Wiesbaden – Eine Zukunft ohne Diabetes – das könnte Realität werden durch eine gezielte und personalisierte Prävention, verkündeten Experten des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung (DZD) auf dem 125. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) [1].
„Die Exzessmortalität bei Diabetes ist hoch, jeder fünfte Deutsche stirbt an Diabetes“, sagte Prof. Dr. Martin Hrabě de Angelis, Direktor und Lehrstuhlinhaber der Institute für Experimentelle Genetik am Helmholtz Zentrum München und der Technischen Universität München. „Diese Zahlen machen deutlich, wie dringend neue wirksame Präventionsmaßnahmen benötigt werden.“

Prof. Dr. Peter Schwarz
Da sich Diabetes sehr heterogen manifestiere, müsse man die Menschen, die möglicherweise erkranken, genauer unter die Lupe nehmen und die Prävention präzise auf bestimmte Untergruppen abstimmen, bemerkte Prof. Dr. Peter Schwarz vom Universitätsklinikum Carl Gustav Carus in Dresden, eines der 5 DZD-Mitglieder.
„Prävention wird pathophysiologischer, das heißt, wir versuchen herauszufinden, was bei Menschen anders ist, die eine bestimmte Erkrankung wie Diabetes bekommen, als bei denen, die diese Erkrankung trotz gleicher Voraussetzungen nicht bekommen.“ Die Identifikation dieser Subgruppen ebne den Weg für eine präzise und dadurch erfolgreiche Prävention, so Schwarz.
Maßgeschneiderte Prävention für Prädiabetiker
Erste Schritte hierzu liefern Erkenntnisse aus Studien am DZD, die gezeigt haben, dass es nicht nur unter Typ-2-Diabetikern, sondern auch unter Menschen mit Prädiabetes Subgruppen mit unterschiedlich hohem Diabetesrisiko gibt, die unterschiedlich auf Lebensstil-Interventionen reagieren.
„Nur 10 bis 20 Prozent der Prädiabetiker bekommen Diabetes, gab Prof. Dr. Andreas Fritsche vom Institut für Diabetesforschung und Metabolische Erkrankungen des Helmholtz Zentrum München an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen zu bedenken. „Wir müssen uns denen zuwenden, die ein besonders hohes Risiko dafür tragen.“
In einer Hauptsitzung zum Thema „Personalisierte Prävention von Diabetes – Relevanz der Subgruppen“ erläuterte Fritsche diese maßgeschneiderte Präventionsstrategie anhand der Ergebnisse der Prädiabetes Lebensstilinterventionsstudie (PLIS), die auf dem Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Diabetes 2018 erstmals vorgestellt worden war (wie Medscape berichtete ).
„Bei denjenigen, die an einer Fettleber mit Insulinresistenz oder einer Insulin-Sekretionsstörung leiden, kommt es mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit zu einer manifesten Diabetes-Erkrankung“, erklärte Fritsche. Doch ausgerechnet diese Hochrisikogruppe spreche weniger gut auf Präventionsmaßnahmen wie mehr Bewegung und Ernährungsumstellungen an.
Trotzdem könnte diesen Patienten eine – dann eben noch intensivere – Lebensstiländerung helfen, wie die PLIS-Studie zeigte: In der Gruppe, der mindestens 6 Stunden Sport pro Woche empfohlen wurde und die zudem umfangreich zu Ernährung, Gewichtsreduktion und Bewegung beraten wurde, schritt der Prädiabetes innerhalb von einem Jahr weniger schnell zum Diabetes fort als bei denjenigen, die eine konventionelle Lebensstiländerung (3 Stunden Sport, wenige Beratungstermine) durchliefen.

Prof. Dr. Andreas Fritsche
Übermäßig häufiger kam es bei intensiver Intervention zu einer Normalisierung des Glukosestoffwechsels. Ebenfalls konnten das Herz-Kreislauf-Risiko sowie der Fettgehalt der Leber in der Gruppe mit intensiver Intervention deutlicher gesenkt werden als in der Gruppe mit konventioneller Intervention, berichtete Fritsche.
Weitere Untersuchungen am DZD haben bereits eine noch detailliertere Subklassifizierung von Prädiabetikern ermöglicht. Diesen wiederum wurden unterschiedliche Risiken für Diabetes und dessen Folgeerkrankungen zugeordnet: Ein deutlich erhöhtes Risiko an Diabetes zu erkranken haben z.B. Menschen mit einem Insulinsekretionsdefizit und solche mit erhöhtem Leberfett und gleichzeitiger Insulinresistenz.
Eine weitere Untergruppe mit guter Insulinsekretion, Insulinresistenz und hohem viszeralem Fett wiederum zeigen unabhängig von ihrem Diabetesrisiko ein erhöhtes Risiko für eine diabetische Nephropathie. Gemäß diesen Subgruppen müsste nun, so Fritsche, eine Risiko-Stratifizierung für klinische Studien mit präzise auf den Prädiabetes-Typ abgestimmter Intervention erfolgen:
Frühe Insulintherapie bei Prädiabetikern mit Insulinsekretionsdefizit
Gabe von Inkretin-Analoga bei Menschen mit Fettleber
Gabe von SGLT2-Inhibitoren zur Prävention diabetischer Neuropathie
Potenzial der Digitalisierung für die Prävention nutzen
Mit Hilfe dieser Erkenntnisse könne Prävention zwar schon präziser, jedoch noch nicht personalisiert erfolgen, bemerkte Hrabě de Angelis. Es stelle sich als nächstes die Frage wie die unterschiedlichen Prädiabetes-Subphänomene in der Bevölkerung und ihre Prognose erkannt werden können.
Das DZD verfüge bereits über einen „riesigen Datenschatz aus Kohorten, klinischen Studien, Bioproben, präklinischen Modellen, Untersuchungen an verschiedenen Standorten, Ergebnissen aus Omics-Analysen sowie Geno- und Phänotypisierungen“, erläuterte Hrabě de Angelis, der auch Vorstand des DZD ist.
Das Projekt DZD CONNECT vernetze diese Daten, um Muster zu erkennen, etwa für Subtypen des Diabetes. „Daraus versuchen wir im nächsten Schritt Schlüsse für Diagnose und Therapie abzuleiten.“
Noch besser typisiert werden könnten Diabetiker anhand von noch größeren Datenmengen. Daher plane das DZD den Aufbau eines „Digitalen Diabetes Präventionszentrums“ (DDCP), in dem Gesundheits- und Forschungsdaten, unter anderem von Krankenkassen und Pharmaunternehmen gesammelt und analysiert werden, sagte Hrabě de Angelis.
Denn anhand dieser großen Datenmengen von Diabetikern und Nicht-Diabetikern könne man Subtypen des Diabetes frühzeitig erkennen und maßgeschneiderte Therapie- und Präventionsstrategien entwickeln und validieren.
Auch Schwarz befindet die Digitalisierung als „Segen für die Prävention“. Seiner Ansicht nach sind Patienten über digitale Wege besser erreichbar und motivierbar. „Über das Smartphone befinden wir Ärzte uns bereits in der Hosentasche des Patienten. Das ist ein bislang noch ungehobener Schatz in der Diabetes-Prävention.“
Die von einer Arbeitsgruppe an der Universität Dresden entwickelte Schrittzähler-App AnkerSteps beispielsweise verfolge einen neuen Motivationsansatz: Patienten wetten einen bestimmten Geldbetrag darauf, dass sie 10.000 Schritte am Tag (rund 6,5 km) schaffen. Erreichen sie das Ziel nicht, erhalten andere Nutzer der Anker Steps Community den eingesetzten Betrag. Schaffen sie dagegen die angepeilten 10.000 Schritte, werden sie an der Gewinnausschüttung der Zahler beteiligt, die das Ziel an diesem Tag verfehlt haben.
In dem seit 3 Wochen für die Prävention von chronischen Erkrankungen zertifizierten Video-basierten Coaching-Programm VIDEA begleitet Schwarz die User persönlich auf dem Weg zu mehr Bewegung im Alltag. „Meine Vorstellung von Prävention: Wir müssen aus vielen Quellen lernen, um Produkte zu entwickeln, die Patienten zuhause nutzen können, um dem Diabetes davonzulaufen“, sagte Schwarz auf dem DGIM-Kongress.
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Diesen Artikel so zitieren: Vision diabetesfreie Gesellschaft: Prädiabetes-Subgruppen ermöglichen passgenaue Prävention - Medscape - 9. Mai 2019.
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