Alles andere als harmlos: Tägliches Kiffen erhöht Psychose-Risiko deutlich – hochpotentes Cannabis besonders gefährlich

Anke Brodmerkel

Interessenkonflikte

12. April 2019

Menschen, die täglich Cannabis konsumieren, erkranken rund 3 Mal häufiger an einer Psychose als Nicht-Konsumenten. Enthält das verwendete Cannabis mehr als 10% der psychoaktiven Substanz Tetra-Hydro-Cannabinol (THC), treten Psychosen sogar 5 Mal häufiger auf.

So lauten die beiden zentralen Ergebnisse einer Fall-Kontroll-Studie mit mehr als 2.000 erwachsenen Probanden aus Europa und Brasilien, die Wissenschaftler um Dr. Marta Di Forti vom Institute of Psychiatry, Psychology, and Neuroscience am King's College London jetzt im Fachblatt The Lancet Psychiatry veröffentlicht haben [1].

Gefährlich ist vor allem hochpotentes Cannabis mit mehr als 10% THC

Würde hochpotentes Cannabis mit einem THC-Gehalt von mehr als 10% vom Markt verschwinden, ließen sich allein dadurch 12% der psychotischen Ersterkrankungen verhindern, haben Di Forti und ihre Kollegen berechnet. In London wären es (aufgrund einer jährlichen Reduzierung der Fälle von 45,7 auf 31,9 bezogen auf 100.000 Menschen) sogar 30% und in Amsterdam (durch eine entsprechende Senkung von 37,9 auf 18,8 Fälle) 50%. In beiden Städten ist Cannabis mit einem besonders hohen THC-Gehalt inzwischen sehr verbreitet.

„Unsere Ergebnisse bestätigen die Resultate früherer Studien, die gezeigt haben, dass sich der Konsum von hochpotentem Cannabis auf die mentale Gesundheit deutlich negativer auswirkt als die Verwendung milderer Sorten“, wird Di Forti in einer Pressemitteilung von The Lancet zitiert. Zudem liefere ihre Untersuchung erstmals Aufschlüsse darüber, wie der Konsum von Cannabis die Inzidenz psychotischer Störungen auf Bevölkerungsebene beeinflusse.

Die Ergebnisse sind Experten zufolge auf Deutschland übertragbar

„Das intelligente Design, das den täglichen Konsum und den Hochdosiskonsum von Cannabis mit der Psychose-Inzidenz vergleicht, zeigt überzeugend einen Zusammenhang zwischen Psychose-Entstehung und Cannabiskonsum“, kommentiert Prof. Dr. Ursula Havemann-Reinecke, Oberärztin an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Göttingen.

Die Studie von Di Forti und ihrem Team belege einmal mehr, dass die Droge keine harmlose Substanz sei. „Cannabis sollte nicht so einfach legalisiert und von der Wirtschaft reguliert werden“, fordert die Medizinerin.

 
Das intelligente Design, das den täglichen Konsum und den Hochdosiskonsum von Cannabis mit der Psychose-Inzidenz vergleicht, zeigt überzeugend einen Zusammenhang zwischen Psychose-Entstehung und Cannabiskonsum. Prof. Dr. Ursula Havemann-Reinecke
 

Unterstützung erhält Havemann-Reinecke unter anderem von ihrem Hamburger Kollegen Prof. Dr. Rainer Thomasius, Ärztlicher Leiter des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters (DZSKJ) am Universitätsklinikum Eppendorf (UKE). „Die Ergebnisse der Studie sind auf Deutschland übertragbar“, sagt Thomasius.

Dem Drogen- und Suchtbericht 2018 zufolge sei der THC-Gehalt in Cannabisprodukten auch hierzulande in den vergangenen Jahren sehr stark angestiegen und liege im Fall von Haschisch, dem gepressten Harz der Hanfpflanze, inzwischen bei durchschnittlich 14,7% und bei Marihuana, den getrockneten Blüten, bei 13,1%.

In den US-amerikanischen Bundesstaaten, die Cannabis legalisiert haben, steige der durchschnittliche THC-Gehalt als Folge der Legalisierung stetig weiter an, betont Thomasius. So seien dort teilweise mittlerweile Cannabisprodukte mit einem THC-Gehalt zwischen 40 und 50% erhältlich.

„Es steht zu befürchten, dass die Legalisierung von Cannabis zu einer deutlichen Zunahme des Erkrankungsrisikos an Psychosen führen wird“, warnt der Suchtmediziner. Die aktuelle Studie sei ein weiterer Beleg dafür, dass dieser Schritt in gesundheitspolitischer Hinsicht verheerende Folgen habe.

Die aktuelle Studie bestätigt auch die Resultate früherer Untersuchungen

„Dies ist eine sehr sorgfältig durchgeführte Studie, die versucht zu erklären, warum die Inzidenz der Psychosen europaweit so sehr variiert“, kommentiert Prof. Dr. Dieter Meyerhoff vom Department of Radiology und Department of Psychiatry der University of California in San Francisco (UCSF). „Relativ klar ist schon von anderen großen Studien, dass Cannabiskonsum das Risiko für Psychosen erhöht, und diese große europäische Studie bestätigt das auch.“

 
Relativ klar ist schon von anderen großen Studien, dass Cannabiskonsum das Risiko für Psychosen erhöht, und diese große europäische Studie bestätigt das. Prof. Dr. Dieter Meyerhoff
 

Darüber hinaus bringe die Untersuchung nicht nur erhöhten Cannabisgebrauch mit der Entwicklung von Psychosen in Verbindung, sondern zeige auch, wie spezielle Gebrauchsformen – täglicher Gebrauch und Konsum von hochkonzentrierten Produkten mit einem THC-Gehalt von teilweise mehr als 60% – mit der Anzahl erstmalig auftretender Psychosen im Zusammenhang stünden.

Heutige Cannabissorten enthalten wenig schützendes CBD

Für ihre Studie sammelten Di Forti und ihre Kollegen zwischen 2010 und 2015 an 11 Zentren in Europa und einem Ort in Brasilien die Daten von mehr als 2.000 Menschen im Alter zwischen 18 und 64 Jahren. Anschließend verglichen sie den Cannabiskonsum von 901 Patienten, bei denen in diesem Zeitraum erstmals eine psychotische Erkrankung festgestellt worden war, mit dem Konsum von 1.237 soziodemographisch vergleichbaren Probanden.

Die Häufigkeit des Cannabisgebrauchs und die ungefähre Stärke der verwendeten Produkte ermittelten die Forscher anhand freiwilliger Selbstauskünfte ihrer Teilnehmer und von Daten der Europäischen Drogenbeobachtungsstelle EMCDDA.

Dies sei sicherlich eine Limitation der Studie, kommentiert Dr. Eva Hoch, die Leiterin der Forschungsgruppe Cannabinoide am Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU). Die verwendeten Schätzwerte würden nur einen groben Anhaltspunkt für die Stärke des Cannabisprodukts geben und keine Rückschlüsse über das tatsächliche Cannabinoid-Profil der konsumierten Droge ermöglichen – also über das Verhältnis von THC zu Cannabidiol (CBD). CBD ist der zweite Hauptwirkstoff in Cannabis. Ihm werden protektive Eigenschaften zugeschrieben, zum Beispiel antipsychotische Effekte.

Parallel zum Anstieg des THC-Gehaltes sei der Anteil von CBD in den vergangenen Jahren international deutlich gesunken, sagt Hoch. Viele hochgezüchtete Cannabissorten enthielten heute nur noch sehr wenig CBD. „Die Wirkung von THC kann dadurch nicht abgemildert werden, die gesundheitlichen Risiken steigen“, so die Cannabis-Expertin.

Jede 5. Psychose geht womöglich auf täglichen Cannabiskonsum zurück

„Cannabiskonsumenten sind aus meiner Sicht Spezialisten in der Einschätzung der Stärke des Cannabis, das sie konsumieren“, sagt hingegen die Göttinger Ärztin Havemann-Reinecke. „CBD konnte verständlicherweise nicht in dieser Weise bewertet werden, da es wenig klinische Kriterien für die Konsumenten selbst und auch für die Wissenschaftler gibt, nach denen die Stärke eingeschätzt werden kann.“ Eine entsprechende Studie zur Untersuchung des CBD-Gehaltes wäre wünschenswert, dürfte aber aktuell schwer zu erheben sein, fürchtet die Medizinerin.

Mit den vorhandenen Daten ermittelten Di Forti und ihr Team, dass von den 901 Probanden, bei denen im Untersuchungszeitraum erstmalig eine Psychose aufgetreten war, 266 (29,5%) täglich Cannabis konsumierten – während sich unter den 1.237 Vergleichspersonen nur 84 (6,8%) tägliche Konsumenten befanden.

Auch der Konsum von hochpotentem Cannabis war in der Gruppe der erkrankten Probanden mit 37,1% deutlich verbreiteter als in der Kontrollgruppe (19,4%). Die Forscher schätzen, dass eine von 5 psychotischen Ersterkrankungen (20,4%) auf den täglichen Konsum von Cannabis zurückzuführen ist – und mehr als eine von 10 (12,2%) auf den zumindest gelegentlichen Konsum von hochpotentem Cannabis.

Auch der Konsum anderer Drogen wurde in der Studie berücksichtigt

„Die Autoren haben sehr sorgfältig andere Faktoren ausgeschlossen, die zusätzlich das Psychoserisiko erhöhen können“, sagt der in den USA lebende deutsche Mediziner Meyerhoff. Beispielsweise hätten die Forscher die Unterschiede zwischen den Patienten und der Kontrollgruppe im Hinblick auf den Konsum anderer legaler und illegaler Drogen wie Alkohol, Tabak und Kokain berücksichtigt, ebenso den Bildungs- und Beschäftigungsstatus ihrer Probanden.

„Sie zeigten, dass einige dieser Faktoren offenbar auch das Psychoserisiko erhöhen, dass jedoch speziell der tägliche Cannabisgebrauch und/oder der übliche Gebrauch von Cannabis mit hohen THC-Konzentrationen eindeutig zusätzlich das Risiko erhöhen.“

Somit habe die Studie eine wichtige Nachricht für die öffentliche Debatte über die Legalisierung von Cannabis, sagt Meyerhoff: „Bevor Cannabis legalisiert wird – und in vielen Ländern ist es schon legal – sollten wir uns als Gesellschaft über die Konsequenzen auf das individuelle und allgemeine Gesundheitsbild im Klaren sein.“

 
Bevor Cannabis legalisiert wird, sollten wir uns als Gesellschaft über die Konsequenzen auf das individuelle und allgemeine Gesundheitsbild im Klaren sein. Prof. Dr. Dieter Meyerhoff
 

Leider wisse man immer noch viel zu wenig über die langfristigen gesundheitlichen Konsequenzen von unkontrolliertem Cannabiskonsum, speziell bei Teenagern und jungen Erwachsenen. „Wir riskieren mit der Legalisierung bisher unbekannte und unbeabsichtigte adverse Gesundheitsfolgen – und das nicht nur für die, die dann Cannabis legal konsumieren könnten, sondern auch für unsere jüngeren Gesellschaftsmitglieder, die durch solch eine Legalisierung verstärkt zu erstmaligem oder größerem Gebrauch ermutigt würden“, betont Meyerhoff.

Viele andere negative Folgen von Cannabis werden vermutet

Darüber hinaus warnen die Experten vor anderen möglichen Folgen des Cannabiskonsums. Täglicher oder hochpotenter Cannabisgebrauch habe nicht nur adverse Konsequenzen für die Entwicklung von Psychosen, sondern auch für den zusätzlichen Gebrauch anderer legaler und illegaler Drogen, der in vielen Menschen zu Sucht und Abhängigkeit führen könne – mit verheerenden Folgen für den einzelnen Menschen und die Gesellschaft, so Meyerhoff.

„Die vorliegende Studie konzentriert sich auf die Inzidenz von Psychosen“, ergänzt Havemann-Reinecke. „Es wäre aber sicherlich auch sehr interessant, Daten zu anderen psychischen Störungen wie beispielsweise Angst- und depressiven Störungen zu betrachten.“

Und für den UKE-Experten Thomasius ist klar: „Die Studie von Di Forti und Kollegen gibt allen Anlass, sämtliche präventive Bemühungen durch Aufklärung über das Psychose-Erkrankungsrisiko infolge regelmäßigen Cannabisgebrauchs zu intensivieren.“

 

Kommentar

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