Berlin – Zur Behandlung der posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) gibt es eine Reihe wirksamer Therapien. Aber vielen Patienten nutzen diese nichts, weil es in ihrer Region keine oder nur wenige Therapeuten gibt, diese nicht qualifiziert sind oder sie die Behandlung nicht bezahlen können. „Global gesehen wird deshalb nur ein kleiner Teil der Patienten versorgt“, sagt Prof. Dr. Henrik Kessler, Oberarzt der Abteilung für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am LWL-Universitätsklinikum der Ruhr-Universität Bochum.
Auf dem Deutschen Kongress für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie in Berlin stellte er eine Methode vor, die helfen könnte, diese Lücke zu verkleinern: die Behandlung von Trauma-Symptomen mithilfe eines Computerspiels [1].
Erst das Trauma erinnern, dann Tetris spielen
In der Studie, die Kessler im Journal of Consulting and Clinical Psychology veröffentlicht hat, wurden 20 Patienten untersucht (19 waren Frauen) [2]. Die Patienten befanden sich wegen einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung für 6 bis 8 Wochen zur stationären Behandlung in der Uniklinik Bochum.
Die Teilnehmer erhielten die üblichen Therapien in der Klinik mit Gruppen- und Einzelsitzungen. Zusätzlich absolvierten sie eine spezielle Intervention zur Behandlung visueller Flashbacks, also des plötzlichen ungewollten Wiedererlebens traumatischer Situationen vor dem inneren Auge.
Die Studienteilnehmer wählten einen bestimmten Flashback aus, den sie bearbeiten wollten. Wenn dieser auftrat, schrieben sie die belastende Erinnerung zunächst auf ein Blatt Papier, wobei sie von sich selbst in der dritten Person schreiben sollten, um etwas Abstand zu wahren. Dann zerrissen sie das Blatt, ohne über den Inhalt zu sprechen. Anschließend spielten sie auf einem Tablet für 25 Minuten Tetris – ein Spiel, bei dem man Bauklötze möglichst geschickt aufeinanderstapeln und dabei die Steine räumlich drehen muss.
Jede Woche bearbeiteten die Teilnehmer auf diese Weise einen anderen Flashback, die Gesamtzahl variierte von 2 bis 7 pro Person. Parallel notierten sie in einem Tagebuch, wann welcher Flashback auftrat. Die Forschungsfrage war, ob sich die Häufigkeit der Flashbacks durch die Therapie verringert.
Die Zahl der Flashbacks ging deutlich zurück
Das Ergebnis: Diejenigen Flashbacks, die mit der Tetris-Methode behandelt wurden, gingen um durchschnittlich 64% zurück, die nicht so behandelten nur um 11%. „Wir vermuten, dass der Effekt darauf beruht, dass das Aufschreiben der Erinnerung im Gehirn Gebiete für die räumlich-bildliche Verarbeitung aktiviert“, sagt Kessler, „vergleichbare Areale könnten auch für das Spielen von Tetris bedeutsam sein.“ Durch das Erinnern werde die Gedächtnisspur kurzzeitig labil. „Wenn in dieser Zeit eine Interferenz stattfindet, könnte die Gedächtnisspur abgeschwächt wieder eingespeichert werden.“
Die Therapie war bei 16 der 20 Patienten erfolgreich („Responder“). Als Erfolg wurde gewertet, wenn die bearbeiteten Flashbacks um mehr als 50% abnahmen.
Die Spielmethode könne keine Traumatherapie ersetzen, betont Kessler, sondern nur ein zentrales Symptom, die visuellen Flashbacks, lindern. „Unsere Hoffnung ist aber, dass wir eine Behandlung ableiten können, die Menschen auch allein durchführen können, wenn kein Therapieplatz verfügbar ist.“
Weitere Forschung mit einer größeren Patientenzahl und unter Kontrollbedingungen sei notwendig. Kessler hat gerade eine Studie mit derselben Methode in einer Ambulanz gestartet, wo die Teilnehmer ansonsten keine weitere Behandlung bekommen. „Wenn es auch allein wirkt, hätte das noch mal eine stärkere Aussagekraft.“
Medscape Nachrichten © 2019 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: „Where there is no therapist“: Können Computerspiele Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung lindern? - Medscape - 10. Apr 2019.
Kommentar