Ohne sie geht mancherorts fast nichts mehr in der Hausarzt-Medizin. Seit 10 Jahren arbeiten in deutschen Arztpraxen die Versorgungsassistentinnen in der Hausarztpraxis (VERAH®). Inzwischen gehen nach Angaben des Hausärzteverbandes rund 12.000 speziell fortgebildete Medizinische Fachangestellte (MFA) als VERAHs selbstständig auf Hausbesuch oder unterstützen die Hausärzte in der Praxis.

Ulrich Weigeldt
Anlässlich des Jubiläums sagte Ulrich Weigeldt, Bundesvorsitzender des Hausärzteverbandes (HÄV): „Die VERAH® ist das beste Beispiel für ein innovatives und erfolgreiches Versorgungsmodell – ganz im Gegensatz zu anderen Konzepten, die fernab der Praxis umgesetzt werden! Anstatt irgendwelche neuen Berufsgruppen zu propagieren, sollten lieber die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Praxen gefördert werden! Genau da setzen wir an!“
Hannelore König dagegen, 1. Geschäftsführende Vorsitzende des Verbandes medizinischer Fachberufe e.V., befürwortet auf Anfrage von Medscape, eine erweiterte Aufgabenstellung für die VERAHs im Sinne von speziell ausgebildeten Physician Assistants.
200-stündiges Curriculum und Fortbildungen nach Bedarf
Der Bremer Hausarzt und Vorsitzender des Institutes für hausärztliche Fortbildung (IhF) des HÄV Dr. Hans-Michael Mühlenfeld ist einer der „Erfinder“ der VERAH. Er berichtet, wie in Rheinland-Pfalz die AOK den aus der Klinik entlassenen Patienten Krankenhausschwestern nachschickten, um sie besser zu versorgen und Wiedereinweisungen zu verhindern.
„Wir fanden es dann besser, dass dies von der Hausarztpraxis aus geschieht“, so Mühlenfeld. „2007 haben wir dann die ersten MFAs in Besuchsmanagement geschult.“
Darauf hat der Verband zunächst eine entsprechende Ausbildung geschaffen und sie später zu einem festen Curriculum für die VERAHs weiterentwickelt. Es besteht aus insgesamt 200 Stunden Unterrichtseinheiten in Seminaren, beim Arbeitgeber und einem weiteren Praktikum. Ohne den Arbeitsausfall gerechnet kostet die Ausbildung einer VERAH 1.800 Euro.
Das Aufgabenspektrum entscheidet sich „bottom up“, wie Mühlenfeld sagt. In zusätzlichen VERAH-plus-Modulen versucht der HÄV den Bedarf der Praxen an neuen Fortbildungsinhalten zu decken.
„Weil wir die Aufgaben der VERAHs immer an den Bedürfnissen der Praxen und Patienten entlang entwickeln, ist das Konzept auch so erfolgreich“, meint der Bremer Hausarzt. So seien aus den „Arzthelferinnen“ und „Sprechstundenhilfen“ vergangener Jahre inzwischen Expertinnen in Wundversorgung oder Palliativmedizin geworden.
„Die VERAHs entlasten uns hier enorm“, betont Mühlenfeld. „Zum Beispiel mache ich bei unseren Palliativpatienten nur noch jeden zweiten Hausbesuch. Die andere Hälfte machen die VERAHs.
„Unsere Praxis mit 7 Ärztinnen und Ärzten versorgt Patienten in 2 Heimen“, berichtet Mühlenfeld. „Da ist für jedes Heim eine VERAH als Fall-Führerin zuständig. Inzwischen halten die 3 VERAHs in unserer Praxis sogar eigene Sprechstunden ab. Die VERAHs greifen dann nur noch bei Bedarf auf einen Arzt zurück.“
Konkurrenzmodell NäPA
Abgerechnet werden die VERAH-Leistungen über Zuschläge im Rahmen der Hausarztzentrierten Versorgung (HzV). Patienten, die sich nicht eingeschrieben haben, können also nicht von VERAHs versorgt werden.
Deshalb greift Mühlenfeld, wie viele andere Hausärzte auch, auf das Konkurrenzmodell der Bundesärztekammer zurück – auf die nichtärztliche Praxisassistentin (NäPA). Sie werden mit einem extrabudgetären Zuschlag auf den EBM vergütet. „Damit ich alle Patienten durch speziell fortgebildeten MFAs versorgen kann, sind meine MFAs sowohl VERAHs als auch NäPAs“, sagt Mühlenfeld.
Damit es zu keinen Kollisionen der Qualifikationen kommt, haben der Hausärzteverband und die Bundesärztekammer 2014 ein „Memorandum of Understanding“ geschlossen. Damit eine NäPA sich auch VERAH nennen und entsprechend abgerechnet werden kann, muss sie besondere Ausbildungsinhalte des HÄV nachweisen.
Vergleichbares gilt für VERAHs, die sich auch NäPA nennen wollen. Sie müssen weitere Ausbildungsinhalte der Kammer absolvieren. Beide Institutionen erkennen die Ausbildung der jeweils anderen an.
Noch mehr Aufgaben für die VERAHs?
Perspektivisch sollen VERAHs noch mehr Patienten in eigenen Sprechstunden aber unter Supervision der Ärzte versorgen. Mühlenfeld rechnet mit einem Bedarf von 2 VERAHs pro Praxis.
Physician Assistants dagegen hält der Hausarzt für „fehl-ausgebildet“, denn sie seien nicht in der Praxis, sondern akademisch ausgebildet. „PAs sind überhaupt nicht vorbereitet auf die Aufgaben, die sie erwarten“, betont Mühenfeld.
Das sieht allerdings König vom Verband medizinischer Fachberufe e.V. anders. Zwar wünscht auch sie sich eine erweiterte Aufgabenstellung und mehr Kooperation, kann sich aber PAs gut vorstellen. „Wir befürworten (daher) den Physician Assistant als Perspektive nicht nur für die Medizinischen Fachangestellten als Karrierepfad, sondern auch aus der Sicht der Versorgung der Patientinnen und Patienten“, schreibt König auf Anfrage von Medscape.
Allerdings solle diese erweiterte Aufgabenstellung weiterhin unter der Verantwortung des Arztes im Rahmen der Delegation bleiben, meint König. „Wir erwarten durch den berufsbegleitenden Studiengang mehr Rechtssicherheit für die ärztlichen Leistungen, die ein PA dann übernimmt, und nicht nur eine Sicherstellung der ambulanten Versorgung, sondern auch eine Verbesserung.“
Außerdem sieht König die Option, dass VERAHs eines Tages in unterversorgten Regionen ohne Arzt vor Ort arbeiten könnten. König: „Da dies den derzeitigen rechtlichen Rahmen übersteigt, kann dies nur durch umfangreiche telemedizinische Anwendungen kompensiert werden.“
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Diesen Artikel so zitieren: Mitunter schon unentbehrlich: In 10 Jahren entwickelten sich VERAHs zum Erfolgsmodell – wie geht es weiter? - Medscape - 24. Apr 2019.
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