Wie, bitte? Nach Untersuchungen des Linguisten Dr. Sascha Bechmann von der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf sind Arztbriefe mitunter ein Quell von Missverständnissen. 95,9% von 175 Hausärzten gaben in einer Umfrage Bechmanns an, schon mit missverständlichen Arztbriefen konfrontiert worden zu sein. Neben unverständlichen Abkürzungen bemängelten die Befragten ungefilterte Befundsammlungen, überflüssige Nebendiagnosen oder Floskeln. Häufig müssten die Hausärzte beim Verfasser dann noch einmal nachhaken.
„Viele Arztbriefe sind fehlerhaft, unvollständig und schlecht strukturiert“, heißt es in der noch nicht veröffentlichten Studie, die Medscape vorliegt. „Wir haben in einem Seminar Ärzten einen Arztbrief vorgelegt und stellten fest, dass sie ihm verschiedene, zum Teil gegensätzliche Angaben entnahmen“, erklärt Bechmann.
So drehte es sich zum Beispiel um die Frage, ob eine tiefe Hirnstimulation noch vorgenommen werden sollte oder ob dies schon geschehen sei. „50 Prozent der Ärzte waren nach der Lektüre des Arztbriefes der Meinung, dass die Behandlung schon gemacht worden sei, und 50 Prozent glaubten, sie stehe noch an“, so Bechmann zu Medscape.
Jargon und Abkürzungen verstellen den Inhalt – und könnten zu Behandlungsfehlern führen
Die Verfasser der Briefe benutzen zum Teil Begriffe, die nur in ihrer Fachdisziplin genutzt werden, oder sie schreiben einen verschachtelten Stil, oder sie benutzen Abkürzungen oder verfallen in Jargon. Zudem sind die Arztbriefe je nach Arzt oder Krankenhaus sehr unterschiedlich strukturiert und unterschiedlich lang. All das kann verwirren.
„Für die Hausärzte, die für die Weiterbehandlung auf unmissverständliche und eindeutige Patienteninformationen angewiesen sind, ist dieser Zustand nicht nur ärgerlich, sondern er kann auch schwerwiegende Folgen für die Behandlung des Patienten nach sich ziehen“, heißt es in der Studie. 88% der befragten Ärzte glauben sogar, dass missverständliche Arztbriefe zu Behandlungsfehlern führen können.
Die Ergebnisse von Bechmanns Befragungen dürften die Diskussion um die vielen Dokumentationen und Arztbriefe befeuern, die Fach- und Klinikärzte verfassen und Hausärzte lesen müssen. Durchschnittlich 3 bis 10 Arztbriefe und mehr bekommt ein Hausarzt täglich auf den Tisch – verfasst vor allem von seinen fachärztlichen Kollegen in der Klinik. Schätzungen zufolge verbringen Klinikärzte rund 30% ihrer Zeit über ihre Arztbriefe gebeugt.
Zu wenig Zeit oder zu wenig Know-how?
Über die Gründe für die Sprachverwirrung in den Arztbriefen indessen herrscht Uneinigkeit.

Rudolf Henke
Rudolf Henke, Vorsitzender des Marburger Bundes, begründet in der Zeitung DIE WELT die schlechten Texte mit dem Zeit- und Personalmangel auf den Stationen: „Aus Sicht des Marburger Bundes liegt es auch an den knappen Stellenplänen im Krankenhaus, wenn dafür heute nicht genug Zeit zur Verfügung steht.“
Für Dr. Günther Egidi, Hausarzt in Bremen, „ist das Problem nicht so groß, dass es wirklich Schwierigkeiten machen würde“. Egidi liest täglich 10 bis 20 Arztbriefe seiner Kollegen, wie er Medscape berichtet. Auch Egidi vermutet Stress, aber auch nicht deutschsprachige Kollegen in den Kliniken als Grund für gelegentlich schwer zu verstehende Arztbriefe.
Anders der Pneumologe Dr. Markus Unnewehr, Oberarzt am Klinikum Dortmund. Für ihn fehlt es schlicht am Know-how. Er wertet derzeit eine eigene Studie aus, „in der wir die Empfänger der Arztbriefe gefragt haben, was ihnen wichtig ist und was sie brauchen“, so Unnewehr. „Wir wollten wissen, was eigentlich eine gelungene Kommunikation per Arztbrief ist.“
Für Hausärzte sind Diagnosen und Medikamente am wichtigsten
Die ersten Ergebnisse seiner Studie zeigen: Die Diagnosen sind am wichtigsten. „Die Hausärzte wollen wissen, was der Patient eigentlich hat.“ Das zweitwichtigste Kriterium überrascht: Medikamente. „Allgemeinmediziner möchten, dass geänderte Medikationen eigens gekennzeichnet werden, damit Änderungen leichter auffindbar sind“, berichtet Unnewehr.
Fachärzte hingegen legen besonderen Wert auf eine stringente Argumentation bei den Diagnosen.
Ganz unten auf der Beliebtheitsskala liegen bei beiden Arztgruppen die News- und Werbe-Elemente. Unnewehr: „Die Kolleginnen und Kollegen wollen nicht wissen, ob eine neue Spezialsprechstunde eröffnet wurde oder nicht.“
Zu Verwirrung der Hausärzte dürfte auch beitragen, dass die verschiedenen Krankenhäuser es auch beim Schreiben der Briefe ganz verschieden halten. Manche diktieren und beschäftigen Schreibbüros, andere sind bereits im digitalen Zeitalter angekommen und nutzen Spracherkennungssysteme, andernorts schreiben die Ärzte noch selbst und mancher Kollege – auch das hat Unnewehr erlebt – verfasst seine Briefe noch handschriftlich.
Eine Leitlinie für gute Arztbriefe?
Um zukünftig bessere Arztbriefe zu produzieren, fordert Unnewehr das Thema auf die Stundenpläne der Aus- und Weiterbildung zu setzen. Dabei soll neben guter Form und verständlichem, exaktem Inhalt vor allem eines gelehrt werden: sich in den Empfänger der Arztbriefe hinein zu versetzen. „Schließlich schreiben wir die Arztbriefe nicht zur eigenen Erbauung.“
Im eigenen Haus bietet Unnewehr zum Beispiel allmonatlich für die neuen Kollegen eine entsprechende Fortbildung. Für Ärzte in Häusern, wo das nicht oder noch nicht möglich ist, wäre nach seiner Meinung ein bewährter Weg der richtige: eine Leitlinie für gute Arztbriefe.
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Diesen Artikel so zitieren: Jargon und Schachtelsatz, Lücken und Fehler: Mancher Klinik-Arztbrief macht Mühe - Medscape - 14. Mai 2019.
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