TAVI-Begeisterung beim DGK-Kongress: „Der neue Goldstandard zur Behandlung der Aortenklappenstenose!“

Sonja Boehm

Interessenkonflikte

26. April 2019

Mannheim – Der Siegeszug des Katheter-gestützten Aortenklappen-Ersatzes (TAVI, Transcatheter Aortic Valve Implantation) ist nicht aufzuhalten – auch bei Patienten mit Aortenstenose und niedrigem OP-Risiko, für die bislang der chirurgische Klappenersatz die Therapie der Wahl war. Nachdem die Präsentation der hervorragenden Daten (wie berichtet) für den interventionellen Klappenersatz in der PARTNER-3- und der Evolut ™ Low Risk Studie beim ACC-Kongress in New Orleans bereits für „standing ovations“ des dortigen Publikums gesorgt hatten, zeigten sich die deutschen Kardiologen bei ihrer diesjährigen Tagung in Mannheim nicht minder begeistert.

 
Wenn in der Frühphase nach dem Eingriff so harte Endpunkte wie Schlaganfall oder Tod signifikant seltener auftreten, ist das ein mehr als überzeugendes Argument für die TAVI. Prof. Dr. Helge Möllmann
 

Nur noch „mit Einverständnis des interventionellen Kardiologen“?

Prof. Dr. Helge Möllmann, Dortmund, stellvertretender Sprecher der AG Interventionelle Kardiologie der DGK, forderte gemeinsam mit Prof. Dr. Karl-Heinz Kuck, Asklepios Klinik St. Georg in Hamburg, und dem Pressesprecher der DGK, Prof. Dr. Michael Böhm, Homburg/Saar, auf einer Kongress-Pressekonferenz entsprechende Konsequenzen aus den Studiendaten auch für die deutsche Praxis: „Die TAVI sollte, sofern sie anatomisch gut durchführbar ist, als Standardbehandlung erwogen und der chirurgische Klappenersatz bei Patienten ab 70 nur als Alternative in Erwägung gezogen werden“, so Möllmann.Und weiter: „Dementsprechend sollte der nach Zuweisung initial chirurgisch geplante Klappenersatz nur nach Einverständnis von interventionellen Kardiologen durchgeführt werden.“ Das wäre die Umkehr der bisher oft üblichen Vorgehensweise. Bei der war – zumindest laut den derzeit noch gültigen Leitlinien – der chirurgische Aortenklappenersatz für die Mehrzahl der Patienten, nämlich diejenigen mit niedrigem Operationsrisiko, die rund 80% ausmachen, die Therapie der ersten Wahl.

Genau diese derzeit noch gültigen Empfehlungen haben aber die neuen Studien auf den Kopf gestellt. In PARTNER-3 hatte sich die aktuell am häufigsten eingesetzte Transkatheterklappe, die Ballon-expandierte Sapien 3-Prothese, bei 1.000 Patienten mit Aortenklappenstenose und niedrigem chirurgischem Risiko dem operativen Klappenersatz als eindeutig überlegen erwiesen. Der primäre Endpunkt aus Tod, behinderndem Schlaganfall und Rehospitalisierung war nach einem Jahr um signifikante 46% seltener (8,5 vs 15,1%; p=0,001). Der Mortalitätsunterschied nach einem Jahr betrug 1 zu 2,5% zugunsten der TAVI.

Möllmann: „Wenn bei den Patienten in der Frühphase nach dem Eingriff so harte Endpunkte wie Schlaganfall oder Tod signifikant seltener auftreten, ist das ein mehr als überzeugendes Argument für die TAVI.“ In der Evolut Low Risk Studie, von der derzeit Interimsdaten nach einem Jahr vorliegen und beim ACC-Kongress präsentiert wurden, hatte sich die TAVI mit den dort getesteten Klappen bei rund 1.400 Patienten als mindestens gleichwertig zum chirurgischen Klappenersatz erwiesen. Hier war der primäre Endpunkt nur die Kombination aus Tod oder Schlaganfall mit bleibender Behinderung (Ereignisraten 5,3% unter TAVI und 6,7% bei OP).

Überraschend: Frühere Nachteile der TAVI finden sich in PARTNER-3 nicht mehr

Überraschend in der PARTNER-3-Studie: 2 Aspekte, die bislang als nachteilig bei der TAVI betrachtet worden waren, fanden sich hier nicht mehr. Zum einen gab es keine gesteigerte Notwendigkeit für Schrittmacher-Implantationen nach der TAVI – in den Anfängen der Technik hatte bis zu ein Viertel der Patienten nach dem Eingriff einen Schrittmacher erhalten. Zum anderen war auch das periprozedurale Schlaganfall-Risiko der TAVI nicht erhöht, sondern sogar niedriger als bei der Operation.

Die Erklärung der 3 Experten: Dank neuer Implantationstechniken und neuer Klappen sowie zunehmender Erfahrung mit der Technik in den Zentren, sinke das Komplikationsrisiko zunehmend. Da habe sich in den letzten Jahren einiges geändert. Möllmann: „Das geht heute wie´s Brezelbacken. Die Patienten sind in der Regel am 3. Tag wieder fit und aus der Klinik draussen.“

Dies lasse sich auch anhand der entsprechenden Daten, etwa im deutschen GARY-Register (German Aortic Valve Registry), ablesen. Auch dort würden die Ergebnisse immer besser, berichtete Möllmann.  Sein Fazit: „Die TAVI ist der neue Goldstandard zur Behandlung der Aortenklappenstenose.“

 
Das geht heute wie’s Brezelbacken. Die Patienten sind in der Regel am 3. Tag wieder fit Prof. Dr. Helge Möllmann
 

Das häufig gehörte Gegenargument, man wisse noch zu wenig zur Langzeit-Haltbarkeit der Klappen nach TAVI, lässt er nicht gelten: „Auch für den chirurgischen Klappenersatz gibt es keine echten Langzeitdaten.“ Immerhin gebe es für die TAVI schon Follow-up-Daten über 7 und mehr Jahre. „Daraus gibt es keinerlei Hinweise auf eine geringere Haltbarkeit der Klappen“, sagte Möllmann.  Erst im Februar seien Daten veröffentlicht worden, nach denen über 90% der Klappen auch nach 5 bis 10 Jahren keine Anzeichen für Degenerationen aufwiesen.

Ein eindeutiger Vorteil der TAVI ist laut Kuck, dass die Patienten schneller wieder fit und belastbar sind – und der Klinikaufenthalt deutlich kürzer ausfallen könne. Der Hamburger Kardiologe ist ebenfalls vollkommen überzeugt von der Überlegenheit der TAVI: „Ich würde mir selbst nie die Brust aufschneiden lassen für eine neue Aortenklappe."

Nun gelte es, die Rahmenbedingungen entsprechend der neuen Erkenntnisse anzupassen, darüber waren sich die Experten einig. „Das muss zu drastischen Veränderungen führen“, betonte Böhm. „Diese überwältigende Evidenz muss umgesetzt werden“, pflichtete ihm Kuck bei, „wir haben inzwischen Daten zur TAVI von mehr als 10.000 Patienten in randomisierten Studien.“

Zum einen müssten die Leitlinien entsprechend angepasst werden und die TAVI auch für Patienten mit niedrigem Risiko empfohlen werden. Die Altersgrenze solle von derzeit 75 Jahren auf „mindestens 70 Jahre gesenkt werden“, meint Möllmann.

 
Diese überwältigende Evidenz muss umgesetzt werden. Prof. Dr. Karl-Heinz Kuck
 

Für „die ganz jungen Patienten, die so um die 50 sind“, hält er es aber bislang für nicht angebracht, Aortenklappen per Katheter zu ersetzen. „Da liegen uns bisher keine Daten vor und der chirurgische Klappenersatz bleibt hier nach wie vor das Mittel der Wahl.“  

Der DGK-Vorstand habe nun beschlossen ein neues Positionspapier zu verfassen, das die neuen Daten und Empfehlungen zusammenfassen soll, teilte Möllmann mit. Er hoffe, dass diese Publikation auch von den Herzchirurgen mitgetragen werde. Er erwarte von G-BA und MDK eine möglichst rasche Umsetzung.

Im Übrigen scheint es aber, dass die Praxis den neuen Studiendaten doch bereits vorausgeeilt ist – wie schon des Öfteren in der interventionellen Kardiologie. „Sie (die aktuellen Studien) bestätigen ohnehin, was in Deutschland längst Versorgungsrealität ist“, gibt auch Möllmann zu. Er verweist auf Daten aus dem Deutschen Aortenklappenregister GARY. Danach gehörten ein „nicht unerheblicher Teil“ – nämlich über 50% – der mit TAVI behandelten Patienten bereits heute zur Niedrig-Risiko-Gruppe.

Möllmanns Erklärung: Es gebe viele Fakoren, die in den üblichen standardisierten Risikoscores nicht abgebildet würden – etwa ob ein Patient vorgealtert und „gebrechlich“ sei. Das könnte die lokalen Herzteams vor Ort veranlasst haben, trotz niedrigem Risikoscore eine Entscheidung zugunsten der TAVI zu fällen. „Die neuen Studiendaten spiegeln also wider, was wir im klinischen Alltag bereits erleben.“
 

Kommentar

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