Der Bundestag hat das TSVG beschlossen: Die wichtigsten Neuerungen im Überblick und was Kassen und Ärzte dazu sagen

Christian Beneker

Interessenkonflikte

19. März 2019

Jens Spahn
© Stephan Baumann

Das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) ist besiegelt – das Echo bleibt gespalten. Am vergangenen Donnerstag hat der Bundestag das TSVG mit den Stimmen der Regierungsparteien beschlossen. „Dieses Gesetz wird die Versorgung schneller, besser und digitaler machen“, sagte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) in der Aussprache über das Gesetz vor dem Bundestag.

 
Dieses Gesetz wird die Versorgung schneller, besser und digitaler machen. Jens Spahn
 

Die wichtigsten Punkte des TSVG im Überblick:

  • Extrabugetäre Vergütung: Erstmals erhalten Ärzte, die neue Patienten aufnehmen, ihre Arbeit extrabudgetär vergütet. Als neu gelten Patienten, die 2 Jahre lang nicht in der Praxis waren. Auch die Versorgung von Akutpatienten, die über die Terminservicestellen gekommen sind, wird extrabudgetär entlohnt. Zudem fließen zwischen 20- und 50-prozentige Zuschläge extrabudgetär auf die Versichertenpauschale – je nachdem, wie schnell der Patient einen Termin erhielt. Für die erfolgreiche Vermittlung eines dringenden Facharzttermins erhält der Hausarzt mindesten 10 Euro extrabudgetären Zuschlag.

  • 25 Sprechstunden pro Woche: Zukünftig müssen Vertragsärzte 25 Sprechstunden in der Woche anbieten, damit mehr Patienten versorgt werden können. Grundversorgende Fachärzte, z.B. Gynäkologen, müssen wöchentlich 5 offene Sprechstunden für spontan entschlossene Patienten anbieten. Auch sie werden extrabudgetär vergütet. Die KVen sollen die Einhaltung der Sprechstundenzeiten prüfen.

  • Limitierte Wartezeiten: Patienten sollen höchstens 4 Wochen, bei psychotherapeutischen Akutbehandlungen höchsten 2 Wochen, auf einen Termin warten müssen. Dafür sollen die Terminservicestellen sorgen. Sie sollen künftig ununterbrochen erreichbar sein und auch über eine APP Termine vermitteln können.

  • Gelber Schein: Ab 2021 sollen Ärzte den „Gelben Schein“ nur noch online an die Kassen übermitteln.

  • HZV-Boni: Krankenkassen müssen zukünftig Boni an Versicherte zahlen, die an der Hausarztzentrierten Versorgung (HZV) teilnehmen

  • Geförderte Weiterbildung: Künftig werden 2.000 statt nur 1.000 Weiterbildungsstellen bei grundversorgenden Fachärzten gefördert.

  • Elektronische Patientenakte: Ebenfalls bis 2021 müssen die Krankenkassen ihren Versicherten eine elektronische Patientenakte anbieten.

  • Strukturfonds: Die KVen müssen 0,2% der Gesamtvergütung in einen Strukturfonds stecken, um die Versorgung auf dem Land zu verbessern und in unterversorgten Gebieten eigene Praxen einrichten oder telemedizinisch die Versorgung sicherstellen.

  • Transparenz bei Gehältern: Die Vorstandsgehälter bei Kassen, KVen und dem Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) werden offengelegt.

  • Begrenzter Einfluss von Investoren: Reine Kapitalinvestoren haben künftig weniger Einfluss auf Medizinische Versorgungszentren (MVZ). So wird z.B. die Gründungsbefugnis für zahnmedizinische Versorgungszentren durch Krankenhäuser eingeschränkt.

  • BGM mit gematik-Mehrheit: Das Bundesgesundheitsministerium übernimmt bei der gematik 51% der Geschäftsanteile und damit das Ruder. So soll die Telematik-Infrastruktur zügiger umgesetzt werden.

„Die KV will unbedingt die Entbudgetierung“

Die zahlreichen und lange diskutierten Bestimmungen des TSVG treffen auf ein geteiltes Echo. Dr. Ludwig Grau z.B., Vorstand des Berufsverbandes Niedergelassener Fachärztlich Tätiger Internisten e.V., kritisierte nach der Entscheidung im Bundestag in einem offenen Brief an Bundesgesundheitsminister Spahn das TSVG erneut als „Einstieg in die Staatsmedizin“.

„Es geht der überwiegenden Mehrheit der Kassenärzte nicht um 20 oder 25 Std. Sprechstunde, es geht um die Tatsache, dass der Minister, dass der Staat in unsere freiberuflichen Praxen hineinregieren will und die Sprechstundenzeiten festlegen will“, heißt es in dem Schreiben. Dies sei „Staatsmedizin statt Freiberuflichkeit“.

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) habe den Fehler gemacht, unbedingt den Einstieg in die Entbudgetierung annehmen zu wollen. Für Grau ist sie möglicherweise „nur ein Köder“. Spahn gehe bewusst in Richtung Staatsmedizin und wolle das Ruder in Hinblick auf die Sprechstundenzeiten in die Hand bekommen. Dafür verlieren die Ärzte die Steuerung, so Grau.

 
Die verpflichtende Bonifizierung einer Teilnahme an der Hausarztzentrierten Versorgung (HZV) ist als positives Signal zu bewerten. Ulrich Weigeldt
 

Der Facharzt fürchtet, dass das Bundesgesundheitsministerium die Pflicht-Sprechstundenzahl nach und nach auf 28 oder 30 Stunden und 8 Stunden freie Sprechstunden erhöhen wird. Dabei seien die Praxen jetzt schon an der Kapazitätsgrenze, so Grau.

Dr. Andreas Gassen

Tatsächlich begrüßte KBV-Vorstandsvorsitzender Dr. Andreas Gassen das Gesetz [1]. „Noch mehr Arbeit und Leistungen kann es nur geben, wenn diese auch bezahlt werden. Diese eigentlich simple Erkenntnis ist mit dem TSVG nun erstmals von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn in Gesetzesform gegossen worden“, sagte Gassen. „Das erkennen wir ausdrücklich an.“

Allerdings hätte sich Gassen anstelle der viele Einzelregelungen des TSVG lieber die Entbudgetierung der Grundleistungen gewünscht. „Doch offensichtlich haben in der Politik die Mehrheiten und der Mut zu diesem konsequenten Schritt gefehlt“, resümierte der KBV-Chef.

Ähnlich argumentiert Dr. Dirk Heinrich, Vorsitzender des NAV-Virchowbundes [2]. Er begrüßt die Entbudgetierung als signifikanten Schritt. Aber die Anzahl der behandelnden Ärzte und die Summe der Arztzeit werde sich durch das Gesetz nicht wesentlich erhöhen. „Es wird schnellere Ersttermine geben, die Folgetermine können aber, je nach Erkrankung dann entsprechend länger dauern.“

Schließlich bleibe die Versorgung chronisch Kranker weiterhin im Fokus ambulanter ärztlicher Behandlung, hieß es. Die Vorschriften zu den neuen Sprechstunden sieht im Übrigen auch der NAV-Virchowbund als „schwerwiegenden Eingriff in die Freiberuflichkeit“.

 
Staatliche Vorgaben zur Praxisführung helfen niemandem, sie halten aber junge Ärztinnen und Ärzte von einer Niederlassung ab. Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery
 

Ulrich Weigeldt, Bundesvorsitzender des deutschen Hausärzteverbandes begrüßte die grundsätzliche Stärkung der hausärztlichen Versorgung, die mit dem Gesetz einhergehe [3]. „Die verpflichtende Bonifizierung einer Teilnahme an der Hausarztzentrierten Versorgung (HZV) ist als positives Signal zu bewerten“, so Weigeldt, „ebenso die entbudgetierten Honorarteile“. Aber: Von einem Wegfall der Wirtschaftlichkeitsprüfungen oder der Regress-Androhungen könne nicht die Rede sein.

Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery

Der Präsident die Bundesärztekammer, Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery, kritisierte am Gesetz, dass es zu sehr in die Arbeit der Selbstverwaltung eingreife [4]. „Staatliche Vorgaben zur Praxisführung helfen niemandem, sie halten aber junge Ärztinnen und Ärzte von einer Niederlassung ab“, so Montgomery.

Und auch die neuen Mehrheitsanteile des Staates in der gematik seien schädlich. „Damit werden in der gematik diejenigen an den Rand gedrängt, die tagtäglich mit den digitalen Anwendungen arbeiten.“

Das Gesetz ist im Bundesrat nicht zustimmungspflichtig. Es tritt zum 1. Mai in Kraft.

 

Kommentar

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