Der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) hat bei seinem Meeting im April insgesamt 13 neue Arzneimittel zur Zulassung empfohlen, darunter 6 Orphan Drugs, 1 Biosimilar und 4 generische Wirkstoffe [1].
Die Experten empfahlen außerdem, eine bestehende Genehmigung zu widerrufen. Zudem befassten sie sich mit Nitrosaminen als Verunreinigung in Sartanen. Auch soll ein Langzeit-Implantat mit Buprenorphin zur Behandlung von Opioid-Abhängigkeit eingeführt werden, riet der CHMP.
2 Arzneimittel zur Therapie seltener Erkrankungen erhielten eine positive Stellungnahme des CHMP: Esperoct® (Turoctocog Alfa Pegol) zur Behandlung und Prophylaxe von Blutungen bei Patienten ab 12 Jahren mit Hämophilie A mit angeborenem Faktor-VIII-Mangel und Ultomiris® (Ravulizumab) zur Behandlung erwachsener Patienten mit paroxysmaler nächtlicher Hämoglobinurie.
Der Ausschuss gab ein positives Votum zu Doptelet® (Avatrombopag) ab. Das Pharmakon soll zur Behandlung schwerer Thrombozytopenien eingesetzt werden.
Auch bei Dovato® (Dolutegravir / Lamivudin) zur Behandlung von HIV-Infektionen empfahlen CHMP-Experten eine Zulassung.
Der Ausschuss gab bei Libtayo® (Cemiplimab) zur Behandlung des fortgeschrittenen kutanen Plattenepithelkarzinoms ebenfalls grünes Licht.
Ein positives Gutachten erteilen CHMP-Vertreter zudem bei Nuceiva®. Von dem Botulinumtoxin Typ A sollen Patienten unter 65 Jahren mit tiefen Furchen zwischen den Augenbrauen profitieren, falls sie ihr Erscheinungsbild psychisch belastet.
Talzenna® (Talazoparib) erhielt eine positive Beurteilung für die Behandlung von erwachsenen Patientinnen mit BRCA1/2-Mutation, die an HER2-negativem lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem Brustkrebs leiden.
Auch ein Biosimilar wurde bewertet: Grasustek® (Pegfilgrastim) soll zur Prophylaxe gegen Neutropenien bei erwachsenen Patienten, die mit einer zytotoxischen Chemotherapie behandelt wurden, zum Einsatz kommen.
Der CHMP empfahl zudem, 2 Generika in den Verkehr zu bringen: Ambrisentan Mylan® (Ambrisentan) zur Behandlung der pulmonalen arteriellen Hypertonie und Striascan (Ioflupan-Iod-123), ein Radiopharmakon zur Diagnose der Parkinson-Krankheit und anderer neurodegenerativer Erkrankungen.
Dem CHMP-Votum zufolge soll Xromi® (Hydroxycarbamid), ein Arzneimittel zur Prophylaxe vaso-okklusiver Komplikationen bei Sichelzellenanämie ebenfalls zugelassen werden. Das Pharmakon kommt bei Patienten über 2 Jahren zum Einsatz. Arzneimittelrechtlich handelt es sich hier um einen sogenannten Hybrid-Antrag: Das bereits zugelassene Präparat Hydrea® enthält den gleichen Wirkstoff, wurde aber zur Therapie myeloproliferativer Erkrankungen zugelassen. Beim neuen Antrag werden neben neuen Daten auch vorklinische bzw. klinische Studienergebnisse zum marktüblichen Präparat ausgewertet, daher der Name Hybrid-Antrag.
Eine arzneimittelrechtliche Besonderheit gibt es bei Temybric Ellipta® (Fluticasonfuroat / Umeclidinium / Vilanterol): Bei der Zulassung werden Daten eines Referenzarzneimittels verwendet. Dessen Hersteller hat zugestimmt. Das CHMP hat keine Bedenken. Temybric Ellipta® wird bei erwachsenen Patienten mit mittelschwerer bis schwerer chronisch-obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) verwendet.
Der Ausschuss erteilte Cabazitaxel Teva® (Cabazitaxel) zur Behandlung von Prostatakrebs ein negatives Votum. Er bezweifelt aufgrund der vorgelegten Daten, dass Cabazitaxel und Docetaxel als derselbe Wirkstoff betrachtet werden sollten. Obwohl Cabazitaxel ein Derivat von Docetaxel ist, hätten Laborstudien gezeigt, dass die Wirkstoffe unterschiedliche Eigenschaften hätten. Beispielsweise könne Cabazitaxel die Blut-Hirn-Schranke passieren, Docetaxel jedoch nicht. Daten aus klinischen Studien zeigten auch Unterschiede im Sicherheitsprofil der beiden Wirkstoffe. Daher könne man Daten von Docetaxel nicht – wie vom Hersteller vorgesehen – zur Bewertung des Zulassungsantrags verwenden.
Ansonsten empfiehlt das CHMP, bei Lynparza® (Olaparib) die Zulassung zu erweitern. Künftig könnten erwachsene Patientinnen mit fortgeschrittenem, BRCA1/2-positivem Ovarial-, Tuben- oder Peritonealkarzinom behandelt werden. Voraussetzung ist ein vollständiges oder teilweises Ansprechen auf die platinbasierte Erstlinien-Chemotherapie.
Buprenorphin-Implantat – eine neue Option bei Opioid-Abhängigkeit
Neue Optionen gibt es auch bei Opioidabhängigkeit. CHMP-Experten empfahlen, Sixmo® (Buprenorphin) für Substitutionsbehandlungen zuzulassen. Speziell geschulte Ärzte applizieren 4 kleine Stäbchen unter örtlicher Betäubung in den Oberarm des Patienten. Das Implantat setzt im Körper geringe Mengen Buprenorphin frei.
Es ist indiziert bei klinisch stabilen erwachsenen Patienten, die im Rahmen einer medizinischen, sozialen und psychologischen Behandlung nicht mehr als 8 mg Buprenorphin sublingual pro Tag benötigen. Bekanntlich ist Buprenorphin neben Methadon Mittel der Wahl zur Opioid-Substitution.
Die Sicherheit und Wirksamkeit von Sixmo® wurde in 3 Zulassungsstudien an insgesamt 626 erwachsenen Patienten untersucht. 96,4% der Patienten in der Implantat-Gruppe sprachen auf die Behandlung an, verglichen mit 87,6% in der Gruppe mit sublingualem Buprenorphin.
Die häufigsten unerwünschten Ereignisse bei Sixmo® waren Kopfschmerzen, Verstopfung und Schlaflosigkeit: Symptome, die mit Buprenorphin unabhängig von der Galenik in Zusammenhang stehen. Das Implantat selbst kann lokal zu Schmerzen, zu starkem Juckreiz und Hämatomen führen. Bei einigen Patienten traten Implantatbrüche auf. Grund genug für den CHMP, vom Antragsteller eine weitere Studie zu fordern, um die Risiken beim Einbringen und Entfernen der Implantate zu bewerten.
Widerruf der Zulassung von Lartruvo® (Olaratumab)
Bei der Sitzung gab es aber auch kritische Stellungnahmen. CHMP-Experten nehmen Lartruvo® unter die Lupe. Das Zytostatikum wurde bereits am 9. November 2016 in der EU zur Behandlung von Erwachsenen mit fortgeschrittenem Weichteilsarkom zugelassen. Auflage der EMA war damals, dass der Hersteller weitere Daten zur Sicherheit und Wirksamkeit vorlegt.
Als im Januar 2019 vorläufige Ergebnisse der Phase-3-Studie ANNOUNCE verfügbar wurden, empfahl das CHMP Ärzten, keine Behandlung mit Lartruvo® neu zu beginnen (wir berichteten). Mittlerweile wurden alle Daten ausgewertet.
Eigentlich sollte ANNOUNCE nachweisen, dass Lartruvo® zu einem längeren Gesamtüberleben führt, verglichen mit Standardtherapien. Dieser primäre Endpunkt wurde nicht erreicht (20,4 Monate bei Lartruvo® plus Doxorubicin versus 19,8 Monate für Placebo plus Doxorubicin).
Speziell bei Leiomyosarkom-Patienten waren es 21,6 versus 21,9 Monate. Auch beim progressionsfreien Überleben (5,4 vs 6,8 Monate) als sekundärem Endpunkt gab es zwischen beiden Therapiearmen keinen statistisch signifikanten Unterschied.
Experten kommen zu dem Schluss, dass Lartruvo® plus Doxorubicin die Lebenserwartung von Patienten mit Weichteilsarkom nicht stärker verlängert als Doxorubicin allein. Deshalb wird empfohlen, die Zulassung des Arzneimittels zu widerrufen. Ab sofort sind keine neuen Therapien mit dem Pharmakon mehr möglich. „Bei Patienten, die bereits mit Lartruvo® behandelt werden, sollten Ärzte andere verfügbaren Behandlungsoptionen in Betracht ziehen“, schreibt der CHMP.
Nitrosamine in Arzneimitteln: Engmaschiges Monitoring gefordert
Nicht zuletzt ging es beim CHMP-Meeting auch noch um ein Ärgernis, das die Ärzte seit einem Jahr begleitet: Nitrosamin-Verunreinigungen in Sartanen. Anfang Februar hatten EMA-Experten bereits rechtsverbindliche Grenzwerte festgelegt. Im nächsten Schritt erarbeiten Experten gemeinsam mit Arzneimittelbehörden der Mitgliedsländer Maßnahmen, um zu verhindern, dass sich derartige Vorfälle wiederholen.
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Diesen Artikel so zitieren: EMA: 13 Zulassungsempfehlungen, ein ablehnendes Votum und Neues zu Nitrosaminen in Sartanen - Medscape - 29. Apr 2019.
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