München – Bei der schweren ambulant erworbenen Pneumonie stellen sich neben der Wahl der optimalen antibiotischen Therapie essenzielle Fragen: Welche Supportiv-Maßnahmen machen Sinn? Kortison ja oder nein? Und sind Immunglobuline wirklich so nutzlos, wie viele Kollegen glauben?
Trimodulin: Mix aus IgM, IgG und IgA
Das Neueste zuerst: Immunglobuline sind besser als ihr Ruf, zumindest in einer neuartigen Mischung. Das belegt eine Phase-2-Studie, die Prof. Dr. Tobias Welte, Medizinische Hochschule Hannover, geleitet und beim Deutschen Pneumologiekongress vorgestellt hat [1]. Darin wurde Trimodulin untersucht, ein IgM-angereicherter Immunglobulin-Mix, der auch IgG und IgA enthält – die alten, negativ verlaufenen Studien hatten allesamt reine IgG-Präparate benutzt [2].
IgM hat eine größere Struktur und höhere Bindungskapazität, es balanciert die Immunreaktion und kann bakterielle Toxine direkt binden, erklärte der Chef der Hannoveraner Pneumologie. Behandelt wurden 180 Patienten mit schwerer Pneumonie, die beatmungspflichtig waren. Beim primären Endpunkt, den beatmungsfreien Tagen, schnitt Trimodulin mit im Mittel 11 versus 9,6 etwas besser, aber nicht signifikant besser ab als Placebo (p=0,173).
Pneumonie-bedingte Mortalität halbiert
Statistikpuristen sagen an dieser Stelle: Primärer Endpunkt verpatzt, negative Studie. Aber die Reduktion der Gesamtmortalität (22,8 versus 22,2%) und vor allem der Pneumonie-bedingten Mortalität (6,2 versus 12,7%) lassen aufhorchen. Subgruppenanalysen deuten außerdem an, dass Patienten mit hohem CRP über 70mg/l, niedrigem IgM unter 0,8g/l und/oder hohem Procalcitonin über 2ng/ml besonders profitieren. Die Phase-3-Studie beginnt im Oktober.
Zurück zu den Basics. Bei der Pneumonie sind prinzipiell 2 Komplikationen zu unterscheiden: die Schädigung der Lunge selbst, die in die respiratorischen Insuffizienz (ARDS) mündet, und die invasive Komponente, die zu Bakteriämie und Sepsis führt. Beides kann zusammen auftreten, muss aber nicht, erklärte Welte.
Bei ein und derselben Bakterienspezies können zudem erhebliche Unterschiede bestehen. So zeichnet sich Serotyp 3 der Pneumokokken durch aggressive Invasivität aus, richtet aber pulmonal kaum Schaden an. Bei Serotyp 19 verhält es sich genau umgekehrt.
Der Schweregrad lässt sich mit dem qSOFA-Score rasch beurteilen. Er benutzt 3 Items: Atemfrequenz von 22/min. oder mehr, Bewusstseinseintrübung (entsprechend weniger als 15 Punkten auf der Glasgow Coma Scale) und Blutdruck unter 100 mmHg systolisch. Sind 2 von 3 Kriterien erfüllt, muss der Patient als hochgradig gefährdet eingestuft werden und gehört auf die Überwachungsstation.
Wenn der Patient mit Pneumonie und Sepsisverdacht in die Klinik kommt, „dürfen Sie noch eine Blutkultur abnehmen, wenn einfach möglich Untersuchungsmaterial aus den Atemwegen gewinnen, einen Legionellentest im Urin machen – dann müssen Sie unverzüglich ein Breitbandantibiotikum geben“, betonte Welte. Mit jeder Stunde, die zwischen Aufnahme und Therapie vergeht, steigt das Sterberisiko.
Leitlinien-Empfehlung: Betalaktam und Makrolid
Die deutsche Leitlinie empfiehlt, ein Betalaktam und ein Makrolid zu kombinieren. Dabei ist die Gabe des Makrolids durchaus umstritten, wie Welte einräumte. Ganz klar ist noch nicht einmal, was man damit bezweckt – atypische Erreger abdecken? Die Betalaktam-Wirkung durch die immunmodulatorischen Effekte unterstützen, die den Makroliden zugeschrieben werden?
Unabhängig davon: Wenn der Patient binnen 3 Tagen auf die Therapie anspricht und kein Hinweis auf einen atypischen Erreger vorliegt, kann das Makrolid auch wieder abgesetzt werden. Und andererseits: „Wenn der Patient nach drei Tagen nicht angesprochen hat, müssen wir uns sowieso Gedanken machen, was zu tun ist“, so Welte.
Komplementäre Maßnahmen haben einen hohen Stellenwert. Dazu gehören die Gabe von Vasopressoren (Zielwert beim arteriellen Mitteldruck 65 mmHg) die Flüssigkeitssubstitution – 30ml/kg kristalloider Flüssigkeit bei Hypotonie oder einem Laktat über 4mmol/l. Laktat gilt derzeit als bester prognostischer Marker überhaupt, die Bestimmung gehört zur Risikostratifizierung also unbedingt dazu.
Die Flüssigkeitsgabe wird manchmal in Zweifel gezogen, weil die Studie, die sie etabliert hat, nicht reproduziert werden konnte. Das hat einen einfachen Grund, erklärt Welte: „Dieses Therapieschema – zu dem übrigens auch die Katecholamin-Gabe gehört – hat sich weltweit durchgesetzt wie kaum ein anderes. Jede Studie, die versucht hat, das zu reproduzieren, hat eine Intervention getestet, die im Kontrollarm sowieso gemacht wurde.“
Kortison-Gabe eher unterlassen
„Bei der Frage nach Kortison bei der schweren Pneumonie sind wir Pneumologen besonders betroffen, denn wenn dem Pneumologen nichts mehr einfällt, gibt er immer Kortison“, sagte Welte. Dabei sollte seiner Ansicht nach unterschieden werden, ob es um das akute respiratorische Versagen (ARDS) geht oder um die Pneumonie.
Die ersten Studien sind mit Kortison-Dosen gemacht worden, die aus heutiger Sicht absurd erscheinen – bis zu 30 mg/kg in 24 Stunden. „Eine Form von Steroidvergiftung“ nennt Welte das. Dass dabei nichts Positives herauskam, wundert nicht.
Beim ARDS ist darüber hinaus zu bedenken, dass eine der wichtigsten Ursachen die Influenza darstellt, bei der Kortikosteroide erheblichen Schaden anrichten können – wie übrigens bei anderen schweren Virusinfektionen auch. Dafür gibt es einen infektiologischen Grund: Für die Abwehr von Virusinfektionen braucht der Körper Th1-Lmyphozyten und Interferon, und Kortison ist einer der stärksten Th1-Suppressoren überhaupt.
Die ersten Ergebnisse zur bakteriellen Pneumonie sahen spektakulär aus. In der Gruppe ohne Kortison starb jeder 3. Patient, in der Kortisongruppe kein einziger. „Da wussten wir: Wenn in einer Studie zur schweren Pneumonie in einer Gruppe kein einziger Patient stirbt, kann irgendetwas nicht stimmen“, kommentierte Welte.
Es folgten weitere Studien mit wechselnden Ergebnissen, manchmal schnitt Kortison sogar schlechter ab als Placebo. Vor allem bei den harten Endpunkten wie Tod konnte ein Benefit nicht nachgewiesen werden. Immerhin mag Welte nicht ausschließen, dass Subgruppen von Patienten doch profitieren könnten: vielleicht jene, bei denen sich die Pneumonie auf eine COPD aufgepfropft hat, oder die mit einer ausgeprägten inflammatorischen Krankheitskomponente.
Zusammenfassend bleibt also festzuhalten:
Supportive Maßnahmen wie die Flüssigkeitszufuhr oder die Vasopressoren-Therapie behalten ihren Stellenwert bei der schweren Pneumonie.
Die Gabe von Kortison sollte man eher unterlassen angesichts der Tatsache, dass sie ihren Wert bei bakteriellen Pneumonien nicht stringent bewiesen hat und bei Virusinfektionen oder ARDS eher schadet.
Dagegen könnte das neue gemischte Immunglobulin die Therapie bereichern, sofern Phase-3-Studien die positiven Mortalitätseffekte der Phase 2 bestätigen.
Medscape Nachrichten © 2019
Diesen Artikel so zitieren: Expertentipp zur Supportivtherapie bei schwerer Pneumonie: Immunglobulin-Mix scheint segensreich, Kortison besser lassen - Medscape - 28. Mär 2019.
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