BfArM warnt vor Fluorchinolonen – fast immer gibt es gute Alternativen

Michael van den Heuvel

Interessenkonflikte

10. April 2019

In einem Rote-Hand-Brief rät das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) Ärzten, Chinolon- bzw. Fluorchinolon-Antibiotika nur noch in Ausnahmefällen zu verordnen. Gewarnt wird vor möglichen Risiken wie Einschränkungen der Lebensqualität sowie länger anhaltenden, möglicherweise irreversiblen Nebenwirkungen [1].

Bereits Ende 2018 hat der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) starke Einschränkungen bei der Verwendung von Fluorchinolon-Antibiotika beschlossen (wie Medscape berichtete ). Jetzt wenden sich die Zulassungsinhaber in Abstimmung mit dem BfArM und mit der EMA an Ärzte. Ihr Rote-Hand-Brief betrifft die Wirkstoffe Ciprofloxacin, Levofloxacin, Moxifloxacin, Norfloxacin sowie Ofloxacin.

Cinoxacin, Flumequin, Nalidixinsäure und Pipemidsäure werden EU-weit vom Markt genommen, was für Deutschland jedoch ohne Bedeutung ist. Diese Arzneistoffe hatten nämlich schon länger keine Zulassung mehr.

„Aus der Klink kennen wir Achillessehnen-Reizungen oder -Rupturen“, bestätigt Prof. Dr. Winfried V. Kern gegenüber Medscape. Er ist Leitender Arzt an der Abteilung Infektiologie des Universitätsklinikums Freiburg, Sprecher des dortigen Zentrums für Infektionsmedizin und Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie (DGI). „Was wir auch ab und zu sehen, sind delirante Zustände oder Agitiertheit bei älteren Menschen.“

Gute Alternativen fast immer vorhanden

Zur Bewertung der Substanzklasse sagt Kern: „Fluorchinolone sind in Deutschland bei keiner Indikation Mittel der Wahl, außer bei der Pyelonephritis.“ Es gebe in allen Fällen alternative Antibiotika, die Fluorchinolonen vorgezogen werden sollten.

 
Fluorchinolone sind in Deutschland bei keiner Indikation Mittel der Wahl, außer bei der Pyelonephritis. Prof. Dr. Winfried V. Kern
 

„Im klinischen Bereich haben wir mehr Möglichkeiten, da wir nicht auf oral anzuwendende Präparate angewiesen sind, sondern parenteral behandeln können.“ In oraler Galenik gebe es nicht immer so gute Alternativen. Speziell bei Pyelonephritiden nennt Kern Cotrimoxazol, Cefpodoxim oder Amoxicillin-Clavulansäure.

Alles in allem sieht der Experte „keine starke generelle Einschränkung von Pharmakotherapien, aber eine gewisse Einschränkung bei der Pyelonephritis“. Ärzten rät er, bei Patienten mögliche Nebenwirkungen anzusprechen. Außerdem sollten sie Ereignisse dokumentieren und dem BfArM melden.

Zahlreiche schwerwiegende Nebenwirkung

Die EMA hat mögliche Nebenwirkungen systematisch untersucht. Sie betreffen hauptsächlich den Bewegungsapparat und das Nervensystem. Im Bereich des muskuloskelettalen Systems nennen Experten Gangstörungen, Gelenkschwellungen, Muskelschwäche, Sehnenrupturen, Tendinitiden bzw. Myalgien. Hinzu kommen aus dem neurologischen Bereich periphere Neuropathien, Schlaflosigkeit, Depressionen, Fatigue, Einschränkungen des Erinnerungsvermögens sowie Seh-, Hör-, Geruchs- und Geschmacksstörungen. Aortenaneurysmen und -dissektionen wurden ebenfalls dokumentiert.

Einer Ende 2018 veröffentlichten Studie zufolge führen Fluorchinolon-Antibiotika am Anfang der Pharmakotherapie zu einem um das 2,5-Fache erhöhten Risiko, ein Aortenaneurysma bzw. Aortendissektionen zu erleiden (wie Medscape berichtet e). Dem BfArM zufolge sind nur wenige Fälle gemeldet worden. Die Experten rechnen jedoch mit einer hohen Dunkelziffer.

Starke Einschränkung der Verordnung

„Aufgrund der Schwere dieser Reaktionen bei zuvor gesunden Personen sollte jede Entscheidung, Fluorchinolone zu verschreiben, nach einer sorgfältigen Nutzen-Risiko-Bewertung getroffen werden“, lautet die Empfehlung des BfArM.

 
Aufgrund der Schwere dieser Reaktionen bei zuvor gesunden Personen sollte jede Entscheidung, Fluorchinolone zu verschreiben, nach einer sorgfältigen Nutzen-Risiko-Bewertung getroffen werden. BfArM
 

Das Institut rät Ärzten, Fluorchinolone in vielen Fällen nicht mehr einzusetzen. Konkret werden leichte bzw. selbstlimitierenden Infektionen, etwa eine Pharyngitis, Tonsillitis oder eine akute Bronchitis genannt, ebenso präventive Gaben, um etwa einer Reisediarrhoe oder einer rezidivierenden Infektion der unteren Harnwege vorzubeugen.

Nicht bakterielle Entzündungen, etwa eine chronische Prostatitis, werden ebenfalls als tabu aufgeführt. Und bei leichten bis mittelschweren Infektionen wie einer unkomplizierter Zystitis, einer akuten Exazerbation, einer chronischen Bronchitis, einer chronisch-obstruktiven Lungenerkrankung (COPD), einer akuten bakteriellen Rhinosinusitis und einer akuten Otitis media seien Fluorchinolone nur in Betracht zu ziehen, wenn es tatsächlich keine sonstigen Alternativen gebe.

Unabhängig von der Indikation gelten dem BfArM zufolge ältere Menschen, Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion, Patienten mit Organtransplantaten und Personen, die mit Kortikosteroiden behandelt werden, als Risikogruppe. Bei ihnen drohen häufig Entzündungen oder Rupturen der Sehnen. Generell sollten Kortikosteroide und Fluorchinolone nicht kombiniert werden. Die Produktinformationen wurden entsprechend aktualisiert.

Patienten aufklären, Verdachtsmomente melden

Benötigen Patienten dennoch Fluorchinolone, empfehlen BfArM-Experten, sie gründlich aufzuklären. Bereits bei ersten Anzeichen von Nebenwirkungen wie Muskelschmerzen, Muskelschwäche, Gelenkschmerzen, Gelenkschwellungen, peripherer Neuropathie oder sonstigen, vom zentralen Nervensystem ausgehenden Beeinträchtigungen sollten sie Rücksprache mit ihrem Arzt halten.

Gleichzeitig werden Ärzte gebeten, etwaige Verdachtsfälle dem BfArM zu melden. Eine kontinuierliche Überwachung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses sei wichtig, heißt es im Rote-Hand-Brief.

 

Kommentar

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