) empfohlen. Zur Risikoabschätzung sollte der DVO-Risikoscore verwendet werden.
Basistherapie ist die Zufuhr von 1.000 mg Kalzium täglich und 800 bis 1.000 IE Vitamin D. Eine Kalzium-Supplementation ist nur notwendig, wenn über die Nahrung zu wenig Kalzium aufgenommen wird. Generell liegt eine Indikation für eine medikamentöse Osteoporose-Therapie dann vor, wenn eine Glukokortikoid-Therapie in einer Dosis von mindestens 7,5 mg Prednisolon-Äquivalent täglich für mehr als 3 Monate geplant ist oder bereits besteht.
HbA1c-Wert für ältere Diabetiker
Positivempfehlung: Bei der Behandlung des Diabetes mellitus beim älteren Patienten (> 75 Jahre) soll die Zielgröße des HbA1c an die funktionellen Fähigkeiten des Patienten angepasst werden.
Bei niedrigen HbA1c-Werten sind ältere Patienten häufig durch Hypoglykämien gefährdet, die wiederum kognitive Defizite verursachen können. Die angestrebte Reduktion des Risikos für mikrovaskuläre Komplikationen bei Älteren ist aber aufgrund der langen Zeit bis zum Auftreten dieser Komplikationen weniger relevant.
Deshalb sollten die HbA1c-Zielbereiche bei Älteren in Abhängigkeit von den Zielen des Patienten und von seiner Lebenserwartung bestimmt werden:
wenig Begleiterkrankungen und ohne kognitive und funktionelle Einschränkungen, Lebenserwartung mehr als 15 Jahre: HbA1c-Zielbereich: 6,5 bis 7,5%.
sehr alte oder multimorbide Patienten oder kognitiv oder funktionell leicht eingeschränkt, Lebenserwartung unter 15 Jahre: HbA1c-Zielbereich: unter 8,0%
pflegeabhängige oder kognitiv stark eingeschränkte oder funktionell stark eingeschränkte Patienten, HbA1c-Zielbereich: unter 8,5%.
Frühmobilisation für ältere Klinik-Patienten
Positivempfehlung: Ältere Patienten sollen während ihres Krankenhausaufenthaltes früh mobilisiert werden.
Aufenthalte im Krankenhaus schaden der Mobilität: 65% der älteren Patienten, die vor ihrem Klinikaufenthalt selbständig gehen konnten, verlieren diese Fähigkeit während ihres Krankenhausaufenthaltes. Der Verlust der Gehfähigkeit erhöht die Sturzhäufigkeit, führt nicht selten ins Pflegeheim und erhöht den Reha-Bedarf.
Gehen während der Krankenhausbehandlung ist wichtig für den Erhalt der funktionellen Fähigkeiten des Patienten, betonte Hoyer. Ältere Patienten, die bereits während des Klinikaufenthaltes gehen, sind auch bei Entlassung gehfähig, können früher entlassen, bewältigen die Aktivitäten des täglichen Lebens besser und erholen sich nach Operationen schneller.
Chirurgische Patienten sollten deshalb am Tag nach der Operation mobilisiert werden und Patienten auf Intensivstationen innerhalb von 72 Stunden nach Aufnahme. Als Frühmobilisation gelten Maßnahmen am Patienten, die passive oder aktive Bewegungsübungen einleiten und/oder unterstützen und darauf abzielen, die Bewegungsfähigkeit zu fördern und/oder aufrechtzuerhalten.
Helicobacter-Diagnostik und Kontroll-Gastroskopie bei Ulkusblutung
Positivempfehlung: Bei gastroduodenaler Ulkusblutung soll bei vertretbarem Risiko bereits in der Notfallendoskopie eine bioptische Helicobacter-pylori-Diagnostik mittels Histologie erfolgen.
Gastroduodenale Ulzera sind häufig mit einer Helicobacter-pylori(H.p.)-Infektion assoziiert. Die Eradikation von H.p. senkt die Rezidivrate eines Ulcus duodeni auf 2%. Bei jedem Ulkuspatienten mit nachgewiesenem H.p. sollte deshalb eine Keimeliminierung erfolgen, stellte Prof. Dr. Herbert Koop, ehemaliger Chefarzt der Gastroenterologie am Helios Klinikum Berlin-Buch, klar.
Weil aber der Urease-Test bei gastrointestinalen Blutungen zum H.p.-Nachweis unzuverlässig ist, sollten möglichst schon bei der Notfall-Endoskopie Biopsien aus Antrum und Corpus zur histologischen H.p.-Diagnostik entnommen werden.
Negativempfehlung: Eine elektive Kontrollendoskopie innerhalb von 72 Stunden nach oberer gastrointestinaler Blutung soll nicht regelhaft durchgeführt werden.
Lange Zeit wurde empfohlen, bei oberer gastrointestinaler Blutung nach 24 Stunden eine Kontroll-Gastroskopie durchzuführen. Das galt besonders nach endoskopischer Blutstillung. Inzwischen sind aber Protonen-Pumpenhemmer (PPI) bei Ulkusblutungen Standard, auf eine generelle Kontroll-Gastroskopie kann deshalb verzichtet werden.
Indiziert ist eine endoskopische Kontrolle nur bei Zeichen einer Rezidivblutung, bei schwieriger Blutstillung (z.B. Clip suboptimal gesetzt), bei hämodynamischen Hinweisen auf eine inkomplette Blutstillung und bei anderen klinischen Indizien für eine anhaltende bzw. rezidivierende Blutung.
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Diesen Artikel so zitieren: Vom Tun und Bleibenlassen in der Inneren Medizin: 12 neue Choosing-Wisely-Empfehlungen - Medscape - 10. Mai 2019.
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