Berlin – Das Ergebnis ist bedrückend: Stimmung und Stellenwert der Kranken- und Altenpflege sind deutlich im Sinkflug. Das geht aus dem Care Klima-Index Deutschland 2018 hervor.
Das Psyma-Institut befragte 2.000 Pflegende und Gepflegte, Ärzte, Apotheker, Kostenträger und Verbände im vergangenen Herbst zu 5 Themenkomplexen: Qualität und Personalsituation, wirtschaftliche Situation, nach Innovationen, der öffentlichen Wahrnehmung und der Versorgungslandschaft.
Gemeinsam ergeben die Antworten den Care Klima-Index. „Wir fragen nach der Stimmung, nach der spontanen Awareness, also: ‚Was halten Sie davon?‘, erklärte Stephanie Hollaus von der Firma Psyma bei der Vorstellung der Ergebnisse auf dem Deutschen Pflegetag in Berlin das Vorgehen der Befragung [1]. „Das ist die beste Meinung, die man bekommen kann“ – und das Klima ist frostig.
Wirtschaftlich stärkere Regionen sehen schwärzer
Im Vergleich zum Basisjahr 2017 mit einem Referenzwert von 100 sei der Index um 4,7 Punkte auf 95,3 abgesackt, berichtete Hollaus. Zum Vergleich: Der Geschäftsklima-Index liege lediglich bei 98,5 und schon das mache den Betrieben große Sorgen, erläuterte Hollaus. „Da wird auf den Geschäftsetagen extrem gejammert. Man sagt, dies sei der schlechteste Wert seit 2014.“
Besonders mies ist die Stimmung bei der Pflege im wirtschaftlich starken Süden der Republik und im Westen. Hier sackte der Index um 6,8 Punkte im Süden und um 5,3 im Westen. Im Osten und Norden lagen die Reduktion dagegen nur bei 2,9 beziehungsweise 3,1 Punkten.
Und die Arbeitsbedingungen? „Insgesamt wächst der Anteil derer, die „schlechte“ Werte für die Arbeitsbedingungen der Pflegefachpersonen aussprechen, um fast 10 Prozentpunkte“, heißt es in der Studie. Und zwar von 51% Jahr 2017 auf 60% im Jahr 2018. Dass die Unzufriedenheit mit der personellen Ausstattung entsprechend hoch ist, verwundert nicht. 70% aller Befragten gaben an, es gebe zu wenig Pflegende. Vom Pflegemanagement waren sogar fast 90% dieser Ansicht.
77% der Befragten finden die Entlohnung in der Altenpflege zu gering. Entsprechend trüb bewerten die Befragten die Zukunft. 76% der Befragten bezweifeln, dass der Bedarf an Pflegekräften in den kommenden 10 Jahre gedeckt werden kann.
Offenbar fühlen sich die Pflegenden von der Politik im Stich gelassen. 87% von ihnen sagen, die Pflege habe bei den Politikern einen niedrigeren Stellenwert als alle anderen Themen. „Was Politik tut, kommt noch nicht zur Genüge an. Wird die konzertierte Aktion Pflege dazu beitragen, dass die Stimmung sich bessert?“, fragte Hollaus.

Jens Spahn
© Stephan Baumann
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Dr. Franziska Giffey (SPD) und Bundesminister für Arbeit und Soziales, Hubertus Heil (SPD) wollen zusammen mit allen an der Pflege Beteiligten in 5 Arbeitsgruppen einer konzertierten Aktion den Arbeitsalltag und die Arbeitsbedingungen von Pflegekräften verbessern.
Unzufriedenheit auch bei Pflegequalität und Patientensicherheit
Auch die Zahl der Befragten, die die Pflegequalität als schlecht wahrnehmen, nahm um 5 Prozentpunkte zu – von 24 auf 29% der Befragten. Und glaubten 2017 noch 42%, dass die Pflegeversorgung in Zukunft nicht sichergestellt werden kann, waren es 2018 sogar 46%.
Nicht besser ist das Vertrauen in die Patientensicherheit: „Die Hälfte aller Befragten beurteilt die Patientensicherheit (…) in der Pflege wie auch in 2017 – nur als ‚teilweise gewährleistet‘, so die Psymat-Studie. 28% halten sie für niedrig (2017: 26%). Allerdings: „Wir haben signifikant schlechtere Ergebnisse erhalten für die ambulante Pflege“, so Hollaus. „Da muss die Politik sich fragen: Warum ist die Stimmung so schlecht?“
Versäumnisse von 10 bis 20 Jahren
Pflegewissenschaftler Prof. Dr. Stefan Görres von der Universität Bremen kommentierte: „Die Ergebnisse überraschen mich überhaupt nicht.“ Die Politik habe die Pflege Jahre lang nicht auf dem Schirm gehabt. Inzwischen sei das Thema Pflege zwar im zuständigen Ministerium angekommen, sagte Görres mit Verweis zum Beispiel auf das verabschiedete Pflegestärkungsgesetz. Aber die Verbesserungen kommen bei den Pflegenden nicht an.
Im Gegenteil. „So langsam bekommen Pflegende und Gepflegte mit, dass schlicht das Personal fehlt“, sagte Görres. Indessen könne die Politik die Versäumnisse von 10 bis 20 Jahren nicht in einer Legislatur aufholen. „Woher soll zum Beispiel das Personal für die 13.000 von Spahn zugesagten Pflegestellen kommen?“, fragte Görres.
Es brauche eine „Investition in die pflegerische Versorgung“, sagte der Präsident des Deutschen Pflegerates, Franz Wagner. Es geht ihm besonders um das Ansehen der Pflege. Der Beruf Pflege müsse als Berufsoption aufgewertet werden durch bessere Personalausstattung, bessere Rahmenbedingungen und bessere Organisation pflegerischer Arbeit, so Wagner.
Es brauche „einen Wandel des Images durch Anerkennung pflegerischer Kompetenzen, eine Investition in eine gute Ausbildung, die Karrierechancen im Beruf eröffnet, und in ganz Deutschland eine angemessene Vergütung der Pflegefachpersonen für ihre anspruchsvolle Aufgabe“.
Auch Spahn war zum Pflegetag gekommen. Er verteidigte die Maßnahmen, die die Politik für eine bessere Pflege getroffen habe. „Wir müssen Schritt für Schritt an den verschiedenen Schrauben drehen“, sagte er.
Aber niemand solle sofort lamentieren, dass für die 13.000 zugesagten zusätzlichen Pflegestellen derzeit kein Personal zu finden sei. „Irgendwo müssen wir anfangen!“, so der Minister. Und Richtung der Pflegenden ergänzte er: „Wenn wir nicht gut über die Pflege, über den Pflegeberuf reden, wie sollen wir dann dafür begeistern?“
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Diesen Artikel so zitieren: Stimmung in der Pflege im Sinkflug: Noch greifen die Reformen nicht, wie der Care Klima-Index zeigt - Medscape - 27. Mär 2019.
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