Masern-Impfpflicht noch in 2019? Spahn legt Gesetzesentwurf vor – Ärzte unterstützen seine Pläne

Michael van den Heuvel

Interessenkonflikte

6. Mai 2019

Jens Spahn
© Stephan Baumann

Die Eltern von Kita- und Schulkinder haben künftig nachzuweisen, dass ihre Sprösslinge gegen Masern geschützt sind. Wer Impfungen verweigert, muss mit Konsequenzen wie Geldstrafen oder dem Kita-Ausschluss rechnen. Diese Maßnahmen sieht Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) in einem Referentenentwurf zur Masern-Impfpflicht vor [1].

„Wir wollen alle Kinder davor schützen, sich mit Masern zu infizieren. Deswegen sollen alle, die eine Kita oder Schule besuchen, gegen Masern geimpft sein“, sagte Spahn der Bild am Sonntag. Wer dort neu aufgenommen werde, müsse das nachweisen. „Schließlich sind in Kitas auch Kinder unter zehn Monaten, die noch nicht geimpft werden dürfen und damit besonders gefährdet sind.“

Und: Die Masern sind bekanntlich hochansteckend, dies bereits etwa 3 bis 5 Tage, bevor der Ausschlag sichtbar wird. Laut Robert Koch-Institut (RKI) führt das Masernvirus bereits bei kurzer Exposition durch das Einatmen infektiöser Tröpfchen beim Sprechen, Husten, Niesen sowie durch Kontakt mit infektiösen Sekreten aus Nase oder Rachen zu einer Infektion (Kontagionsindex nahe 100%) und löst bei über 95% der ungeschützten Infizierten klinische Symptome aus (Manifestationsindex ebenfalls nahe 100%).

Große Impflücken

Spahn beruft sich bei seinem Gesetzentwurf auf aktuelle Zahlen. Das RKI gibt für 2018 insgesamt 543 Masernerkrankungen in Deutschland an, im laufenden Jahr sind es bereits mehr als 300 Fälle.

Prof. Dr. Lothar H. Wieler

„Fast die Hälfte der Erkrankten sind junge Erwachsene, das weist auf die großen Impflücken in diesen Altersgruppen hin“, betont RKI-Präsident Prof. Dr. Lothar H. Wieler mit Verweis auf eine Auswertung im Epidemiologischen Bulletin .

Diese Impflücken bestehen in Deutschland bei Masern immer noch – trotz aller Anstrengungen: Immerhin haben 97,1% aller Schulanfänger die erste Impfung bekommen. Aber bei der 2. Masernimpfung, nach der erst ein vollständiger Schutz besteht, gibt es große regionale Unterschiede, so dass auf Bundesebene die von WHO-Experten geforderte Impfquote von 95% nicht erreicht wird.

 
Fast die Hälfte der Erkrankten sind junge Erwachsene, das weist auf die großen Impflücken in diesen Altersgruppen hin. Prof. Dr. Lothar H. Wieler
 

Laut RKI-Daten waren nur etwa 93% der Schulanfänger 2017 2-mal gegen Masern geimpft. „Trotz aller Aufklärungskampagnen sind die Impfquoten in den vergangenen Jahren nicht entscheidend gestiegen“, erläutert Spahn. „Deshalb muss die Masern-Impfung in Kindergärten und Schule verpflichtend werden.“ Denn wer sich impfe, schütze nicht nur sich selbst, sondern auch die Gemeinschaft.

Spahns Ziel ist, die Quote von 95% zu erreichen: „Ich will die Masern ausrotten. Aber dafür müssen nicht 93, sondern mindestens 95 Prozent zwei Masernimpfungen haben“, sagt er im Interview. Da diese Quote trotz aller Kampagnen und guten Appelle einfach nicht erreicht werde, soll dies nun über die Masern-Impfpflicht gelingen.

Umfangreiche Zwangsmaßnahmen

Im aktuell vorgestellten Referentenentwurf will Spahn alle Eltern verpflichten, ihre Kita-Kinder gegen Masern impfen zu lassen. Ansonsten droht er, Kinder von Betreuungseinrichtungen auszuschließen. Aufgrund der Schulpflicht (damit ist ein Ausschluss nicht möglich) sieht Spahn für die Eltern bei älteren nicht geimpften Kindern Bußgelder von bis zu 2.500 Euro vor.

Die Eltern haben bis zum 31. Juli 2020 Zeit, einen Impfpass oder eine Impfbescheinigung vorzulegen. „Wer aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden kann, muss auch das mit einer ärztlichen Bescheinigung nachweisen“, ergänzt der Minister.

Impfung bei fast allen Ärzten – und bald bei Apothekern?

Spahns Plänen zufolge sollen Ärzte aller Fachrichtungen künftig Patienten gegen Masern impfen. Nur Zahnärzte nimmt er aus. „Es geht darum, jeden Arztbesuch zu nutzen, um den Impfstatus zu überprüfen und zu impfen“, so der Minister. Er kann sich auch Impfkampagnen in Schulen oder Kitas vorstellen, geht aber noch weiter.

 
Es geht darum, jeden Arztbesuch zu nutzen, um den Impfstatus zu überprüfen und zu impfen. Jens Spahn
 

Mit seinem schon älteren Entwurf zum Apotheken-Stärkungsgesetz will er testen, ob Apotheker gewisse Standardimpfungen übernehmen könnten. Ein Modellprojekt soll untersuchen, ob das bei der saisonalen Influenza funktioniert. Voraussetzung ist eine ärztliche Schulung des Impfpersonals in den Apotheken sowie geeignete Räume und Ausstattung. Sollte Spahns Idee Erfolg haben, wären auch andere Impfungen denkbar, wie heute schon in vielen Schweizer Apotheken.

Ärzte begrüßen Spans Pläne

In einer ersten Stellungnahme erklärte Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer: „Es ist eine gute Nachricht, dass Bundesgesundheitsminister Jens Spahn eine Impfpflicht für Masern plant.“ Bei hohen Durchimpfungsraten sei es möglich, einzelne Krankheitserreger regional und sogar weltweit zu eliminieren.

 
Es ist eine gute Nachricht, dass Bundesgesundheitsminister Jens Spahn eine Impfpflicht für Masern plant. Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery
 

„Leider ist diese Botschaft noch immer nicht bei allen Impfgegnern angekommen“, weiß Montgomery. „Diese Menschen gefährden nicht nur sich selbst und ihre Kinder, sie schaden auch der Gesellschaft als Ganzes.“ Spahns Vorstoß sei deshalb „ein wichtiger Schritt zur richtigen Zeit“.

 
Kinder haben ein Recht darauf, immunisiert zu werden gegen potentiell tödliche Krankheiten. Dr. Thomas Fischbach
 

Zu ähnlichen Einschätzungen kommt Dr. Thomas Fischbach, Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ): „Kinder haben ein Recht darauf, immunisiert zu werden gegen potentiell tödliche Krankheiten. Das Gesetz muss kommen.“ Fischbach weiter: „Impfgegner stehen mit ihrer Panikmache vor Nebenwirkungen, mit ihren Verschwörungstheorien und ihrer Ablehnung wissenschaftsbasierter Fakten inzwischen auf verlorenem Posten.“

Derzeit wird Spahns Entwurf noch in der Regierung abgestimmt. Der Minister erwartet jedoch, das Gesetz noch in 2019 verabschieden zu können.

STIKO-Vorsitzender zur Impfpflicht: „Eine politische Entscheidung“

„Die Frage einer Impfpflicht ist eine politische Entscheidung und keine Entscheidung der Wissenschaft“, kommentiert Prof. Dr. Thomas Mertens, ehemaliger ärztlicher Direktor des Instituts für Virologie, Universitätsklinikum Ulm, und Vorsitzender der Ständigen Impfkommission (STIKO). Er erinnert daran, dass es in Europa mehr als 10 Länder mit Impfpflicht für ein bis 12 Impfungen gibt – „die leider auch immer wieder geändert werden, ohne dass es neue wissenschaftliche Daten hierfür gäbe.“

Zu bedenken gibt er, dass es derzeit keinen Masern-Einzelimpfstoff in Deutschland gibt, „so dass eine Masern-Impfpflicht zugleich eine Röteln- und Mumps-Impfpflicht bedeuten würde.“ Zudem bestünden die Impflücken vor allem bei den jungen, nach 1970 geborenen Erwachsenen. „Eine Impfpflicht müsste also auch diese Personengruppe betreffen, was schwer durchsetzbar sein dürfte, auch weil diese Altersgruppe eher selten zum Arzt geht.“

Mertens weiter: „Eine bessere Ausbildung der Ärzte in Impffragen ist essenziell, da Ärzte letztlich entscheidend sind für das Impfverhalten ihrer Patienten.“ Nur wenige wissenschaftliche Daten gebe es zudem, wie sich eine Impfpflicht auswirke. „Die Erfahrungen aus anderen Ländern sind nur bedingt verwertbar, da die einschlägige ‚Kultur‘ in verschiedenen Ländern sehr unterschiedlich ist.“

 

Kommentar

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