TSVG: „Ungewöhnlich massive Sanktionen” bei Verstößen – welche Konsequenzen können Ärzten drohen?

Christian Beneker

Interessenkonflikte

8. Mai 2019

Noch ist nicht ganz klar, wann genau das umstrittene Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) in Kraft treten soll. Bislang war immer wieder der 1. Mai genannt worden, doch wie unter anderem das Ärzteblatt berichtet, ist die Novelle bislang noch nicht von Bundespräsident Frank-Walter Stein­meier unterzeichnet worden. Erst danach – und wenn sie im Bundesgesetz­blatt veröffentlicht ist – gelten die neuen Regeln. Die KBV rechnet mit einem Inkrafttreten im Laufe des Monats.

Dass aber so mancher Arzt die Forderungen des Gesetzes, etwa nach mehr Sprechstunden, nicht erfüllen will, scheint ausgemacht. Zum Beispiel der Bremer Hausarzt Dr. Thomas Pospiech. Er sagt: „Ich werde auf keinen Fall weitere Sprechstunden zur Verfügung stellen!“

 
Ich werde auf keinen Fall weitere Sprechstunden zur Verfügung stellen! Dr. Thomas Pospiech
 

Und nach eigenen Angaben ist Pospiech nicht der einzige Arzt in Bremen, der sich den Bestimmungen des Gesetzes widersetzen will. Bei der KV Niedersachsen hieß es, manch älterer Kollege schließe vorzeitig seine Praxis zu und gehe in den Ruhestand, weil er sich das TSVG nicht antun wolle.

Der Gesetzgeber scheint jedenfalls mit den vergrätzten Ärzten gerechnet zu haben. So erklärt der Medizinrechtler Prof. Dr. Thomas Ratajczak aus Sindelfingen: „Dass die ärztlichen Pflichten zur Gesetzeserfüllung explizit in das Gesetz hineingeschrieben wurden, ist ungewöhnlich.“

Zur Erinnerung: Das TSVG verlangt mindestens 25 Sprechstunden pro Woche. Facharztgruppen der grundversorgenden und wohnortnahen Versorgung (z.B. Frauenärzte oder HNO-Ärzte) müssen mindestens 5 Stunden pro Woche als offene Sprechstunde anbieten, und zwar ohne vorherige Terminvereinbarung. Die KVen schließlich sollen das Ganze überprüfen.

In Handschellen abführen?

Für Pospiech und viele andere Ärzte ist das Gesetz ein Affront. Der Hausarzt beschwert sich über direktive, quasi planwirtschaftliche Eingriffe in das Terminsystem. Doch könne man die Zeit des Arztes nicht teilen, und wo keine Termine mehr frei sind, da seien eben keine mehr frei.

„Wir meinen, dass wir einen guten Job machen“, schreibt Pospiech in einem Protestbrief an Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Die Praxis, die der Hausarzt am südlichen Stadtrand Bremens zusammen mit seiner Frau Dr. Aldona Buchwald-Pospiech führt, öffne täglich um 7.45 Uhr und schließe selten vor 18 Uhr.

„Wir haben seit vielen Jahren mit unserem erfahrenen Team ein sehr gut funktionierendes Termin-System implementiert, welches ausdrücklich die Versorgung akuter Notfälle einschließt und die Wartezeiten sehr kurz hält. Eine ‚offene‘ Sprechstunde wäre komplett kontraproduktiv“, so das Schreiben.

Er müsse nun, wie bei einer doppelten Buchführung, 2 Terminvergabesysteme nebeneinander führen. Und das will er nicht. Er werde darum keine zusätzlichen Termine anbieten, so Pospiech. „Mal sehen, ob sie mich jetzt in Handschellen abführen.“

 
Dass die ärztlichen Pflichten zur Gesetzeserfüllung explizit in das Gesetz hineingeschrieben wurden, ist ungewöhnlich. Prof. Dr. Thomas Ratajczak
 

Das wohl nicht. Aber der Gesetzestext verweist explizit auf Sanktionen. Wenn die zuständige KV feststellt, dass die Mindestsprechstunden in einer Praxis in mindestens 2 aufeinanderfolgenden Quartale nicht eingehalten wurden, so muss der Arzt diesen Zustand schnellstens beheben oder beim Zulassungsausschuss seinen Versorgungsauftrag kürzen. Tut er das nicht, kann die KV ihrerseits Geldstrafen verhängen oder sogar die Zulassung entziehen.

Massive Sanktionen

Bisher war es möglich, die ganze oder die halbe Zulassung zu entziehen (§95, Abs. 6, Satz 1 und 2 SGB V). Das TSVG führt nun auch hier eine neue Möglichkeit ein: den Entzug eines Viertels der Zulassung.

Für den Ratayczak ist die 1/4-Regel ein Kniff, um überhaupt schneller sanktionieren zu können. Denn bisher konnte man manche Praxis mit dem Entzug der ganzen oder halben Zulassung nicht schrecken, weil in dem betroffenen Versorgungsbezirk die medizinische Versorgung zu sehr gelitten hätte oder – etwa bei einer Einzelpraxis auf dem Land – gleich ganz zusammengebrochen wäre, erklärt der Sindelfinger Professor. So verzichtete man oft auf Sanktionen.

Durch einen Entzug eines Viertels der Zulassung könne man nun zugleich leichter strafen und die Versorgung retten. Ratayczaks Fazit: „In dem Gesetz wird alles sofort massiv sanktioniert!“

Derzeit beraten die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und der GKV-Spitzenverband (GKV SV) über die Sanktionen. Das Ergebnis soll im Bundesmantelvertrag niedergelegt werden. Auch hier sieht Ratayczak politische Taktik am Werk: Wenn die Sanktionen auf der Bundesebene verankert werden, könnten sich die Länder-KVen dahinter verstecken und stets auf ihre Pflicht zu Strafen verweisen. „Das ist der einzige Grund!“

Der Bremer Hausarzt Pospiech hat nach seinem Brief an den Bundesgesundheitsminister (geantwortet hat Spahn bisher nicht) noch ein zweites Schreiben aufgesetzt – an seine Kollegen, einige Abgeordnete und den Bremer KV-Vorstand.

In dem Brief, der Medscape vorliegt, ruft er zum Widerstand auf. „Wir sollten endlich wieder vom Sofa hochkommen, die Komfortzone verlassen und in einen Bus nach Berlin steigen und unsere gemeinsame Stärke und Macht zeigen“, so der Brief, und der Verfasser erinnert sich: „2006 sind wir für viel weniger zur Großdemo nach Berlin gefahren. Und jetzt?“
 

Kommentar

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