Blasenschwäche bei Frauen: Beckenboden- oder Blasentraining schneidet in Meta-Analyse besser ab als Medikamente

Inge Brinkmann

Interessenkonflikte

8. April 2019

Bei Belastungs- und Dranginkontinenz ist eine Verhaltenstherapie – ob allein oder in Kombination mit anderen Maßnahmen – fast immer wirksamer als eine medikamentöse Monotherapie. So lautet das Fazit einer aktuellen in den Annals of Internal Medicine veröffentlichten Netzwerk-Metaanalyse [1].

Prof. Dr. Daniela Schultz-Lampel

Prof. Dr. Daniela Schultz-Lampel, Direktorin des Kontinenzzentrums Südwest am Schwarzwald-Baar Klinikum in Villingen-Schwenningen, hebt vor allem den umfassenden Überblick der Arbeit hervor. „Allein, dass Ärzte über diese Arbeit von den vielfältigen Behandlungsmöglichkeiten erfahren, ist ein Plus“, so die Fachärztin für Urologie und spezielle urologische Chirurgie. Hier gebe es in der Ärzteschaft durchaus noch Defizite.

 
Allein, dass Ärzte über diese Arbeit von den vielfältigen Behandlungsmöglichkeiten erfahren, ist ein Plus. Prof. Dr. Daniela Schultz-Lampel
 

Doch, so schränkt sie ein, helfe die Arbeit kaum bei der Auswahl einer geeigneten Behandlungsmethode bei der einzelnen Patientin, dafür fehlten etwa spezifischere Subgruppen-Analysen.

Letztlich scheint es jedoch fast egal zu sein, mit welchen (nicht-chirurgischen) Methoden Patientinnen und Ärzte versuchen, eine schwache Blase in den Griff zu bekommen – überhaupt etwas zu unternehmen ist auf jeden Fall besser als gar nichts zu tun.

„Mit großer Wahrscheinlichkeit führen die meisten nicht-pharmakologischen und pharmakologischen Interventionen bei Harninkontinenz zu besseren Ergebnissen als keine Behandlung“, schreiben auch die Autoren um Prof. Dr. Ethan M. Balk von der Brown University in Providence, USA, in ihrer Publikation.

Die Ergebnisse stimmten damit mit bereits zuvor veröffentlichten systematischen Übersichtsarbeiten zur nicht-chirurgischen Behandlung von Harninkontinenz bei Frauen überein, so Balk und Kollegen. Ihre Arbeit sei im Vergleich zu bereits publizierten Arbeiten jedoch vollständiger, da sie zusätzliche Medikamentenklassen und Methoden evaluiert hätten.

Welche Methoden heilen oder verbessern Inkontinenz?

84 klinische Studien zur Wirksamkeit von 14 nicht-chirurgischen Behandlungskategorien der Belastungs-, Drang- und gemischten Harninkontinenz bei nicht schwangeren Frauen fanden Eingang in die Analyse von Balk und Mitarbeitern.

Unter den Therapieverfahren waren u.a. Beckenboden- und Blasentraining (als Teile der übergeordneten Kategorie „Verhaltenstherapie“) sowie die periurethrale Injektion eines Bulking Agents im Schließmuskelbereich. Diese werden unter der Schleimhaut der Harnröhre eingebracht, um diese zu „unterpolstern“. Oder die Patienten bekamen eine Östrogentherapie (oral, transdermal, subkutan, vaginal). Als Endpunkte galten entweder eine „Verbesserung“ oder „Heilung“ durch die jeweilige Therapie.

Mangels direkter Vergleichsstudien verwendeten die Wissenschaftler die Methodik der Netzwerk-Metaanalyse. Hierbei können mehrere verschiedene Interventionen gleichzeitig indirekt miteinander verglichen werden.

Die Ergebnisse lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:

  1. Die meisten Therapiemaßnahmen sind besser als eine Schein- oder keine Behandlung (mit Ausnahme von Hormonen und der Injektion von periurethralen Bulking Agents).

  2. Sowohl für die Drang- als auch Belastungsinkontinenz ist eine Verhaltenstherapie, allein oder in Kombination mit anderen Interventionen, im Allgemeinen wirksamer als andere First- und Second-Line-Monotherapien.

  3. Medikamentöse Second-Line-Monotherapien sind nicht nur weniger wirksam als Verhaltenstherapien, sondern auch mit störenden, wenn auch nicht ernsten, Nebenwirkungen wie trockenem Mund, Übelkeit und Müdigkeit verbunden.

Unter den Third-Line-Interventionen sind Botulinumtoxin-Injektionen, Neuromodulation und intravesikale Druckentlastung (IVPR) im Allgemeinen wirksamer als andere Ansätze.

Die Metaanalyse deckt ein Forschungsdefizit auf

Wirklich belastbare Ergebnisse erhält man bei Netzwerk-Metaanalysen allerdings nur, wenn u.a. die Patientencharakteristika in den einzelnen Studien vergleichbar sind. Doch bereits die Einschlusskriterien (bzw. Informationen dazu, ob die Patientinnen bereits zuvor andere – erfolglose? – Behandlungen erhalten hatten) seien nur in wenigen der hier analysierten Untersuchungen angegeben worden, schreiben die Studienautoren.

 
Mit großer Wahrscheinlichkeit führen die meisten nicht-pharmakologischen und pharmakologischen Interventionen (…) zu besseren Ergebnissen als keine Behandlung. Prof. Dr. Ethan M. Balk
 

Und auch die Schwere der Symptome der Patientinnen sei nur in sehr wenigen Studien festgehalten worden, ergänzen sie. Sowohl die Durchführung von Subgruppen-Analysen als auch das Festhalten zusammenfassender Ergebnisse über Studiengrenzen hinweg sei damit erschwert worden.

Schultz-Lampel sieht überdies die mangelnde Definition der einzelnen Endpunkte in den verschiedenen Studien kritisch: „Wie ist Heilung, wie eine Verbesserung der Harninkontinenz definiert? Nutzten die Patientinnen beispielsweise Miktionsprotokolle oder gaben sie rein subjektive Bewertungen ab?“, fragt sie.

Die Metaanalyse deckt somit auch ein grundsätzliches Forschungsdefizit auf. Letztlich gelte es immer noch zu klären, ob bestimmte Patientinnen-Gruppen von bestimmten Interventionen stärker profitieren könnten, so Balk und Mitarbeiter. Zukünftige Studien sollten deshalb entweder Frauen mit nur einer Art von Harninkontinenz (Belastungs-, Drang- oder Mischinkontinenz) einschließen oder die Ergebnisse für die jeweilige Subgruppe angeben.

Außerdem müssten Wissenschaftler zukünftig die Schwere der Symptome (z.B. Häufigkeit oder Volumen des Harnverlusts) und frühere Behandlungen angeben und natürlich wiederum entsprechende Subgruppenergebnisse liefern.
 

Kommentar

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