New Orleans – Die Katheter-gestützte Aortenklappen-Implantation TAVI (Transcatheter Aortic-Valve Implantation) boomt – nicht nur in Deutschland. Dieser Boom wird wohl nach dem diesjährigen Kongress des ACC (American College of Cardiology) nochmal kräftigen Auftrieb erhalten [1]. Denn: Bislang war die TAVI vor allem älteren Patienten mit Aortenstenose und hohem oder zumindest mittlerem OP-Risiko vorbehalten. Das wird sich aber jetzt mit ziemlicher Sicherheit ändern.
Ein „unglaublicher Erfolg in der Versorgung von Patienten mit Aortenstenose“
In New Orleans sind 2 große randomisierte Studien vorgestellt worden, die die TAVI bei Patienten mit niedrigem chirurgischem Risiko gegen den bisherigen Standard – den operativen Ersatz der Klappe – getestet haben. Und beide Studien sind für die TAVI positiv ausgegangen. Beide Studien sind zudem zeitgleich zur Präsentation im New England Journal of Medicine veröffentlicht worden [2,3].
Die Reaktion der Zuhörer beim ACC-Kongress war eindeutig: Nach den Präsentationen der Studien gab es „Standing Ovations“ im Auditorium. Auch einer der renommiertesten US-Kardiologen, Prof. Dr. Eugene Braunwald, Brigham and Women’s Hospital Boston, Massachusetts, der die anschließende Diskussion leitete, zeigte sich vollkommen euphorisch: „Dies ist ein historischer Moment“, sagte er, „von dem wir unseren Enkeln noch erzählen werden, dass wir dabei waren, als dieser unglaubliche Erfolg in der Versorgung von Patienten mit Aortenstenose präsentiert worden ist.“

Janet Wyman
Die Sprecherin der ACC, Janet Wyman, Detroit, Michigan, fasste es bei der Pressekonferenz zusammen: „Wir haben über Jahre diesen Trend, weg von der Chirurgie hin zur TAVI beobachtet. Aber nun – nach diesen Studien – ist es kein Trend mehr, sondern eine eindeutige Veränderung; die TAVI wird nun die bevorzugte Option für die meisten Patienten mit Aortenklappenstenose werden.“
PARTNER-3-Studie: Eindeutige Überlegenheit der TAVI
Die vom Unternehmen Edwards Life Science gesponserte PARTNER-3-Studie war sogar ganz besonders positiv, was allerdings Experten nicht überraschte. So hatte bereits der Medscape-Kardiologie-Blogger Dr. John M. Mandrola in seinem ACC-Preview auf den für die TAVI besonders „günstig“ ausgewählten primären Endpunkt der Studie hingewiesen: eine Kombination von Tod, Schlaganfall oder Rehospitalisierung nach einem Jahr. Dieser primäre Endpunkt war auch tatsächlich bei den TAVI-Patienten deutlich niedriger (8,5 vs 15,1%; p = 0,001 für Überlegenheit).

Prof. Dr. Martin Leon
Wie der Präsentator der Ergebnisse in der Late Breaking Trial-Session, Prof. Dr. Martin Leon, Direktor des Zentrums für Interventionelle Vaskuläre Therapie am NewYork-Presbyterian/ Columbia University Medical Center, am Sonntag berichtete, war aber nicht nur der primäre Endpunkt in der TAVI-Gruppe um absolut 6,6% seltener. Nach 30 Tagen war auch die Rate an Schlaganfällen (0,6 vs 2,4%) und an neu aufgetretenem Vorhofflimmern (5 vs 39,5%) in der Gruppe, die ihre neue Klappe per Katheter erhalten hatte, signifikant niedriger (p = 0,02 und p < 0,001).
Die TAVI-Patienten konnten zudem früher die Klinik wieder verlassen – nach 3 anstatt 7 Tagen. Es habe keine signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen in punkto schwere vaskuläre Komplikationen, neue Schrittmacher-Implantationen (eine bekannte Komplikation bei TAVI) oder mittel- bis höhergradiger Aorten-Regurgitationen gegeben (als Parameter für den Behandlungserfolg), berichtete Leon. Bei den Endpunkten Linksschenkelblock und leichte Regurgitation schnitten jedoch die chirurgisch behandelten Patienten besser ab.
Haupt-Kritikpunkt: Nur 1 Jahr Nachbeobachtungszeit
Für die PARTNER-3-Studie waren 1.000 Patienten an 71 Zentren randomisiert worden. Die TAVI erfolgte transfemoral mit einer Ballon-expandierten Klappe der 3. Generation (Sapien 3™, Edwards Lifesciences). Die Patienten waren im Schnitt 73 Jahre alt und hatten einen STS-Risikoscore für ihr OP-Risiko von 1,9%.
Haupt-Kritikpunkt an der Studie – den auch die Studienautoren einräumen – ist die mit einem Jahr doch recht kurze Nachbeobachtungszeit. Dass gerade in den ersten Tagen und Wochen die Patienten nach einem herzchirurgischen Eingriff eher als nach einem Katheter-gestützten Verfahren unter Nachwirkungen und Komplikationen leiden, ist wenig verwunderlich.
Doch besonders für die Patienten mit niedrigerem OP-Risiko, die ja meist noch jünger sind, sind die langfristigen Ergebnisse der Prozedur von besonderer Bedeutung. Das Studienprotokoll sehe auch vor, so sagte Leon, dass die Studienteilnehmer mindestens 10 Jahre klinisch und echokardiographisch nachverfolgt werden sollen. In einer Substudie mit 435 Patienten sollen diese auch per CT auf subklinische Klappenthrombosen (möglicherweise eine weitere bislang unterschätzte TAVI-Komplikation) getestet werden.
EVOLUT-Studie: Nur harte Endpunkte, aber vorzeitige Analyse
Die 2. Studie, die von Medtronic gesponserte EVOLUT-Studie, verzichtete auf die Rehospitalisierungen und wertete nur Tod oder Schlaganfall mit Funktionseinschränkung („disabling stroke“) im primären Endpunkt aus. Dies außerdem eigentlich erst nach einer Beobachtungszeit von 2 Jahren.
Doch nun präsentierte die Studiengruppe in New Orleans eine präspezifizierte 1-Jahres-Interimsanalyse, die mittels eines bayesianischen Ansatzes erstellt wurde, nachdem bei 850 Patienten ein Follow-up von einem Jahr erreicht war. Man wollte wohl den Ruhm dieser „historischen Stunde“ nicht der PARTNER-3-Studie alleine überlassen.
In EVOLUT fiel dann auch der Unterschied im (strikteren) primären Endpunkt geringer aus als in der PARTNER 3-Studie – 5,3 vs 6,7% nach 2 Jahren, wieder zugunsten der TAVI. Doch war die Differenz nicht signifikant und die TAVI damit dem chirurgischen Klappenersatz nur „nicht unterlegen“.
Es wurden 1.468 Patienten mit Aortenklappenstenose und niedrigem OP-Risiko zu TAVI oder chirurgischem Klappenersatz randomisiert. Die Teilnehmer waren im Mittel 74 Jahre alt und erhielten selbst-expandierende supraannulare Bioprothesen (CoreValve™, Evolut™ R oder Evolut™ PRO von Medtronic).
Auch hier sprachen nach 30 Tagen einige sekundäre Endpunkte zusätzlich für die TAVI: weniger Schlaganfälle (0,5 vs 1,7%), weniger Blutungskomplikationen (2,4 vs 7,5%), weniger akute Nierenschädigungen (0,9 vs 2,8%) und weniger Vorhofflimmern (7,7 vs 35,4%).
Aber andererseits war der Behandlungserfolg bei der TAVI geringer – mehr Patienten wiesen noch eine moderate oder schwere Aorten-Regurgitation auf (3,5 vs 0,5%) und deutlich mehr mussten einen Schrittmacher implantiert bekommen (17,4 vs 6,1%). Die TAVI-Patienten hatten auch nach einem Jahr geringere Aorten-Klappen Gradienten (8,6 mmHg vs 11,2) und größere effektive Klappenöffnungsflächen (2,3 vs 2,0 cm²).
Auch hier räumen die Autoren ein, dass eigentlich ein langfristiges Follow-up notwendig ist, um die Vor- und Nachteile der jeweiligen Methode exakt gegeneinander abzuwägen. Auch sie planen ein 10-jähriges Follow-up – sowohl klinisch als auch echokardiographisch.
Diskussion um die Nachhaltigkeit der TAVI-Ergebnisse
Die Frage ist, ob in der Praxis tatsächlich so lange gewartet wird, bevor die Indikation für die TAVI auf jüngere Patienten mit niedrigem Risiko ausgedehnt wird. In Deutschland etwa stagniert nach Daten des aktuellen deutschen Herzberichtes die Zahl der konventionellen Aortenklappen-Eingriffe bei etwas mehr als 10.000 jährlich, die TAVI-Prozeduren nehmen dagegen ständig zu – von 2016 auf 2017 z.B. um 13,5% auf knapp 20.000 jährlich. Derzeit stellt die Altersgruppe der 80- bis 90-Jährigen noch die größte Kohorte unter den TAVI-Patienten (rund 60%). Es ist anzunehmen, dass sich dies nach PARTNER 3 und EVOLUT nun ändern wird.
Medscape-Kardiologie-Blogger Mandrola zeigt sich in seinem ACC-Vorab-Artikel besorgt: „Ich befürchte, die kurzfristigen Ergebnisse können bereits zu einer breiten Anwendung der TAVI bei Patienten mit geringerem Risiko führen, noch bevor solide Beweise für die langfristige Haltbarkeit vorliegen. Angesichts der großen Zahl von Patienten mit Aortenstenose und geringerem Risiko, wäre es schlimm, sollte sich die Indikation langfristig dann doch als falsch erweisen.“

Prof. Dr. Michael Reardon
Ähnlichen Befürchtungen, die während der Diskussion der beiden Studien beim ACC-Kongress geäußert wurden, hielten die beiden Präsentatoren – Leon für PARTNER 3 und Prof. Dr. Michael Reardon, Houston Methodist DeBakey Heart & Vascular Institute, Texas, für die EVOLUT-Studiengruppe, entgegen, dass es keinen Grund gebe anzunehmen, dass chirurgisch implantierte Klappen länger haltbar seien.
Reardon: „Als Kardiochirurg kann ich Ihnen sagen, dass wir über die Haltbarkeit chirurgisch implantierter Klappen auch nicht allzu viel wissen.“ Leon ergänzte: „Die Unvergänglichkeit chirurgischer bioprothetischer Klappen ist ein Mythos. Für die meisten dieser heute verwendeten Klappen haben wir auch nur 2- bis 4-Jahresdaten. Und die TAVI ist so neu nun auch nicht mehr – aus den 5-Jahresdaten gibt es keine Hinweise auf frühe strukturelle Klappenschädigungen.“
Angesprochen auf die sehr niedrigen Schlaganfallraten – Schlaganfälle waren in den Anfängen der TAVI eine der am meisten gefürchteten prozeduralen Komplikationen – betonten beide Präsentatoren, dass man dies (wie auch die aktuellen Studienergebnisse zeigen) inzwischen im Griff habe. Die Technik sei ausgereifter geworden – und man habe viel mehr Erfahrung. Ähnliches gelte für die in EVOLUT immer noch hohen Raten an Schrittmacher-Implantation nach TAVI. Reardon: „Ja – dies war ein Problem. Aber die Schrittmacher-Quoten werden immer geringer, je vertrauter wir mit der Methodik und der Technik werden.“
In New Orleans zeigten sich die kardiologischen Experten überzeugt: Die TAVI ist bei Aortenklappenstenose die Technik der Zukunft – für fast alle Patienten. Nur 2 Gruppen machen noch eine Ausnahme: Mechanische Herzklappen – von denen man davon ausgeht, dass sie länger haltbar sind, aber eine lebenslange Antikoagulation benötigen – sie können nur chirurgisch implantiert werden. Und bei jüngeren Patienten mit strukturellen Anomalien, die eine bikuspide Aortenklappe haben, ist ebenfalls die Chirurgie noch die sicherere Methode.
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Diesen Artikel so zitieren: „Dies ist ein historischer Moment“ – PARTNER-3- und EVOLUT-Studie: TAVI bei Aortenstenose kommt wohl für (fast) alle - Medscape - 18. Mär 2019.
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