Wenn Statine nicht wirken – Tipps, wie Sie Cholesterin-High-Resorber erkennen und behandeln

Simone Reisdorf

Interessenkonflikte

2. Mai 2019

Mannheim – Wie ein Mensch seinen Cholesterinbedarf deckt, das ist individuell sehr unterschiedlich. Daran erinnerte Prof. Dr. Oliver Weingärtner, Klinik für Innere Medizin I am Universitätsklinikum Jena, bei einem Präventionssymposium auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) in Mannheim [1]. „Grob geschätzt stammen etwa zwei Drittel des Cholesterins aus der endogenen Synthese in der Leber; nur ein Drittel wird aus dem Darm resorbiert“, erläuterte er im Gespräch mit Medscape.

Aber: „Einzelne Patienten gewinnen bis zu 80 oder 90 Prozent ihres Cholesterins aus der Nahrung, andere dagegen nur 10 Prozent oder weniger.“

Durch gaschromatografische Messungen der gleichzeitig aufgenommen pflanzlichen Sterole, die beim Menschen ja nicht endogen synthetisiert werden, kann man das ungefähre Ausmaß der Cholesterin-Resorption für einen Patienten ermitteln; Studiendaten dazu gibt es schon lange.

Passende Medikation ergibt sich aus dem Behandlungserfolg

Für den Praxisalltag ist eine solche Messung jedoch aufwändig und kostet ca. 50 Euro, räumte Weingärtner ein und gab auf Nachfrage von Medscape praktische Tipps: „Wenn ich unter Atorvastatin 40 mg bei einem Patienten eine Senkung des LDL-Cholesterins um 40 bis 50 Prozent erreiche, bin ich damit zufrieden. Sehe ich aber nur eine Reduktion um 10 Prozent bei einem Patienten, von dem ich annehme, dass er therapietreu ist, so handelt es sich vermutlich um einen Cholesterin-High-Resorber.“

Dies betreffe etwa jeden vierten Patienten, das Problem sei also keineswegs selten: „Längst nicht immer ist ein geringer Therapieerfolg der Statine auf mangelnde Compliance, Muskelschmerz, Vergessen der Medikation oder Ähnliches zurückzuführen“, betonte Weingärtner, „obwohl dies natürlich noch hinzukommen kann.“

 
Längst nicht immer ist ein geringer Therapieerfolg der Statine auf mangelnde Compliance, Muskelschmerz, Vergessen der Medikation oder Ähnliches zurückzuführen. Prof. Dr. Oliver Weingärtner
 

Bei Cholesterin-High-Resorbern wirken Statine laut Weingärtner selbst in adäquater Dosierung nicht sehr gut. Denn diese Patienten beziehen ihr Cholesterin weniger aus der Eigensynthese (die durch Statine adressiert wird) als vielmehr (über die Resorption aus der Nahrung) aus dem Darm. „Hier muss ich die Therapie anpassen und den Resorptionshemmer Ezetimib hinzugeben, um den patienten-individuellen Zielwert des LDL-Cholesterins zu erreichen“, so der Experte.

Und die Aussichten, durch diese Kombinationstherapie doch noch zum Zielwert zu kommen, sind gar nicht so schlecht. Denn: „Während das Statin bei Cholesterin-High-Resorbern nicht so gut wirkt, hat Ezetimib bei ihnen naturgemäß einen stärkeren Effekt als sonst“, führte Weingärtner weiter aus.

 
Während das Statin bei Cholesterin-High-Resorbern nicht so gut wirkt, hat Ezetimib bei ihnen naturgemäß einen stärkeren Effekt als sonst. Prof. Dr. Oliver Weingärtner
 

Studiendaten belegen das Konzept

Der Experte stellte das Konzept des unterschiedlichen Cholesterin-Metabolismus im Symposium ausführlich vor. Er untermauerte seine Ausführungen über Cholesterin-Low/Hypo-Resorber einerseits und Cholesterin-High/Hyper/Super-Resorber andererseits durch Studiendaten.

So bewirkte die Behandlung mit 40 mg Atorvastatin in der Voyager-Studie im Median eine Senkung des LDL-Cholesterins um etwa 40 bis 50%. Die Spannweite war jedoch groß und reichte von einer Reduktion um 80% über wesentlich geringere Therapieerfolge sogar bis hin zu einem leichten Anstieg des LDL-Cholesterins unter der Therapie.

Vergleichbare Daten gebe es auch bei anderen Statinen. Der Anstieg des LDL-Cholesterins unter Statintherapie – also das Gegenteil des erwünschten Effekts – wird als „adverse response“ bezeichnet.

Umgekehrt finden sich Daten, die nachweisen, dass auch die Hemmung der Cholesterin-Resorption durch den Wirkstoff Ezetimib interindividuell sehr unterschiedlich ausgeprägt ist.

Auch zum klinischen Outcome gibt es Evidenz: In einer Analyse der Daten der 4S-Studie zeigte sich bei Patienten im Quartil mit der höchsten Cholesterin-Resorption – im Gegensatz zu den 3 anderen Quartilen – kein Abfall, sondern sogar ein Anstieg der kardiovaskulären Ereignisrate trotz Statintherapie.

Assoziation zur koronaren Herzerkrankung

In einer eigenen Studie haben Weingärtner und seine Kollegen den Cholesterin-Metabolismus ihrer Patienten und dessen Assoziation mit Koronarläsionen überprüft. 40 konsekutive Patienten mit Aortenklappenstenose, die sich einem elektiven Eingriff zum Aortenklappenersatz unterzogen, waren in die Studie aufgenommen worden. Eine medikamentöse Lipidtherapie erhielten sie (noch) nicht.

Die Wissenschaftler bestimmten für jeden Patienten den Wert des Pflanzensterols Campesterol, das für die Cholesterin-Resorption steht, und den Wert von Lathosterol als Hinweis auf die Cholesterin-Eigensynthese; sie setzten beide Zahlen ins Verhältnis. Außerdem nutzten sie die Gelegenheit der Koronarangiografie, um dabei das Ausmaß einer eventuell vorhandenen koronaren Herzkrankheit (KHK) zu ermitteln. Ihre These war, dass eine ausgeprägte KHK mit einer höheren Campesterol/Lathosterol-Ratio einhergeht und vice versa.

Tatsächlich zeigten die 22 Patienten mit dem niedrigsten Quotienten keine Anzeichen einer KHK. Patienten mit Ein-, Zwei- bzw. Dreigefäßerkrankung dagegen hatten sukzessive immer höhere Campesterol/Lathosterol-Quotienten. Das heißt: Diejenigen mit der höchsten Cholesterin-Resorption und der geringsten Cholesterin-Eigensynthese waren besonders stark von KHK betroffen.

Analog dazu hatten Patienten mit einem hohen Quotienten übrigens auch mehr Atherosklerose an ihren Aortenklappensegeln.

Observations- sowie Bildgebungsstudien untermauern ebenfalls die These

In der Framingham-Offspring-Studie (Zyklus 6) war der Cholesterin-Metabolismus sogar ein aussagekräftigerer Marker für künftige kardiovaskuläre Erkrankungen als die klassischen lipidbezogenen Risikofaktoren, ergänzte der Experte.

Und in mehreren aufwändigen Studien mit Bildgebung, teils mit Beteilung von Weingärtner, wurde deutlich, dass eine hohe Campesterol/Lathosterol-Ratio für eine hohe Plaque-Vulnerabilität in den Gefäßen steht – also für mehr Plaque-Rupturen, die zu Myokardinfarkten und Schlaganfällen führen können.

Sonderfall: Dialysepatienten

Eine wichtige Rolle spielen diese Überlegungen schließlich auch bei Menschen mit terminaler Niereninsuffizienz: Sie zeigen unter Statinen trotz einer deutlichen LDL-Cholesterin-Senkung keine entsprechende Reduktion kardialer Ereignisse, berichtete Weingärtner.

Der Grund ist möglicherweise auch bei den Dialysepatienten eine gesteigerte Cholesterin-Resorption und eher geringe Cholesterin-Eigensynthese und damit einhergehend ein verändertes Ansprechen auf die Lipidsenkung, postulierte er. Dies muss jedoch noch in weiteren Studien eingehender untersucht werden.

 

Kommentar

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