Notstand in der Notfallversorgung: KV testet Kooperation mit dem Rettungsdienst – Kölner Modellprojekt

Julia Rommelfanger

Interessenkonflikte

16. April 2019

Köln – Immer mehr Patienten rufen den Rettungsdienst, auch ohne akuten medizinischen Notfall. Die Folge: Rettungsdienste und Notfallambulanzen der Krankenhäuser sind überlastet. Eine Kooperation des Rettungsdiensts mit dem ambulanten und stationären Notdienst wurde als mögliche Lösung auf dem „Gesundheitskongress des Westens“ diskutiert [1].

„Ein Notfall ist nicht immer ein Notfall. Immer mehr Menschen rufen die 112, obwohl sie auch anders versorgt werden könnten“, sagte Dr. Frank Bergmann, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein (KVNO).

Portalpraxen zum Steuern von Patienten

Die Patienten, so der Tenor der Teilnehmer des Experten-Forums „Härtetest Notfallversorgung“, nehmen den Rettungsdienst nicht nur im medizinischen Notfall in Anspruch, sondern „fordern diese Ressource auch bei Bagatellerkrankungen“, bemerkte Moderator Dr. Heinz-Wilhelm Esser, Facharzt für Innere Medizin, Pneumologie und Notfallmedizin am Sana-Klinikum Remscheid, auch bekannt als „Doc Esser“ im Gesundheitsmagazin des WDR.

Diese „veränderte Inanspruchnahme“ des Rettungsdiensts, gepaart mit einem Ärzte- und Pflegekräftemangel, führe zu immer knapperen Ressourcen in der Notfallversorgung, sagte Dr. Stephan Hofmeister, Stellvertretender Vorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV). Erster Ansatz seitens der Kassenärzte: der Ausbau des immer noch wenig bekannten Bereitschaftsdiensts unter der Nummer 116 117.

Dr. Frank Bergmann

Hierzu starte die KBV im 2. Halbjahr 2019 eine Werbekampagne. Des Weiteren sollen in Kliniken immer mehr Portalpraxen entstehen: Bereitschaftsdienstpraxen also, die direkt an die Notaufnahmen der Kliniken angegliedert sind. Rund 650 dieser Praxen mit gemeinsamem Tresen zur Ersteinschätzung ankommender Patienten existieren laut KBV bereits deutschlandweit.

Gemäß dem im Mai 2019 in Kraft tretenden Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) sollen außerdem die Terminservicestellen mit der Notfallnummer 116 117 vernetzt werden und rund um die Uhr erreichbar sein. Bis 1. Januar 2020 müsse diese Vorgabe umgesetzt, also entsprechende Strukturen für die Vernetzung aufgebaut sein, sagte Hofmeister. „Das ist ein Härtetest und angesichts knapper Ressourcen eine Herausforderung.“

 
Durch die bessere Zusammenarbeit und eine direkte Vernetzung der 3 Sektoren … werden alle Beteiligten entlastet. Dr. Frank Bergmann
 

Jedoch helfe die Vernetzung, „Patienten in die richtige Versorgungsebene zu leiten“. Hofmeister schätzt den Anteil der „Irrläufer“, die ohne Not die 112 wählen oder die Notaufnahme aufsuchen, auf 30 bis 40%. „Wenn wir diese Patienten anders versorgen, nehmen wir den Druck aus dem System“, sagte er.

Kölner Modellprojekt „Komplementäre Notdienstversorgung“

Dieses Ziel strebt auch ein auf 2 Jahre angelegtes Kooperationsprojekt in Köln an, das die KVNO seit Januar 2019 mit dem Rettungsdienst zusammen erprobt. Recherchen hätten ergeben, dass der Rettungsdienst mehr Einsätze fahre, die Zahl der akuten Fälle jedoch abnehme, sagte Bergmann. Das liege auch daran, dass außerhalb der Öffnungszeiten der unter 116 117 erreichbaren Arztrufzentrale von ambulant zu behandelnden Patienten die 112 angerufen werde und es bislang so gut wie keine Vernetzung der Systeme gebe.

Eine Analyse der Stadt Köln habe ergeben, dass 15% der rund 60.000 Patienten, die von Juli 2018 bis Januar 2019 den Rettungsdienst angerufen hatten, vom Hausarzt hätten versorgt werden können, berichtete Prof. Dr. Dr. Alexander Lechleuthner, Ärztlicher Leiter des Rettungsdiensts in Köln. Die sektorenübergreifende Versorgung unter Einbezug der dritten Säule, des Rettungsdiensts, wird „in Zukunft alternativlos sein“, prognostizierte Bergmann.

Dr. Stephan Hofmeister

Erste lokale Maßnahme zur Optimierung dieser Strukturen war in Köln eine ebensolche „inhaltliche und technische Vernetzung“ der Leitstelle und der Arztrufzentrale. Patienten, die von der Leitstelle nicht als Akutfälle eingestuft wurden, seien bereits vor dem Projektstart an die 116 117 verwiesen worden, allerdings „ohne durchzustellen“, erklärte Lechleuthner.

Ziel sei es, durch die Vernetzung die Zahl der Rettungseinsätze tagsüber zu verringern. Leistelle und Arztrufzentrale arbeiten zwar weiterhin nebeneinander, sind jetzt jedoch vernetzt, sodass Anrufe überstellt werden können.

Beteiligt an dem Projekt sind aktuell 35 Kooperationspraxen, davon 10 hausärztliche, die tagsüber Patienten übernehmen, die nicht als akute Notfälle eingestuft werden. Diese Praxen, so Bergmann, sollen für die Übernahme eines von der Leitstelle oder der Arztrufzentrale zugewiesenen Patienten einen Zuschlag von 20 Euro erhalten.

Entlastung für alle

„Durch die bessere Zusammenarbeit und eine direkte Vernetzung der 3 Sektoren – ambulante und stationäre Versorgung sowie Rettungsdienst – werden alle Beteiligten entlastet und Patienten vielleicht in Zukunft besser zu dem ihrem Bedarf angepassten Versorgung gesteuert“, sagte Bergmann. Er erwartet, dass pro Jahr „mehrere tausend Patienten“ in die Portalpraxen statt in die Notaufnahmen der Kliniken geleitet bzw. bei Immobilität auch gebracht werden und somit Rettungsleitstelle und die Notaufnahmen damit entlastet werden.

Prof. Dr. Dr. Alexander Lechleuthner

Diese Entlastung sei dringend notwendig, sagte Prof. Dr. Horst Kierdorf, Klinischer Direktor der Kliniken der Stadt Köln, deren Notfallambulanz einen „zunehmenden Patientenstrom“ verzeichnet, und das in Zeiten „steigender Kosten und sinkender Refinanzierung“. Seit 2014 sei die Fallzahl in der Notaufnahme um 30% gestiegen.

 
Bei den Patienten herrscht eine Vollkasko-Mentalität. Prof. Dr. Horst Kierdorf
 

Das Bemerkenswerte: Nicht über Nacht, wenn die Arztpraxen geschlossen sind, sondern über Tag wird die Notaufnahme vermehrt von ambulant behandelbaren Patienten aufgesucht. „Bei den Patienten herrscht eine Vollkasko-Mentalität“, so Kierdorfs Ansicht. Um die Patienten herauszufiltern, die wirklich akut behandelt werden müssen, begrüße er die „Triage vor der Triage“, den gemeinsamen Tresen der Portalpraxen also.

Diese seien zwar vielerorts bereits eingerichtet, jedoch sei „das Zusammenspiel zwischen stationärem und ambulantem Sektor noch nicht geölt“, sagte Bergmann. Mitarbeiter beider Seiten müssten geschult werden hinsichtlich des Workflows und der Patiententriage.
 

Kommentar

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