Blutdruckziel unter 130 mmHg: So lassen sich wohl auch bei Betagten noch gefahrlos Hirnschäden hinauszögern

New Orleans – Eine intensive blutdrucksenkende Therapie verlangsamt im Vergleich zu einer Behandlung mit der Maßgabe eines liberaleren Zielwertes offenbar das Fortschreiten subkortikaler Hirnläsionen. Dies ergab eine bei den ACC Scientific Sessions 2019 in New Orleans vorgestellte MRT-Studie mit Patienten im Alter ab 75 Jahren [1].

Allerdings ging die im MRT sichtbare verringerte Progression bei den aggressiver behandelten Patienten über den 3-jährigen Studienzeitraum nicht mit Verbesserungen der Kognition oder der Beweglichkeit einher.

 
Selbst in einer kleinen Studie wie dieser traten in der intensiv behandelten Gruppe viel weniger kardiovaskuläre Ereignisse auf ... Dr. William B. White
 

Die aggressiver behandelten Patienten erhielten eine antihypertensive Therapie, die einen systolischen Blutdruck unter 130 mmHg zum Ziel hatte – verglichen mit einem (Standard-)Zielwert unter 145 mmHg. Überwacht wurde die Therapie mittels 24-Stunden-Blutdruckmessung. Interessanterweise zeigte sich bei Patienten mit niedrigerem Zielwert eine Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse um 76% – im Vergleich zu der weniger intensiv behandelten Gruppe von Patienten.

„Selbst in einer kleinen Studie wie dieser traten in der intensiv behandelten Gruppe viel weniger kardiovaskuläre Ereignisse auf – und das waren Ereignisse wie Herzinfarkt, Schlaganfall, Hospitalisierung wegen Herzinsuffizienz und TIA – alles Dinge, die man in einer hypertensiven älteren Population erwarten würde“, sagte Dr. William B. White von der University of Connecticut School of Medicine in Farmington, USA, bei einer Pressekonferenz. White, einer der Hauptautoren der Studie INFINITY, präsentierte die Ergebnisse beim ACC-Kongress.

Ergebnisse passen zur SPRINT-Studie

Sie stimmten mit den Ergebnissen der SPRINT-Studie und anderen Forschungsarbeiten überein, die alle gezeigt haben, dass strenge Blutdruckzielwerte – im Vergleich zu konservativen Zielwerten – bei älteren Patienten mit Hypertonie sicher und klinisch vorteilhaft seien, sagte White im Gespräch mit Medscape. Doch die INFINITY-Studie steche dahingehend hervor, dass sie MRT-Beweise für einen Schutz vor chronischen Hirnschädigungen liefere.

In der SPRINT-Studie waren Patienten ab 50 Jahren, mit Hypertonie und anderen kardiovaskulären Risikofaktoren, mit dem Ziel behandelt worden, den systolischen Blutdruck entweder auf 120 oder auf 140 mmHg zu senken. Wie bereits beschrieben waren die Raten des primären kombinierten klinischen Endpunktes sowie die Gesamt- als auch die kardiovaskuläre Mortalität in der intensiv behandelten Gruppe signifikant niedriger.

Folgeanalysen der Studie zeigten, dass der klinische Nutzen des niedrigeren Blutdruckziels sich auch sicher auf Patienten ab 75 Jahren erweitern lässt, wenn auch ohne Verbesserungen der Beweglichkeit.

Möglicher Nutzen auch fürs Hirn

Und die Zusatzstudie SPRINT-MIND deutete darauf hin, dass die intensive Blutdrucktherapie in einer definierten SPRINT-Kohorte über im Schnitt 5 Jahre Parameter leichter kognitiver Beeinträchtigung verbesserte. Das war allerdings ein sekundärer Endpunkt; der primäre Endpunkt Demenz unterschied sich nicht signifikant zwischen den Therapiegruppen.

In der aktuellen Studie zeigte sich in der aggressiver behandelten Gruppe zwar kein Nutzen hinsichtlich der Beweglichkeit und des Abschneidens bei Kognitionstests, doch White betont, dass sich solche Verbesserungen wahrscheinlich noch gezeigt hätten, wenn die Studie „noch ein paar Jahre länger“ hätte laufen können.

Diese Annahme basiere auf dem langsameren Fortschreiten der subkortikalen Mikroangiopathie im Gehirn, zu sehen an den periventrikulären Hyperintensitäten der weißen Substanz (WMH) im MRT, sagte er. Es sei bekannt, dass solche Befunde eine durch chronische Hypertonie bedingte Endorganerkrankung widerspiegelten.

 
Wir haben hier einen weiteren Datensatz, der zeigt, dass es bei älteren Patienten extrem wichtig ist, den Blutdruck zu senken … Dr. Eileen Handberg
 

Ausgehend von den MRT-Ergebnissen hätte die INFINITY-Studie durchaus Verbesserungen der kognitiven Funktion unter intensiver Blutdrucktherapie zeigen können, „wenn die Patienten bis zu 5 Jahre nachbeobachtet worden wären“, stimmte Dr. Eileen Handberg von der University of Florida in Gainesville, USA, in einem Interview zu.

„Ich denke, diese Daten sind von großer Bedeutung“, sagte Handberg, die selbst nicht an INFINITY beteiligt war. Sie betonte, dass es sich lohnen würde zu analysieren, warum kein Effekt auf die primären funktionellen Outcomes festzustellen war und den MRT-Befunden mehr Beachtung zu schenken.

„Wir haben hier einen weiteren Datensatz, der zeigt, dass es bei älteren Patienten extrem wichtig ist, den Blutdruck zu senken und dass man es erreichen kann, ohne Angst haben zu müssen, Stürze zu provozieren“, sagte sie.

Ärzte scheinen oft Bedenken gegen eine aggressive Therapie der Hypertonie bei älteren Patienten zu haben. „Ich denke, wir schließen Menschen aufgrund dieser unbewussten Angst von einer aggressiven Blutdrucksenkung aus“, so Handberg. „Die Tatsache, dass es gelungen ist, einen Einfluss auf die Hirnsubstanz zu zeigen, ist wichtig.“

„Für mich ist diese Studie sehr gut verallgemeinerbar und sie liefert noch mehr von diesen Daten, die ursprünglich zu der Leitlinie führten, laut der wir den Blutdruck von Patienten über 65 auf 130/80 senken sollen“, sagte Handberg.

Aber „sie sollte eine weitere wichtige Information enthalten, nämlich, dass es sicher und effektiv ist, dass es das kardiovaskuläre Risiko und Schlaganfälle reduziert, wenn man auch den Blutdruck von 80-Jährigen auf 130/80 mmHg senkt“.

Langsameres Fortschreiten der WMH bei intensiver Therapie

In die an einer einzelnen Klinik durchgeführte Open-label-Studie INFINITY waren 199 Patienten im Alter von 75 Jahren oder darüber – im Schnitt waren sie 81 Jahre alt – eingeschlossen. Sie wiesen eine normale Kognition und Beweglichkeit auf, aber im MRT zeigten sich bereits Hinweise auf periventrikuläre Hyperintensitäten der weißen Substanz. Randomisiert erhielten sie eine intensive oder eine konventionelle antihypertensive Therapie.

Die Zielwerte lagen bei 130 mmHg bzw. 145 mmHg – wie es dem Therapiestandard bei Studienplanung entsprach – und diese wurden durch eine 24-Stunden-Blutdruckmessung überwacht.

Zu Studienbeginn hatten die Patienten einen mittleren systolischen Blutdruck von 150 mmHg. 3 Jahre später betrug der Blutdruck in der Gruppe mit intensiver Therapie 131/65 mmHg und in der Gruppe mit konventioneller Therapie 146/74 mmHg. Bei den Patienten mit intensiver Therapie schritten die WMH über die 3 Jahre um 40% weniger fort.

MRT-Ergebnisse über 3 Jahre in der Intensivtherapie- und der Standardtherapie-Gruppe

Endpunkt

Intensivtherapie (n = 99)

Standardtherapie (n = 100)

p-Wert

Mittleres Volumen der Schädelhöhle (ml)

1.452

1.503

0,02

Mittlere Zunahme der WMH (%)

0,29

0,48

0,03

 

Die Autoren um White führten außerdem eine Sensitivitätsanalyse durch, in die nur Patienten eingeschlossen wurden, die während des gesamten Studienzeitraumes ihr zugewiesenes Blutdruckziel einhielten. In dieser Patientenpopulation war der Unterschied zwischen den beiden Therapiegruppen hinsichtlich der WMH-Veränderungen noch ausgeprägter.

In dieser Analyse nahm der Prozentsatz an WMH in der Intensivtherapie-Gruppe (49 Patienten) im Mittel um 0,23% zu, in der Standardtherapie-Gruppe (54 Patienten) betrug die WMH-Zunahme dagegen 0,58% (p < 0,01)

Die Gehgeschwindigkeit und andere Parameter der Beweglichkeit unterschieden sich nicht zwischen den beiden Therapiegruppen. Nur einer von mehreren Parametern der kognitiven Funktion – die sequentielle Reaktionszeit – war in der Gruppe mit intensiver Blutdrucktherapie signifikant besser, verglichen mit der konventionell behandelten Gruppe (p < 0,01). „Immerhin handelt es sich dabei um einen wichtigen Test der Verarbeitungsgeschwindigkeit und der exekutiven Funktion des Gehirns“, merkte White an.

Klinische Outcomes über 3 Jahre bei Intensiv- und Standardtherapie

Endpunkte

Intensivtherapie (%)

(n = 99)

Standardtherapie (%)

(n = 100)

Tod

2

4

Nicht-tödliches kardiovaskuläres Ereignis

4

17*

Stürze mit Verletzungen

4

5

Stürze ohne Verletzungen

31

32

Synkope oder Beinahe-Synkope

4

4

*Risk Ratio 0,24; 95%-KI: 0,08-0,68); p < 0,01 für intensive vs konventionelle Therapie

 

Dieser Artikel wurde von Nadine Eckert aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.

 

Kommentar

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