Berlin – Der Brief an Dr. Christiane Tennhardt war säuberlich mit der Hand geschrieben. „Ich hoffe inständig, dass jede ‚Frau‘, die ihr Ungeborenes töten lässt, elendig daran krepiert“, schreibt die Absenderin. Im folgenden Absatz wünscht sie auch Tennhardt den Tod. Der Grund: Die Berliner Frauenärztin führt Schwangerschaftsabbrüche durch.
Solche Briefe und Mails erhalte sie regelmäßig, berichtete Tennhardt auf dem Symposium „Abschaffung des § 219a“ auf dem Kongress „Armut und Gesundheit“ in Berlin [1]. Am Freitag billigte der Bundesrat die Änderung des „Werbeverbots“ für Schwangerschaftsabbrüche, die künftig mehr Online-Informationen ermöglicht. Die Referenten des Symposiums lehnten aber auch diese Lösung ab, weil sie Frauen weiter bevormunde.
Nützt eine zentrale Liste radikalen Abtreibungsgegnern?
Künftig dürfen Ärzte neutral auf ihrer Webseite darüber informieren, dass sie Abbrüche durchführen. Mit welcher Methode, bis zu welcher Woche und weitere Details dürfen aber nur in einer externen Liste stehen, die zentral, etwa bei der Ärztekammer geführt und veröffentlicht wird.
Die Kritiker befürchten einerseits, dass diese Liste nicht vollständig und aktuell sein wird, denn die Ärzte müssen sich selbstständig melden. Zum anderen könne eine solche „Abtreibungsliste“ Ärzte abschrecken, weil sie dadurch leichter zum Ziel radikaler Abtreibungsgegner werden könnten.
Denn die führen bereits selbst Listen mit Ärzten, die Abtreibungen durchführen. Nach Tennhardts Erfahrung geht es bei der Diskussion in Wirklichkeit nicht nur um das Werbeverbot: „Es geht um die Frage, ob Frauen abtreiben dürfen oder nicht.“
Faktisch ist der Paragraph 219a auch nach der Änderung ein Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit von Ärzten, erläuterte Inga Schuchmann, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der juristischen Fakultät der Universität Hamburg und Mitglied des Arbeitsstabs „Reproduktive Gesundheit und reproduktive Rechte“ im Deutschen Juristinnenbund.
Damit ein solcher Eingriff rechtlich zulässig sei, müsse es triftige Gründe geben – und es dürfe kein juristisch milderes Mittel zur Verfügung stehen. Beides sieht Schuchmann beim § 219a nicht erfüllt. Der Schutz ungeborenen Lebens werde durch reine Informationen zu einem Abbruch nicht beeinträchtigt. Und eine anpreisende Werbung sei bereits durch das Standesrecht untersagt – es bedarf dazu also nicht mehr des § 219a.
Ihr Fazit: „Die Strafbarkeit von sachlichen Informationen bezüglich rechtmäßiger Abbrüche ist verfassungswidrig.“
Klagen sind nur ein Mittel der „Lebensschützer“
Den radikalen Abtreibungsgegnern gehe es auch nicht vorrangig um den Paragraphen 219a, bestätigt Ulli Jentsch, Mitarbeiter im Bildungszentrum apabiz in Berlin, der diese Gruppen seit Jahren beobachtet: „Klagen sind nur ein Mittel dieser Akteure. Ihr Ziel ist es, Druck auf die Berufsgruppen auszuüben, die Abbrüche durchführen, und die öffentliche Debatte zu beeinflussen.“
Dazu demonstrieren die „Lebensschützer“ auch direkt vor Praxen und Kliniken, beten, singen und sprechen betroffene Frauen an. Für Schuchmann ist dies eine klare Belästigung von Patientinnen. Tennhardt fordert eine Bannmeile um die medizinischen Einrichtungen.
Die staatlichen Informationshürden hätten durchaus einen Einfluss auf Schwangere, die einen Abbruch planen, berichtete Heike Pinne, Leiterin der pro familia-Beratungsstelle in Offenbach. „Es entsteht insgesamt der Eindruck: Was du tust, ist nicht in Ordnung!“ Dies führe zu Scham und Schuldgefühlen und damit zu zusätzlichen psychischen Belastungen für die Frauen in einer ohnehin sehr schwierigen Situation. „Wir haben zunehmend Frauen, die sagen, sie haben mit niemandem über ihre Schwangerschaft gesprochen.“
Versorgungslage hat sich verschlechtert
Neben der Information stellt sich aber auch die Versorgung für Schwangere in Konfliktlagen zunehmend schwierig dar, erläuterte Tennhardt. Zwar müssten die Länder laut Schwangerschaftskonfliktgesetz ein „ausreichendes Angebot ambulanter und stationärer Einrichtungen zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen“ sicherstellen. Doch dies werde nicht überprüft.
Zwischen 2003 und 2017 sei die Zahl der Einrichtungen in Deutschland stark zurückgegangen, von 2.000 auf 1.200. Vor allem in ländlichen Gebieten müssten Frauen weit fahren. Als Grund für den Rückgang sieht Tennhardt die öffentliche Stigmatisierung und Bedrohungen durch die Aktivitäten der Abtreibungsgegner: „Es gibt offenbar viele Ärzte, die sagen, in so einem Klima mache ich das nicht.“
Die am Freitag beschlossene Änderung des Paragraphen 219a tritt in Kraft, wenn das Gesetz im Bundesgesetzblatt veröffentlicht wurde.
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Diesen Artikel so zitieren: Geänderter Paragraph 219a sieht zentrale Ärzte-Liste vor – gefundenes Fressen für Abtreibungsgegner und Gefahr für Ärzte? - Medscape - 20. Mär 2019.
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