Gender-Gap in der Kardiologie: Eine „Eins“ in Vorsorge, aber ein „Mangelhaft“ in Akuttherapie und Reha

Simone Reisdorf

Interessenkonflikte

2. Mai 2019

Mannheim – Die in der Bevölkerung verbreitete Vorstellung, Männer würden häufiger am Herzinfarkt sterben, Frauen am Brustkrebs, ist schlichtweg falsch. Denn: „Während eine von 30 Frauen am Mammakarzinom stirbt, ist für eine von drei Frauen eine Herz-Kreislauf-Erkrankung die Todesursache.“ Dies stellte Prof. Dr. Tanja K. Rudolph vom Herz- und Diabeteszentrum Bad Oeynhausen in einem Symposium zum Thema Prävention auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie, Herz- und Kreislaufforschung (DGK) klar [1].

 
Während eine von 30 Frauen am Mammakarzinom stirbt, ist für eine von drei Frauen eine Herz-Kreislauf-Erkrankung die Todesursache. Prof. Dr. Tanja K. Rudolph
 

Nicht weniger Risiko – nur andere Risikofaktoren

Sie lieferte auch gleich die Erklärung mit: Obwohl die hormonelle Ausstattung den Frauen in jungen Jahren tatsächlich einen gewissen Schutz vor kardiovaskulären Erkrankungen bietet, sind sie andererseits durch Schwangerschaften zusätzlichen Risiken ausgesetzt. Zu diesen spezifisch weiblichen – wenig beachteten – Risikofaktoren für kardiovaskuläre Erkrankungen zählen laut Rudolph etwa Hypertonie oder Präeklampsie während der Schwangerschaft, ein Gestationsdiabetes oder das vorzeitige Einsetzen der Menopause.

Die Kardiologin machte außerdem auf Unterschiede in der Verteilung und Bedeutung der klassischen kardiovaskulären Risikofaktoren bei Männern und Frauen aufmerksam. So finden sich zwar Nikotinabusus und Dyslipidämie bei Frauen seltener, jedoch sind Hypertonie, Adipositas, körperliche Inaktivität und Diabetes mellitus bei ihnen häufiger.

Liegt ein Diabetes vor, schlägt er außerdem als Risikofaktor für Frauen stärker zu Buche. So wird die Wahrscheinlichkeit für eine koronare Herzkrankheit (KHK) bei Frauen durch die Zuckerkrankheit um den Faktor 2,6 erhöht, bei Männern „nur“ um den Faktor 1,8.

Auch das relative Risiko für einen Schlaganfall ist bei Diabetikerinnen gegenüber Diabetikern erhöht – um etwa 25%. Und Frauen mit Typ-1-Diabetes haben ein um 37% gesteigertes Sterberisiko.

Frauen gehen zu spät in die Klinik …

Hinsichtlich des Outcomes schneiden herzkranke Frauen ebenfalls schlechter ab als herzkranke Männer. So endet besonders für jüngere Frauen (unter 50 Jahre) ein Myokardinfarkt häufiger tödlich als für männliche Patienten gleichen Alters, wie Studiendaten schon seit langem belegen.

Aktuelle Daten, die ausgerechnet am Weltfrauentag (08. März) 2019 präsentiert worden sind, zeigen eine mögliche Ursache dafür auf: Es dauert einfach länger – oftmals zu lange – bis Frauen mit Herzinfarkt auf den Kathetertisch kommen.

Das könnte einerseits daran liegen, dass sie atypische Symptome haben: Bei Frauen können z.B. Oberbauchschmerzen, Dyspnoe, Übelkeit und Erbrechen, Schweißausbrüche, Depressivität und allgemeine Schwäche auf einen Myokardinfarkt hindeuten; der typische „vernichtende“ Brustschmerz, der vom Thorax bin in den Oberarm und Unterkiefer ausstrahlt, kann jedoch fehlen, wie Untersuchungen nachweisen.

Andererseits zögern viele Frauen auch bei einem Akutereignis wie dem Herzinfarkt die Fahrt zur Notaufnahme hinaus: Sie neigen dazu, ihre Symptome herunterzuspielen und zunächst ihre sozialen Rollen zu erfüllen – in der Hoffnung, dass die Symptome schon wieder verschwinden werden.

 
Frauen sind besser in der Vorsorge, aber weniger engagiert in der Akutsituation und in der Rehabilitation. Dr. Christa M. Bongarth
 

In dieser Bewertung waren sich PD Dr. Ingrid Kindermann, Klinik für Innere Medizin III am Universitätsklinikum des Saarlandes und Dr. Christa M. Bongarth, Ärztliche Direktorin Klinik Höhenried, in einem Symposium zu Gender-Aspekten in der Kardiologie einig. „Frauen sind besser in der Vorsorge, aber weniger engagiert in der Akutsituation und in der Rehabilitation“, bestätigte Bongarth auf Nachfrage von Medscape.

… und warten dort länger auf die Intervention

Aber nicht nur die Patientinnen, auch die behandelnden Ärzte neigen dazu, Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Frauen zu unterschätzen. So zeigte eine US-amerikanische Studie, dass Frauen mit ST-Hebungs-Infarkt (STEMI) signifikant seltener als Männer mit dem gleichen Befund eine leitliniengerechte medikamentöse Therapie vor der PCI erhielten (69% vs. 77%; p = 0,02). Frauen hatten zudem eine signifikant längere „Door-to-Balloon“-Zeit (im Median 112 vs. 104 Minuten, p = 0,02) und sie erlitten – nicht nur wegen ihres durchschnittlich höheren Alters – in der Klinik mehr Komplikationen.

Erst die Implementierung eines strukturierten Therapieplans glich diese Unterschiede aus. Sowohl die Männer als auch vor allem die Frauen mit Infarkt profitierten davon.

Keine Zeit für die Reha?

Das Problem setzt sich bei der kardialen Rehabilitation nahtlos fort: Patientinnen wird seltener eine solche Maßnahme angeboten, und sie fragen seltener von sich aus danach. Viele Frauen lehnen die „Herzkur“ sogar ab oder beenden sie vorzeitig: Eine ambulante oder gar stationäre Reha ist ihnen zu aufwändig, vor allem zu zeitintensiv. Letztlich ist die Wahrscheinlichkeit einer kardialen Reha-Maßnahme bei Frauen um mehr als ein Drittel reduziert, fanden nordamerikanische Forscher in einer Meta-Analyse heraus.

Und das, obwohl Frauen (etwa mit KHK) mindestens ebenso stark von der Reha profitieren würden wie Männer, sofern sie die Maßnahme auch abschließen. Dies zeigt eine retrospektive Kohortenstudie aus Kanada.

Ärztinnen behandeln beide Geschlechter gleich – Ärzte eher nicht

Nicht nur das Geschlecht des/der Kranken spielt eine Rolle, sondern sogar das Geschlecht des/der Behandelnden, wie eine Studie von 2018 bei Personen nach Myokardinfarkt offenbart hat: Ärzte unterschätzen häufig die Herzkrankheit ihrer Patientinnen und behandeln diese nur zurückhaltend. In der Studie zeigte sich dies in einer deutlich erhöhten Sterblichkeit derjenigen Frauen, die von männlichen Ärzten behandelt worden waren. Ärztinnen haben umgekehrt nicht solche Vorbehalte: Sie behandeln männliche Patienten ebenso konsequent wie weibliche.

Therapierefraktäre Angina pectoris – was nun?

Hat ein Patient – oder eine Patientin – mit relevanter Koronarstenose (Hauptstammstenose, Dreigefäßerkrankung) eine elektive PCI oder einen Bypass erhalten, so ist dies nicht immer das Ende der Schmerzen, erklärte PD Dr. Peter Ong vom Robert-Bosch-Krankenhaus Stuttgart im Symposium: Bei etwa 20% bis 30% der Behandelten bleibt eine ausgeprägte Angina pectoris bestehen, wie die SYNTAX-Studie zeigte. Und das ist prognostisch ungünstig.

In einem soeben veröffentlichten Review gehen Prof. Dr. Filippo Crea und Kollegen den möglichen Ursachen nach und nennen strukturelle und funktionelle Gründe. „Einige davon kommen bei Frauen gehäuft vor, etwa eine Koronardissektion oder eine vermehrte residuelle Atherosklerose zum Zeitpunkt der Intervention“, erläuterte Ong. Auch eine mikrovaskuläre Dysfunktion oder vasomotorische Störungen der Koronarien (einschließlich Koronarspasmen) seien bei Frauen vermehrt zu beobachten.

Ergänzende Angina-Therapie mit „Erheiterung“

Neben den Standardtherapien könnten die Angina-geplagten Patientinnen und Patienten auch von neuen Ansätzen profitieren. Ong stellte hierzu ein professionelles strukturiertes Humor-Training vor. Es wurde in Zusammenarbeit mit Eckart von Hirschhausen und mit professionellen Humor-Trainern entwickelt und in einer Studie von Ong und Kollegen untersucht [2]. Insgesamt 31 Patienten nahmen teil, 29 davon waren Frauen. Alle Teilnehmer hatten eine stabile KHK (jeder vierte hatte schon einen Herzinfarkt überstanden) und litten trotz optimaler Therapie weiterhin unter pektanginösen Beschwerden.

Die Intervention – das von Wild und Falkenberg manualisierte Humor-Training – umfasste über 7 Wochen aufeinander aufbauende Sitzungen von jeweils einmal anderthalb Stunden pro Woche. Dabei ging es nicht um Spaß allein, sondern um eine gelassene, heitere Lebenseinstellung. In den Sitzungen wurden der eigene Humor, eine spielerische Haltung, Witz, Wortspiele, humorvolle Situationen im Alltag, das Lachen über sich selbst sowie der Wert von Humor in Stresssituationen erörtert und in der Gruppe eingeübt.

Vor und nach der Intervention wurden bei allen Patienten ein Belastungs-EKG und eine Haarsegment-Analyse mit Kortisol-Bestimmung durchgeführt. Und mit dem Beck-Depressions-Inventar-Fragebogen (BDI), dem Trierer Inventar zum chronischen Stress (TICS) und dem wenig bekannten State-Trait-Heiterkeits-Inventar (STHI S/T) wurde die Stimmung abgefragt.

Das Ergebnis: Nach Abschluss der Gruppensitzungen war die „Erheiterbarkeit“ der Patienten – und besonders die der Patientinnen – signifikant gestiegen. Zudem war die Depressivität laut BDI reduziert. Und bei Teilnehmern, die zu Studienbeginn erhöhte Kortisol-Werte in der Haaranalyse hatten, fiel dieser Stressparameter deutlich ab: Die Patienten waren nun entspannter

 

Kommentar

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