Nahrungsergänzungsmittel sind in der Bevölkerung beliebt – aber wer auf mehr Gesundheit und Lebensverlängerung durch deren Einnahme hofft, wird enttäuscht: Laut einer aktuellen Analyse der prospektiven US-Kohortenstudie NHANES ist die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln generell nicht mit einer Abnahme der Mortalität assoziiert.
Das berichten Fan Chen von der Friedman School of Nutrition Science and Policy, Tufts University, und Kollegen in den Annals of Internal Medicine [1]. In Subanalysen fanden die Forscher sogar bei Menschen, die Calcium-Supplemente in höherer Dosis nahmen, eine Assoziation mit mehr Todesfällen an Krebs.
„NHANES ist zu Fragen des Effekts von Nahrungsergänzungsmitteln eine der besten Kohortenstudien, die es gibt“, sagt Dr. Tilman Kühn zu Medscape. Er arbeitet in der Abteilung Epidemiologie von Krebserkrankungen des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) Heidelberg. „Das liegt vor allem an einer relativ genauen Abfrage der Supplemente bei den Teilnehmern.“
Zwar würden 30 Tage nur einen Schnappschuss darstellen – über diesen Zeitraum war für die Erhebung die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln abgefragt worden. Allerdings hätten die Autoren weitere Informationen wie den Präparate-Namen, die Dosierung und die Anwendungsdauer der Supplemente erfasst. „Solche Details fehlen in vielen Kohortenstudien“, ergänzt Kühn.
Der Experte kann nicht ausschließen, dass Störfaktoren trotz statistischer Korrektur zum Tragen kommen: „Vielleicht hatten die Nutzer von Supplementen per se mehr Vorerkrankungen?“ Zwischen Anwendern und Nicht-Anwendern gebe es laut Paper jedenfalls Unterschiede in der Ethnie, im Bildungsgrad, im Einkommen oder im Nikotinkonsum.
„Eine Restunsicherheit bleibt eben trotz der statistischen Korrektur“, gibt Kühn zu bedenken. „Randomisierte kontrollierte Studien sind natürlich der Königsweg; diese kann man aber nicht über so lange Zeiträume durchführen.“
Speziell beim Thema Calcium verweist er auf ältere Interventionsstudien. Diese hätten eine Assoziation mit weniger Darmkrebs, aber mit mehr aggressiven Prostata-Karzinomen gezeigt. „Man hätte erwarten können, dass sich beide Effekte austarieren, so dass wir keine Assoziationen mit höherer oder niedrigerer Sterblichkeit sehen“, ergänzt der Experte. „Das erhöhte Risiko ist für mich ein eher überraschendes Ergebnis“.
Bei Heidelberger Daten zur European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition (EPIC)-Studie habe man Assoziationen zwischen der Gabe von Calcium-Supplementen und mehr Herzinfarkten gesehen.
Hohe Popularität von Supplementen
Chens Arbeit will Ärzten und Apothekern eine bessere Beratung von Patienten zu den gesundheitlichen Folgen von Supplementen ermöglichen. Befragungen zufolge nehmen mehr als die Hälfte aller erwachsenen US-Bürger innerhalb eines Monats Nahrungsergänzungsmittel ein. Ob die Präparate ohne nachgewiesenen Mangel eher nützlich oder schädlich sind, ist umstritten.
Neben Berichten über fehlende Effekte liefern einige randomisierte kontrollierte Studien Hinweise auf unerwünschte Effekte, speziell bei hoch-dosierten Präparaten. So zeigten beispielsweise die ATBC-Studie (Alpha-Tocopherol, Beta-Carotin-Krebsprävention) und die CARET-Studie (Beta-Carotene and Retinol Efficacy Trial), dass Carotin-Nahrungsergänzungsmittel (20 oder 30 mg/d) das Risiko für Lungenkrebs bei Rauchern erhöhen.
Und laut SELECT (Selenium and Vitamin E Cancer Prevention Trial) führt Vitamin E (400 IU/d) zu mehr Prostatakrebs bei Männern. Die Cancer Prevention Study II, eine Kohortenstudie, fand Hinweise, dass die Aufnahme von 1.000 mg Calcium pro Tag oder mehr mit einem erhöhten Sterberisiko bei Männern verbunden war, aber niedrigere Dosen (<1000 mg/d) oder Calcium aus Lebensmitteln zeigten keine nachteilige Wirkung.
„Daher können sowohl die Dosis des Supplements als auch die Nährstoffquelle, also Lebensmittel oder Nahrungsergänzungsmittel, eine entscheidende Rolle bei der Bestimmung der Vorteile oder Risiken der Nährstoffaufnahme spielen“, schreiben Chen und Kollegen.
Daten von mehr als 30.000 US-Amerikanern ausgewertet
Basis ihrer Studie waren Daten von NHANES (National Health and Nutrition Examination Survey), einer repräsentativen Stichprobe von US-Erwachsenen. Die Analyse der prospektiven Kohortenstudie schloss 30.899 US-Amerikaner im Alter von mindestens 20 Jahren ein und lief von 1999 bis 2010. Alle Probanden mussten Fragen zur Verwendung von Nahrungsergänzungsmitteln bzw. zur Ernährung selbst beantworten. Hinzu kamen Sterblichkeitsdaten des National Death Index.
Bei der Auswertung bestimmte Chens Team die Gesamtmenge an Vitaminen bzw. Mineralstoffen über Lebensmittel und über Supplemente innerhalb der letzten 30 Tage. Auch die Mortalität wurde erfasst. Während eines medianen Follow-up von 6,1 Jahren starben 3.613 Teilnehmer. 945 Todesfälle gingen auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen und weitere 805 Todesfälle auf Krebserkrankungen zurück.
Keine Assoziation mit höheren Krebsrisiken
„Die regelmäßige Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln war nicht mit einer höheren Gesamtmortalität assoziiert“, fassen die Autoren zusammen. Vitamin K (relatives Risiko [RR] 0,79) und Magnesium (RR 0,85) standen sogar mit einer niedrigeren Gesamtmortalität in Verbindung.
Bei Vitamin A (RR 0,61), Vitamin K (RR 0,68), Kupfer (RR 0,29) und Zink (RR 0,50) gab es Assoziationen mit einer niedrigeren kardiovaskulären Mortalität. Das galt Detailanalysen zufolge aber nur bei der Aufnahme über Lebensmittel.
Große Calciummengen über 1.000 mg pro Tag waren mit einer höheren Krebssterblichkeit assoziiert (RR 1,62), allerdings nur bei Supplementationen. Speziell bei Patienten mit normalem Vitamin-D-Spiegel (≥ 50 nmol/l) standen zusätzliche Gaben des Vitamins mit einer höheren Gesamtmortalität (RR 1,34) und mit einer höheren Mortalität durch Krebserkrankungen (RR 2,11) in Verbindung.
Aufgrund der Größe ihrer Stichprobe sind jedoch keine differenzierten Aussagen über Assoziationen mit bestimmten Krebsarten oder bestimmten kardiovaskulären Erkrankungen möglich.
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Diesen Artikel so zitieren: Im besten Fall wirkungslos? Nahrungsergänzung verringert Mortalität nicht – Hinweise auf Risiken durch Calcium - Medscape - 18. Apr 2019.
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