Neue RKI-Analyse: Wer arm ist, stirbt früher, aber auch Grippewellen beeinflussen die Lebenserwartung

Michael van den Heuvel

Interessenkonflikte

20. März 2019

In Deutschland steigt die Lebenserwartung weiter an, doch verlangsamen wahrscheinlich mehrere schwere Grippewellen den Trend. Der Effekt sozialer Einflüsse auf die Mortalität hat sich seit 25 Jahren kaum verändert: In den niedrigsten Einkommensgruppen sterben 13% der Frauen und 27% der Männer vor Vollendung ihres 65. Lebensjahres, in der höchsten Einkommensgruppe sind es dagegen nur 8% bzw. 14%. Zu diesen Ergebnissen kommen Epidemiologen des Robert Koch-Instituts (RKI) im aktuellen Journal of Health Monitoring  [1].

„Soziale Ungleichheit hat wegen der massiven Auswirkungen auf Gesundheit und Lebenserwartung aus Sicht von Public Health eine zentrale Bedeutung“, kommentiert Prof. Dr. Lothar H. Wieler, Präsident des RKI. „Als Daten für Taten sind unsere Ergebnisse Grundlage für evidenzbasierte Entscheidungen der Politik im Hinblick auf Planung, Umsetzung und Evaluation von Maßnahmen.“

4 bis 8 Jahre Unterschied in der Lebenserwartung

PD Dr. Thomas Lampert von der Abteilung für Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring am RKI ging zusammen mit seinen Kollegen der Frage nach, welchen Effekt soziale Unterschiede auf die Mortalität haben. Sein Team wertete Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) der Jahre 1992 bis 2016 aus. Es standen Informationen zu 83.287 Personen zur Verfügung, wobei nicht alle Teilnehmer über den gesamten Zeitraum hinweg begleitet worden sind.

 
Soziale Ungleichheit hat wegen der massiven Auswirkungen auf Gesundheit und Lebenserwartung … eine zentrale Bedeutung. Prof. Dr. Lothar H. Wieler
 

Als Indikator wählten Forscher das Netto-Äquivalenzeinkommen. Hier spielen neben reinen Einkommensverhältnissen auch die Größe und die Struktur des Haushalts eine Rolle, um Einsparungen durch gemeinsames Wirtschaften zu berücksichtigen.

Der Analyse zufolge sterben 13% der Frauen und 27% der Männer aus der niedrigsten Einkommensgruppe vor ihrem 65. Geburtstag. In der höchsten Einkommensgruppe sind es 8% der Frauen und 14% der Männer.

Im nächsten Schritt gaben Lampert und seine Kollegen an, wie groß der absolute Verlust an Lebenszeit ist. Bezogen auf die mittlere Lebenserwartung bei der Geburt errechneten sie als Differenz zwischen der niedrigsten und der höchsten Einkommensgruppe bei Frauen 4,4 Jahre und bei Männern 8,6 Jahre. Selbst im Alter von 65 Jahren fanden die Autoren noch Unterscheide von 3,7 Jahre bei Frauen und 6,6 Jahren bei Männern.

Bei Kindern erklären soziale Unterschiede die gesundheitlichen Unterschiede

Lamperts Team analysierte auch gesundheitliche Unterschiede bei Kindern. Basis sind die Studien zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland (KiGGS). Alle Teilnehmer sind zwischen 0 und 17 Jahren alt. Neben der KiGGS-Basiserhebung (2003 bis 2006) gab es bisher die KiGGS Welle 1 (2009 bis 2012) bzw. die KiGGS-Welle 2 (2014 bis 2017).

Die Daten der KiGGS-Studie zeigen, dass sich die die gesundheitliche Situation von Kindern und Jugendlichen in Deutschland in den letzten 10 Jahren zwar generell verbessert hat. Unterschiede gibt es aber auch hier je nach sozioökonomischen Status (SES) der Familie.

Der SES wird aus der Bildung, dem Beruf und dem Einkommen der Eltern errechnet. Für alle Gesundheitsoutcomes – nämlich allgemeiner Gesundheitszustand, psychische Auffälligkeiten, körperliche Aktivität, Konsum zuckerhaltiger Softdrinks und Rauchen – zeigten sich abhängig vom SES ungleiche Verteilungen.

Ein niedriger SES gilt als Risikofaktor für schädliche Verhaltensweisen. Außerdem profitieren Heranwachsende aus Familien mit niedrigem SES deutlich seltener von Maßnahmen zur Prävention und Gesundheitsförderung als Gleichaltrige in Familien mit hohem SES.

Die Lebenserwartung steigt – aber Grippewellen verlangsamen den Trend

In einem weiteren Beitrag befasst sich das Team um Enno Nowossadeck von der Abteilung für Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring am RKI mit langfristigen Trends. Bekanntlich ist die Lebenserwartung in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich gestiegen. Frauen verzeichnen seit den 1990er-Jahren einen Gewinn von 4,2 Jahren, was zu 83,2 Jahren durchschnittlicher Lebenserwartung führt. Männer kommen mit einem Plus von 5,9 Jahren mittlerweile auf 78,4 Jahre. Alle Werte aus den alten und neuen Bundesländern haben sich stark angeglichen.

 
Leider sind gerade bei den Senioren die (Influenza-)Impfquoten mit rund 35 Prozent besonders niedrig. Prof. Dr. Lothar H. Wieler
 

Dieser Trend zu mehr Lebenszeit wurde aber einige Male unterbrochen. Bei den schweren Grippewellen, zuletzt 2012/2013, 2014/2015 und 2016/2017, gab es schätzungsweise mehr als 20.000 zusätzliche Todesfälle pro Saison. Das entspricht 2% der jährlichen Todesfälle.

Erhöhte Influenza-Aktivitäten und vermehrte Todesfälle traten in den untersuchten Zeiträumen jeweils nach der Jahreswende in 2013, 2015 und 2017 (also während der Grippe-Saison). In diesen Jahren verlangsamte sich auch der Anstieg der Lebenserwartung. In der Regel sind ältere Menschen betroffen. „Leider sind gerade bei den Senioren die Impfquoten mit rund 35 Prozent besonders niedrig“, so Wieler anlässlich der letzten Influenza-Saison. „Trotz der schwankenden Impfeffektivität ist die Impfung die wichtigste Maßnahme zum Schutz vor einer Erkrankung.“

 

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....