Mannheim – Seit gestern gibt es in der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) eine neue Arbeitsgruppe: die „AG Atherosklerose“. Viele neue Entwicklungen bei den arteriosklerotischen Erkrankungen hätten eine solche Neugründung plausibel gemacht, erläuterte Prof. Dr. Ulf Landmesser, Direktor der Medizinischen Klinik für Kardiologie an der Charité Universitätsmedizin Berlin, der einer der Vorsitzenden beim ersten Treffen der AG auf dem DGK-Jahreskongress war [1].
Und tatsächlich behandelte diese erste Veranstaltung gleich alles, was derzeit aktuell ist bei der kardiovaskulären Risikoreduktion, angefangen von der lipidsenkenden und der blutdrucksenkenden Therapie und ihren aktuellen Zielwerten bis zur Frage nach der geeigneten Therapie für Diabetiker mit Herzerkrankungen.

Prof. Dr. Ulf Landmesser
Die aktualisierten Lipid-Leitlinien: Folgt Europa diesmal den USA?
Die USA haben es vorgemacht. Beim AHA-Kongress sind dort (wie berichtet) Ende letzten Jahres die aktualisierten Leitlinien zur Lipidsenkung vorgestellt worden. Nun sollen im Herbst die aktualisierten europäischen Lipid-Leitlinien folgen. Prof. Dr. Ulrich Laufs, Leiter der universitären Kardiologie am Universitätsklinikum Leipzig, sieht einige Trends der US-Leitlinie als vielversprechende Blaupause für die kommenden europäischen Leitlinien.
Er erinnerte daran, dass die individuelle Risikoreduktion, die sich bei einem Patienten erzielen lässt, von verschiedenen Faktoren abhängt: seinem vaskulären Gesamtrisiko, dem Ausgangs-LDL-Cholesterin, dem erreichten LDL-Ziel (hier gilt nach wie vor je niedriger, umso besser) und – was oft vergessen werde – auch der Dauer der Therapie.

Prof. Dr. Ulrich Laufs
Die derzeitigen ESC/ESH-Leitlinien stammen aus dem Jahr 2016. Sie sehen für das LDL-Cholesterin gestaffelte Zielwerte je nach Risikokategorie des Patienten vor: Als niedriges Risiko gilt ein europäischer ESC-SCORE von unter 1% beim 10-Jahresrisiko für ein tödliches kardiovaskuläres Ereignis, moderat ist das Risiko bei einem SCORE von 1 bis 5%, als hoch gilt ein 10-Jahres-Risiko zwischen 5 und 10% – und wer darüber liegt, hat ein sehr hohes Risiko. Die entsprechenden LDL-Ziele betragen bekanntlich: unter 70 mg/dl (sehr hohes Risiko), unter 100 (hohes Risiko) und unter 115 mg/dl (moderates Risiko).
Die neuen US-Leitlinien haben jedoch noch eine weitere Risikokategorie eingeführt: Patienten mit extrem hohem Risiko. „Ein sehr attraktives Konzept“, meint Laufs. „Es gibt nun mal Patienten, für die auch noch die 70 mg/dl eindeutig zu hoch sind.“
Es handelt sich dabei um diejenigen, die z.B. bereits mehrere kardiovaskuläre Ereignisse – auch unter einer Statintherapie – erlitten haben, oder solche, die ein schweres atherosklerotisch bedingtes kardiovaskuläres Ereignis hatten und mindestens 2 zusätzliche Risikokonstellationen aufweisen. Laufs führte als Beispiele auf: ein Alter über 65, Bluthochdruck, Rauchen, Diabetes eine chronische Nierenerkrankung oder ähnliches.
Solche „Extrem-Risikopatienten“ wären dann Kandidaten für noch niedrigere Zielwerte – und für eine Behandlung mit z.B. PCSK9-Inhibtoren, so der Experte. Für solche Patienten werden derzeit LDL-Ziele von unter 40 mg/dl (extremes Risiko) bzw. von 55 mg/dl für die Hochrisiko-Patienten diskutiert, berichtete er.
Neue Leitlinien zur Blutdruck-Senkung: Die Definition blieb, der Zielwert nicht
Erst im vergangenen Jahr hat die ESH/ESC – wie berichtet – die neuen europäischen Leitlinien zur Blutdrucksenkung vorgestellt. „Die Definition einer arteriellen Hypertonie hat sich darin zwar nicht geändert (ab 140/90 mmHg) – aber der Ziel-Blutdruck schon“, berichtete Prof. Dr. Felix Mahfoud, Uniklinikum des Saarlandes, Homburg/Saar, der einen kurzen Überblick über die neuen Empfehlungen auf der Veranstaltung gab.
Neu wurde ein Zielkorridor für die antihypertensive Therapie definiert, der bei 120 bis 130 mmHg systolisch und 70 bis 80 mmHg diastolisch liegt. Für Patienten im Alter ab 65 Jahre liegt der Zielkorridor bei 130 bis 140 mmHg – ist also ebenfalls niedriger als in früheren Empfehlungen.
Bleibt die Frage, mit welchem Antihypertensivum dieses Ziel angestrebt werden sollte. Die eindeutige Aussage der Leitlinien dazu, laut Mahfoud: „Alle verfügbaren fünf Klassen von Antihypertensiva senken das kardiovaskuläre Risiko – auch die Betablocker!“ Dabei haben aber alle Wirkstoffklassen ihre spezifischen Vor- bzw. Nachteile:
Diuretika sind besonders gut darin, eine Herzinsuffizienz zu verhindern,
Betablocker haben ihre Schwächen darin, einem Schlaganfall vorzubeugen,
Calcium-Kanalblocker sind dagegen besonders gut in der Prävention eines Schlaganfalls, haben aber Schwächen bei der Herzinsuffizienz
und ACE-Hemmer wiederum sind besonders stark in der KHK-Prävention und bei der Herzinsuffizienz.
Und die Konsequenz daraus? Die Zukunft gehört der frühen Kombinationstherapie, so sehen es die Leitlinien und auch Mahfoud. Er zitierte eine „witzige“ kleine australische Studie, in der 55 Hypertoniker eine Therapie mit 4 verschiedenen Antihypertensiva – alle aber nur in sehr, sehr niedriger Dosis – erhalten hatten. Die Kapsel mit der Fix-Kombi, die jeweils ein Viertel der Standarddosis von Irbesartan, Amlodipin, HCT und Atenolol enthielt, habe zu „dramatischen Senkungen“ des Blutdrucks geführt.
Die neuen Leitlinien empfehlen dementsprechend bereits den Einstieg mit einer 2-fach-Kombi aus ACE-Hemmer oder Angiotensin-Rezeptor-Blocker (ARB) plus Calcium-Antagonist oder Diuretikum. Reicht dies nicht, ist der nächste Schritt die 3-fach-Kombi aus ACE-Hemmer oder ARB mit Calcium-Kanalblocker und Diuretikum. Und muss weiter intensiviert werden, steht die zusätzliche Gabe eines Aldosteron-Antagonisten wie Spironolacton auf dem Programm. Betablocker haben laut Leitlinien auch noch ihre Berechtigung, etwa bei Patienten mit kardialer Komorbidität sowie bei jüngeren Frauen. Und Device-basierte Therapien wie die renale Denervation sind eine Alternative im Rahmen klinischer Studien.
Diabetes-Therapie – ebenfalls mit neuen Leitlinien aufgrund aktueller Studien
Ebenfalls aktuell haben, wie berichtet, auch ADA und EASD im Jahr 2018 ihre Behandlungsleitlinien für Diabetes-Patienten aktualisiert. Denn auch hier hat sich infolge der großen kardiovaskulären Endpunktstudien der vergangenen Jahre einiges getan. PD Dr. Katharina Schütt, Uniklinik RWTH Aachen, fasste die Neuerungen kurz zusammen.
Metformin bleibe zwar insgesamt das Firstline-Diabetes-Medikament. Doch für Patienten, die zusätzlich bereits eine kardiovaskuläre Erkrankung haben, sind SGLT2-Inhibitoren und GLP-1-Rezeptoragonisten (Liraglutid und Semaglutid) wegen ihres in den Endpunktstudien belegten kardiovaskulären Zusatznutzens nun die Therapie der Wahl.
Dabei ließen die Studiendaten schließen, dass GLP-1-RA vor allem über die Reduktion arteriosklerotischer Ereignisse ihre Wirkung entfalteten, die SGLT-2-Inhibitoren dagegen über eine Prävention Herzinsuffizienz-bedingter Ereignisse, erläuterte die Expertin.
SGLT-2-Hemmer werden auch bei Diabetikern mit chronischer Niereninsuffizienz in den neuen Leitlinien empfohlen. Sie wirken sich auf renale Endpunkte – vor allem die Albuminurie – günstig aus. Gestartet werden kann die Therapie, wenn die glomeruläre Filtrationsrate (GFR) über 60 ml/min/1,73 m² liegt, fällt die GFR unter 45 sollte die SGLT-2-Hemmertherapie allerdings beendet werden.
Die DPP-4-Hemmer haben in den kardiovaskulären Endpunktstudien neutral abgeschnitten – und sie können ebenfalls bei Diabetikern mit Herzinsuffizenz eingesetzt werden, erklärte Schütt. Dies gelte jedoch nicht für Saxagliptin, unter dem in der SAVOR-TIMI 53 Studie das Risiko für Herzinsuffizienz-bedingte Klinikeinweisungen erhöht war. Für Insulin seien die Daten bei herzinsuffizienten Diabetikern widersprüchlich, Sulfonylharnstoffe könnten vielleicht ungünstig sein und Glitazone gelten bei Herzinsuffizenz sowieso als kontraindiziert.
Medscape Nachrichten © 2019
Diesen Artikel so zitieren: Atherosklerose beim DGK: Aktuelle Leitlinien zu Lipiden, Bluthochdruck und Diabetes – und ihre praktische Umsetzung - Medscape - 25. Apr 2019.
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