Mehr Alzheimer-Demenz nach HRT: Neue Studie kann nicht klären, ob der Zusammenhang ursächlich ist

Dr. Susanna Kramarz

Interessenkonflikte

1. April 2019

Eine Fall-Kontroll-Studie aus Finnland, die kürzlich im British Medical Journal publiziert worden ist, stellt einen Zusammenhang zwischen Demenz und einer langjährigen Hormonersatztherapie (HRT) her [1]. Danach soll die HRT das Risiko für eine Alzheimer-Demenz erhöhen.

„Diese Ergebnisse sind überraschend und stehen teilweise im Gegensatz zu zuvor aus Finnland publizierten Daten “, kommentiert die Vizepräsidentin der Deutschen Menopausegesellschaft Dr. Katrin Schaudig.

Höheres Alzheimer-Risiko nach HRT?

Eine Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Tomi Mikkola, Universitätsfrauenklinik Helsinki, hat in ihre Fall-Kontroll-Studie alle postmenopausalen Frauen einbezogen (n = 84.739), bei denen in Finnland zwischen 1999 und 2013 eine Alzheimer-Demenz (AD) diagnostiziert worden war. Ihnen wurde eine gleich große Kontrollgruppe mit Frauen ohne Alzheimer-Diagnose gegenübergestellt.

 
Diese Ergebnisse sind überraschend und stehen teilweise im Gegensatz zu zuvor aus Finnland publizierten Daten. Dr. Katrin Schaudig
 

In der Alzheimer-Gruppe hatten 31,3% der Frauen jemals irgendeine Variante einer HRT erhalten, in der Gruppe ohne Alzheimer-Diagnose waren es 30,2%.

Die Autoren kommen aufgrund der Daten zu dem Ergebnis, dass die Verwendung einer HRT das Risiko für eine Alzheimer-Erkrankung erhöht, abhängig vom Alter der Frau zu Beginn der Therapie, von der Dauer der Behandlung und von der Frage, ob es sich um eine Mono- oder Kombinationstherapie gehandelt hat (siehe Tabelle 1).

Einen Unterschied zwischen oraler und transdermaler Applikation stellten sie nicht fest. Eine niedrig dosierte rein vaginale Therapie war nicht mit einem erhöhten Alzheimer-Risiko assoziiert. Ein Therapiebeginn mit über 60 Jahren war mit einem erhöhten Demenz-Risiko verbunden.  

Tabelle 1: Veränderung des Alzheimer-Risikos in Abhängigkeit von Therapiebeginn, Dauer und Art einer HRT

 

 

Estradiol mono

Estradiol plus Progesteron

Dauer/Jahre

Therapiebeginn bis 60 J

Therapiebeginn ab 61. LJ

Therapiebeginn bis 60 J

Therapiebeginn
ab 61. LJ

Keine HRT

1

1

1

1

3

0,89 (0,6–1,15)

1,13 (1,03–1,25)

1,02 (0,92–1,13)

1,20 (1,10–1,30)

3–5

1,31 (0,93–1,87)

1,35 (1,07–1,72)

1,00 (0,86–1,15)

1,32 (1,08–1,60)

5–10

0,88 (0,74–1,06)

1,19 (0,95–1,50)

1,10 (1,00–1,20)

1,36 (1,10–1,69)

10

1,07 (1,00–1,15)

1,04 (0,61–1,77)

1,20 (1,13–1,26)

0,73 (0,39–1,35)

Widersprüchliche Ergebnisse verschiedener Studien

Laut Schaudig stellt diese Studie damit einen Zusammenhang her, der anderen Publikationen desselben Autorenteams widerspricht: „Vor zwei Jahren haben die Autoren noch publiziert, dass das Risiko, an Alzheimer zu erkranken und zu sterben, bei einer HRT-Dauer über 5 Jahre um 15% abnimmt, das Risiko, für eine vaskuläre Demenz und Tod sogar um weit über 30%.“

Ebenfalls aus den Daten der finnischen Gesundheitsregister haben vor kurzen Imtiaz et al eine Fall-Kontroll-Studie publiziert, nach der das Alzheimer-Risiko leicht erniedrigt war (Odds Ratio: 0,91 (95%-Konfidenzintervall: 0,84-0,99, p = 0,031), wenn die Frauen eine Östrogentherapie über 10 Jahre anwendeten; bei langjähriger Östrogen-Gestagengabe zeigte sich kein protektiver Effekt.

In dieser Studie zeigte sich allerdings, ebenso wie in der aktuell im BMJ veröffentlichten Arbeit, bei einer HRT-Anwendung von weniger als 10 Jahren ein gering erhöhtes Risiko für Alzheimer.

 
Nach allen bisherigen Daten sind wir der Auffassung, dass das Risiko, eine Demenz zu entwickeln, durch eine HRT nicht relevant erhöht wird. Dr. Katrin Schaudig
 

Darüber hinaus ergab sich bei einer weiteren, ebenfalls von Imtiaz et al durchgeführten prospektiven Kohortenstudie in Finnland ein deutlicher protektiver Effekt der Anwendung von Östradiol für eine Therapiedauer von über 10 Jahren auf die Inzidenz des Morbus Alzheimer (Hazard Ratio: 0,53; 95%-KI: 0,31–0,91; p = 0,021).

„Wir sagen heute zwar nicht, dass eine Hormonersatztherapie zur Prävention vor Demenz geeignet ist“, so Schaudig. „Aber nach allen bisherigen Daten sind wir der Auffassung, dass das Risiko, eine Demenz zu entwickeln, durch eine HRT nicht relevant erhöht wird, insbesondere dann nicht, wenn sie über viele Jahre fortgeführt wird. Das gilt vor allem, wenn die HRT frühzeitig, also im sechsten Lebensjahrzehnt, begonnen wird.“ Eher deute die Datenlage sogar auf einen protektiven Effekt hin, zumindest bei einer Östrogen-Mono-Therapie.

Demenz-protektiver Effekt von Östrogenen?

„Die Fragestellung, ob eine HRT das Risiko für eine Demenz erhöht, wird vor allem für diejenigen Frauen nach den Wechseljahren drängend“, erläutert Schaudig, „bei denen Absetzversuche der HRT mit einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes und der Lebensqualität einhergehen. Vielfach brauchen diese Frauen ihre HRT weit länger als fünf Jahre, gehen auf dringenden eigenen Wunsch manchmal auch ins siebte oder bis ins achte Lebensjahrzehnt mit einer Hormonsubstitution.“

Für diese Frauen sei die Furcht vor einer Demenz sehr real. „Seit langem wird der potenziell neuroprotektive Effekt von Östrogenen diskutiert“, erläutert die Endokrinologin: Östrogenrezeptoren kämen im Gehirn an vielen Lokalisationen vor. Sie haben wichtige Funktionen in der Regulation von Kognition, Angst, Körpertemperatur, Ernährungs- und Sexualverhalten. 

„Aus tierexperimentellen Untersuchungen wissen wir, dass ein Absinken des Östrogenspiegels bei ovarektomierten Tieren zu einer Reduktion der Synapsenbildung im Hippocampus führt. Einen neuroprotektiven Effekt könnte Östrogen vor allem dann haben, wenn es auf das noch intakte Gehirn einwirken kann.“

Alzheimer-Risiko und Empfindlichkeit für Östrogen-Abfall

Zu der aktuellen Publikation im BMJ meint Schaudig: „Auswertungen epidemiologischer Register, wie wir sie in Publikationen aus Skandinavien häufig finden, weisen immer wieder dieselbe Problematik auf. Wir sehen scheinbar einen Zusammenhang zwischen Therapie und Folgewirkung. Dabei liegt ja der Therapie eine Diagnose zugrunde, in diesem Fall Symptome im Zusammenhang mit dem Östrogenverlust in den Wechseljahren.“

Und weiter: „Wir wissen nichts darüber, ob diejenigen Frauen, die ein Risiko für eine Alzheimer-Demenz haben, vielleicht auch mit stärkeren Symptomen auf den Östrogen-Abfall in den Wechseljahren reagieren, so dass sie häufiger eine HRT brauchen.“

Anzeichen dafür, dass es solche Zusammenhänge geben könnte, gibt es unter anderem aus der bereits oben erwähnten, finnischen Fall-Kontroll-Studie von Imtiaz: Hier war zwar wie bei der aktuellen BMJ-Publikation des Teams um Mikkola gefunden worden, dass Frauen mit einer Alzheimer-Demenz häufiger eine HRT erhalten hatten als Frauen ohne Demenz. Aber in der Alzheimer-Gruppe waren auch gynäkologische Operationen häufiger und der sozioökonomische Status niedriger als bei den Frauen ohne Demenz. Als Imtiaz et al ihre Datensammlung nach diesen Aspekten gewichteten, verschwand die Korrelation zwischen Alzheimer und HRT.

Mikkola stellt gegenüber Medscape auf Anfrage klar, dass nach der gynäkologisch-operativen Anamnese nicht gefragt worden war, auch nicht nach Migräne, die speziell in Verbindung mit Aura das Risiko vaskulärer zerebraler Ereignisse erhöht. Ebenso wurden in der Studie der Body-Mass-Index und Diabetes nicht evaluiert.

„Es ist zwar hypothetisch“, so Schaudig, „aber wir können nicht ausschließen, dass ein Teil der Frauen, die auf den Abfall des Östrogenspiegels mit einer zentralen Dysregulation reagieren, vielleicht auch ansonsten vulnerabler sind und eventuell auch ein erhöhtes Risiko für Morbus Alzheimer oder für vaskuläre Demenzen haben.“

Weiter argumentiert sie: „Und es könnte durchaus sein, dass gerade diese Frauen dann besonders positiv auf eine HRT reagieren. Ein solche Pathophysiologie könnte jedenfalls erklären, warum in manchen Studien ein Zusammenhang zwischen Alzheimer und HRT gefunden werden kann, in anderen nicht.“

 
Betrachtet man die Gesamtheit der Datenlage, dann sollten diese Resultate die klinische Entscheidung für oder gegen eine HRT nicht beeinflussen. Prof. Dr. JoAnn E Manson
 

Sie führt noch weitere Möglichkeiten an: „Denkbar ist auch, dass eine Insulinresistenz oder bereits ein Typ-2-Diabetes involviert ist: Dies stellt sowohl für die Frequenz von Hitzewallungen als auch für die Diagnose eines Morbus Alzheimer ein Risiko dar. Es könnte also sein, dass Frauen mit einer Insulinresistenz, die per se das Alzheimer-Risiko steigert, auch häufiger Hormone anwenden, weil sie mehr Hitzewallungen haben. Dies wäre ein sehr gut vorstellbarer Selektions-Bias und würde auch die relativ frühe Alzheimer-Diagnosestellung bei Hormon-Anwenderinnen in der jüngst publizierten und oben diskutierten Studie erklären.“

Ähnlich formulieren es Dr. Edward Morris und Prof. Dr. Michael Hornberger für die British Menopause Society in einem kritischen Leserbrief ans BMJ : „Es braucht dringend Studien, ob Frauen mit einer präexistenten, asymptomatischen, frühen Alzheimer-Demenz häufiger in der frühen Menopause eine HRT erbitten als Frauen ohne ein solches Risiko.“

Prof. Dr. JoAnn E Manson, Mitbegründerin der WHI-Studie, fasst in ihrem Editorial zu der BMJ-Publikation zusammen [2]: „Eine Korrelation bedeutet keinen kausalen Zusammenhang. Betrachtet man die Gesamtheit der Datenlage, dann sollten diese Resultate die klinische Entscheidung für oder gegen eine Hormonersatztherapie nicht beeinflussen.“

 

Kommentar

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