Eine Art modernes Streetworking: Internettherapie gegen Internetsucht

Heike Dierbach

Interessenkonflikte

27. März 2019

Berlin – Internetsucht mit Internettherapie behandeln? Das klingt erstmal kontraproduktiv. „Manche denken, dass man damit den Suchtauslöser kultiviert“, sagt Dr. Bert te Wildt, Chefarzt der Psychosomatischen Klinik Kloster Dießen in Bayern und Leiter der Online-Sucht-Ambulanz OASIS am LWL-Universitätsklinikum Bochum, „aber so einfach ist es nicht.“

Auf dem Deutschen Kongress für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie in Berlin erläuterte te Wildt, warum Internettherapie vielmehr eine Art Streetworking sein kann [1]: „Internettherapie holt die Betroffenen dort ab, wo sie sich aufhalten und wo Sucht entsteht.“ Die Ergebnisse von OASIS (Online-Ambulanz-Service für InternetSüchtige) zeigen: Das kann hilfreich sein, hat aber auch Fallstricke.

Auch eine Online-Sprechstunde ist intensiv

Das OASIS-Programm startet mit einem Selbsttest. „Es gibt ein Modul für Betroffene und eines für Angehörige“, erklärt te Wildt. Betroffene sollen beispielsweise angeben, ob sie gereizt sind, wenn sie nicht ins Internet gehen können, oder ob sie schon einmal erfolglos versucht haben, ihren Konsum zu reduzieren.

 
Internettherapie holt die Betroffenen dort ab, wo sie sich aufhalten und wo Sucht entsteht. Dr. Bert te Wildt
 

Sind 3 oder mehr Kriterien erfüllt, werden die Nutzer vom System eingeladen, einen persönlichen Account anzulegen und am Beratungsprogramm teilzunehmen. Sie erhalten dann online weitere wissenschaftliche Fragebögen zur diagnostischen Abklärung und im Anschluss eine Online-Sprechstunde über Video. Diese läuft nicht viel anders ab als eine reale Sprechstunde, mit Anamnese und strukturiertem diagnostischen Interview. „Das ist schon sehr intensiv“, sagt te Wildt.

Vor dem Hintergrund der Diagnose suchen die Berater am Wohnort des Klienten nach einer Möglichkeit für eine „echte“ Therapie. Rund 2 Wochen später findet erneut eine Online-Sprechstunde statt. Ziel ist hier, den Teilnehmer zu motivieren, die Therapie aufzunehmen. 3 Monate später wird nachgehakt, ob diese begonnen wurde.

Das Interesse für OASIS ist groß: Der Selbsttest wurde bisher rund 27.000-mal ausgefüllt, von Teilnehmern in allen Bundesländern. Das Durchschnittsalter lag bei 33 Jahren, 77% waren männlich. Bei 55% lag ein auffälliger Internetkonsum vor.

 
2 Online-Sprechstunden sind offenbar zu wenig, um die Teilnehmer hinreichend für eine Therapie vor Ort zu motivieren. Dr. Bert te Wildt
 

Allerdings gelang es nur bei einem kleinen Teil dieser Betroffenen, sie zur Teilnahme am Programm zu bewegen (222 Personen). „Damit sind wir noch nicht zufrieden“, räumt te Wildt ein. Von den diagnostiziert Internetabhängigen, die behandelt wurden, waren fast alle männlich (96,9%). Dominierende Inhalte waren Online-Computerspiele (51%), gefolgt von Cybersex und Internet-Pornografie (30%).

Der Internet-Konsum sank im Durchschnitt um eine gute Stunde

Die Teilnehmer bewerten das Programm überwiegend positiv: 67% sagen, dass OASIS ihnen Wege aus der Internetabhängigkeit gezeigt habe. Die durchschnittliche Internetnutzung pro Tag sank von 8,03 auf 6,8 Stunden.

Der Übergang in eine persönliche Therapie funktionierte in Bochum sehr gut, wo die Klienten die Behandler bereits aus der Video-Sprechstunde kannten. Im übrigen Bundesgebiet gab es aber nur in 41% der Fälle die Rückmeldung, dass eine Therapie aufgenommen wurde.

 
Das Medium scheint eher geeignet zu sein für eine Beratung als für eine Therapie. Dr. Bert te Wildt
 

„2 Online-Sprechstunden sind offenbar zu wenig, um die Teilnehmer hinreichend für eine Therapie vor Ort zu motivieren“, sagt te Wildt. Die Experten hoffen, dass sie OASIS demnächst bundesweit Kliniken und Beratungsstellen zur Verfügung stellen können, so dass Betroffene dann online gleich mit einem Therapeuten in ihrer Nähe sprechen.

Te Wildts Fazit zur Frage „Intertherapie bei Internetsucht?“ fällt gemischt aus. „Das Medium scheint eher geeignet zu sein für eine Beratung als für eine Therapie.“ Man könne Brücken bauen zur Aufnahme und Aufrechterhaltung der Therapie.

Auch zur Nachsorge sei Internetberatung sicherlich sinnvoll. „Der persönliche Kontakt aber ist gerade bei dieser Störung sehr wichtig, denn es geht ja oft um Personen, die Probleme mit Kontakten in der realen Welt haben.“

Neben OASIS gibt es in Deutschland noch einige weitere Online-Hilfsangebote für Internetsüchtige. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung etwa bietet auf der Seite ins-netz-gehen.de einen Selbsttest und ein 4-wöchiges Beratungsprogramm an. Dazu gehören Hilfen zur Kontrolle des Mediengebrauchs, aber auch ein persönliches Gespräch über Voice-Chat.

 

Kommentar

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