Ökonomischer Druck und Personal- sowie Zeitmangel in der Klinik machen nicht nur dem medizinischen Personal zu schaffen, sie sind auch für die Patienten eine Gefahr. Diesen Schluss legen die Ergebnisse der Umfrage „Zwischen Arbeitszeit, Fehlermanagement und Digitalisierung“ des Hartmannbundes unter 1.437 Assistenzärzten nahe [1].
Befragt wurden 998 Ärztinnen und 439 Ärzte im Zeitraum Dezember 2018 bis Januar 2019. Die Ergebnisse zeigen weit verbreitete Defizite bei der Erfassung und Dokumentation der Arbeitszeiten. Auch mehr Effizienz durch Digitalisierung und Bürokratie-Abbau ist vielerorts offenbar noch nicht erreicht.
Dr. Klaus Reinhardt, Vorsitzender des Hartmannbundes, sieht erheblichen Handlungsbedarf, gerade auch im Hinblick auf die Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes. Doch nicht nur die Antworten, auch Hunderte von Kommentaren zu Arbeitszeit, Digitalisierung, Weiterbildung und Fehlermanagement geben interessante und teilweise erschreckende Einblicke in die Arbeitswelt der Befragten.
Initiiert wurde die Umfrage vom Ausschuss der Assistenzärzte im Hartmannbund. Dr. Wenke Wichmann, Mitglied des Leitungsgremiums des Ausschusses sieht Politik, Krankenhausträger und Verantwortliche in den Kliniken in der Pflicht, Abhilfe zu schaffen. „Wir sehen uns in erster Linie da nicht in der Rolle des Anklägers, sondern wollen – soweit es geht konstruktiv – daran mitwirken, notwendige Veränderungen zu gestalten“, erklärt Wichmann in einer Stellungnahme des Hartmannbundes.
In einigen Abteilungen existieren per se keine Überstunden
49% der Befragten berichten, dass ihre Überstunden nicht konsequent dokumentiert werden. Es gibt Klinikabteilungen in denen Überstunden nicht existieren, weil die Zeit zum Ausgleichen ohnehin fehlt. Oder in denen Überstunden ohne Rücksprache gestrichen werden. Fast 30% der Assistenzärzte leisten pro Woche zwischen 7 und 12 Überstunden. 46% arbeiten – regelwidrig – im Bereitschaftsdienst länger als 50% der regulären Arbeitszeit. Bei 26% der Befragten kommt das sogar „häufiger“ vor.
Dass Personalmangel solchen Missständen zugrunde liegt – rund 50 % der Teilnehmer geben an, Personalausfälle auf ihren Stationen könnten nicht kompensiert werden – ist für Wichmann zwar „objektiv nachvollziehbar“ – hinnehmbar sei das aber weder für die Ärzte noch für die Patienten.
Ein Drittel gibt an, dass die Personaldecke mangelhaft bis ungenügend ist. 50% bezeichnen die Personaldecke bei Normalbesetzung zwar als ausreichend, schwierig wird es aber, wenn Kollegen erkranken. Entsprechend erschienen 74% der Befragten auch schon einmal krank zur Arbeit, 56% weil sie sich verpflichtet fühlten und 87%, weil sie ihre Kollegen nicht im Stich lassen wollten.
Als besorgniserregend wertet Wichmann, dass 75% der befragten Berufseinsteiger angeben, sie seien regelmäßig mit Situationen (im Nachtdienst/allein auf der Station) konfrontiert, auf die sie sich „nicht vorbereitet“ sähen. „Dies umso mehr, als ein Großteil dieser Gruppe durch diesen Umstand bereits ‚patientengefährdende Fehler‘ wahrgenommen hat“, warnt Wichmann.
Grundsätzlich inakzeptabel sei, wenn gesetzlich klar definierte Regelungen vom Arbeitgeber nicht eingehalten werden: „In dieser Grauzone sind die Weiterbildungsassistenten meistens das schwächste Glied in der Kette und gezwungen, Regelverstöße mehr oder weniger hinzunehmen. Das darf nicht sein“, kritisiert Wichmann.
„Das Arbeitszeitgesetz darf auch in Zeiten von Personalmangel nicht zur Makulatur verkommen. Da braucht es Verlässlichkeit. Es nützen im Zweifelsfall am Ende die von uns geforderten Personalschlüssel nichts, wenn es keine effektiven Möglichkeiten der Durchsetzung und Kontrolle gibt“, betont auch Reinhardt. Er sieht vor allem die Aufsichtsbehörden in der Pflicht, ihre Kontrollfunktion konsequenter wahrzunehmen.
Zur Arbeitsunzufriedenheit (etwa 30% der Befragten äußert sich unzufrieden bis sehr unzufrieden) tragen neben Arbeitsbelastung und Frust über zu wenig Zeit für den Patienten (nur 25% finden die Zeit ausreichend) auch Defizite bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf bei.
40% sehen Schwierigkeiten bei der Umsetzung des Wunsches nach Teilzeit, zu wenig flexible Arbeitszeitmodelle und fehlende Betreuungsangebote als größte Hindernisse einer gelungenen Work-Life-Balance. 2 Drittel der Befragten sehen negative Auswirkungen ihrer Arbeit auf Privatleben und soziale Kontakte. Jeder Fünfte befürchtet zudem gesundheitliche Beeinträchtigungen.
Digitalisierung? Oft Fehlanzeige
Deutliche Effizienzpotenziale sehen die Befragten bei der Digitalisierung. 60% kritisieren „ineffiziente Formen“ der Digitalisierung an ihrer Klinik: Langsame Rechner, PCs die nicht oder kaum kompatibel sind, Radiologie-Befunde, die von Patienten auf CD gebrannt mitgebracht werden, weil es keinen Austausch-Server mit den niedergelassenen Kollegen gibt. Externe schriftliche Befunde, die „digitalisiert“ werden, indem sie eingescannt werden und damit als Bilddatei in der Krankenakte verfügbar sind – mit der allerdings nicht weitergearbeitet werden kann, weil die Befunde nicht kopierbar sind. Medikamentenpläne, die trotz QR-Code abgeschrieben werden müssen, weil es an Software fehlt, die den QR-Code-Datensatz ins Krankenhausinformationssystem überspielen kann.
Die Unterschiede sind hierbei erheblich: Es gibt Kliniken, in denen die Visiten mittels Laptop-Wagen erfolgen und andere, in denen die Akten ausschließlich handschriftlich geführt werden. 4 von 5 Befragten stufen den Bürokratie-Anteil ihrer Arbeitszeit auf über 50% ein. Nicht nur für Reinhardt eine „dramatische Verschwendung ärztlicher Ressourcen“. 85% der Befragten geben zudem an, dass auch bei der Weiterbildung die Digitalisierung „keine Rolle“ spiele.
Unzufriedenheit auch bei der Weiterbildung
Auch in der Qualität der Weiterbildung ist Luft nach oben, speziell bei der Struktur und Organisation. Nur 13% der Befragten berichten von klar festgelegten Weiterbildungszielen. Und über 50% der Befragten vergibt für Qualität und Umfang ihrer Einarbeitung die Noten „4“ und „5“. Gerade mal jeder vierte Assistenzarzt beschreibt seine Weiterbildung als „strukturiert“. Nur ein Fünftel der Befragten berichtet von regelmäßigen Feedback-Gesprächen.
Jenseits ihrer spezifischen Problematik stünden die Probleme der Ärzte in der Weiterbildung stellvertretend für die schwierige Situation des gesamten ärztlichen Personals und auch der Pflege an den Kliniken, wie Reinhardt betont. Er fügt hinzu: „Es leiden alle Beteiligten gleichermaßen unter dem Korsett der Ökonomie. Diese Fessel gilt es zu sprengen, statt sich ihr immer stärker anzupassen!“
Im Zusammenhang mit den Umfrageergebnissen kritisiert Reinhardt erneut das fehlende Verantwortungsbewusstsein der Länder für die Investitionsförderung der Kliniken und die „Verantwortungsdiffusion“ auf Seiten der verschiedenen Krankenhausträger, die eine rationale Handlungsfähigkeit bei der Krankenhausplanung unmöglich mache.
Es wundert nicht, dass vor diesem Hintergrund nicht wenige Ärzte zur Niederlassung tendieren: 43% der Befragten gaben bei ihren Karrierezielen an, eine Niederlassung in einer Gemeinschaftspraxis anzustreben.
Last but not least gibt es auch Positives: Gelobt wird die Kollegialität in der Klinik: Die Unterstützung im Hintergrunddienst durch erfahrene Kollegen erhält in der Umfrage überwiegend gute bis sehr gute Noten.
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Diesen Artikel so zitieren: „Besorgnis erregende“ Umstände: Assistenzärzte überwiegend unzufrieden mit ihrer Situation - Medscape - 3. Apr 2019.
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