Paul-Ehrlich-Preis 2019: Die Bedeutung falscher Proteinfaltung für neurodegenerative Erkrankungen

Maren Schenk

Interessenkonflikte

14. März 2019

Prof. Dr. Franz-Ulrich Hartl

Frankfurt – Falsch gefaltete Proteine sind eine Katastrophe für die Zelle – sie verklumpen oder verheddern sich und stören als funktionsloser Proteinmüll. Bei vielen neurogenerativen Krankheiten verklumpen falsch gefaltete Proteine und lagern sich in der Zelle ab, etwa bei der Alzheimer-Demenz, bei Morbus Parkinson oder bei Amyotropher Lateralsklerose. Weil sich Zellen keine Fehler bei ihren Proteinen leisten können, erhalten neu synthetisierte Proteine Hilfe, um in der Zelle rasch ihre korrekte 3-dimensionale Gestalt einnehmen zu können – und zwar von verschiedenen Faltungshelfern, sogenannten Chaperonen.

Prof. Dr. Arthur L. Horwich

Der deutsche Arzt und Biochemiker Prof. Dr. Franz-Ulrich Hartl und der amerikanische Mediziner Prof. Dr. Arthur L. Horwich haben diese Faltungsmaschinerie der Zelle entdeckt und ihre Prinzipien entschlüsselt. Dafür erhielten sie den mit 120.000 Euro dotierten Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Preis 2019, der traditionell am 14. März, dem Geburtstags Paul Ehrlichs, in der Frankfurter Paulskirche verliehen wird [1]. Der 62-jährige Hartl ist Direktor am Max-Planck-Institut für Biochemie in München, der 67-jährige Pädiater Horwich forscht und lehrt an der Yale Universität New Haven, USA.

 
Hartl und Horwich haben ... einen wichtigen Beitrag zum Verständnis neurodegenerativer Erkrankungen geleistet. Prof. Dr. Thomas Boehm
 

rag zum Verständnis neurodegenerativer Erkrankungen geleistet“, sagt Prof. Dr. Thomas Boehm

„Hartl und Horwich haben wichtige Aspekte dieser Maschinerie entdeckt und deren Bedeutung für die Medizin aufgezeigt. Damit haben sie einen wichtigen Beitrag zum Verständnis neurodegenerativer Erkrankungen geleistet“, sagt Prof. Dr. Thomas Boehm über die Leistungen der beiden Preisträger. Boehm ist Direktor am Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Epigenetik in Freiburg und Vorsitzender des Stiftungsrates.

„Ohne richtige Form, keine korrekte Funktion: Dieses grundlegende Prinzip der Technik gilt auch für zelluläre Proteine“, schreibt der Stiftungsrat in seiner Begründung. „Wenn die dreidimensionale Form nicht stimmt, funktionieren Proteine nicht. Sie exponieren wasserabstoßende Seitenketten, die normalerweise verdeckt sind. Diese ziehen andere wasserabstoßenden Seitenketten an, verkleben und sorgen dafür, dass die Proteine aggregieren. Die Zelle verhindert dies durch Faltungshelfer.“

Chaperone als Faltungshelfer von Proteinen

Proteine verlassen den Ort ihrer Synthese als wachsende Proteinkette – sie quellen quasi aus dem Ribosom wie Zahnpasta aus der Tube. Dabei besteht die Gefahr, dass die Proteinkette verklebt, bevor die Synthese abgeschlossen ist. Vollständig falten kann sie sich erst, nachdem die letzte Aminosäure angehängt worden ist. Die von Hartl und Horwich entdeckten Chaperone schirmen die langkettigen Proteinketten von der Umgebung ab und geben ihnen dadurch Gelegenheit, sich schnell und ungestört auszurichten. Die Faltungsmaschinerie verbraucht Energie in Form von ATP.

Ein Teil dieser äußerst komplexen Faltungsmaschinen sind Hsp60-Proteine (60 kD-Hitzeschockproteine) oder Chaperonine. Sie treten in Bakterien und beim Menschen in Mitochondrien auf. Dort verhelfen sie Proteinen, die für den Transport durch die Mitochondrien-Membran als lange Aminosäureketten vorliegen, in den Mitochondrien wieder zu ihrer ursprünglichen Sekundärstruktur, so dass sie ihre Funktion wiedererlangen.

Aber nicht nur die Mitochondrien verwenden Faltungshelfer: Im Zytoplasma ist unter anderen Hsp70 aktiv. Auch dieses Chaperon bindet klebrige, wasserabstoßende Proteinketten. Hartl hat gezeigt, dass Hsp70 Teil einer Maschinerie ist, die wachsende Proteinketten bei der Synthese in Empfang nimmt und dafür sorgt, dass sie sich nicht verheddern, bevor sie Gelegenheit hatten, sich korrekt zu falten. Hsp70 trennt die klebrigen Teile voneinander und schirmt sie ab.

Braucht das neu-synthetisierte Eiweiß weitere Hilfe bei der Faltung, dirigiert Hsp70 die ausgestreckte Kette über verschiedene Zwischenstufen zu einem Faltungskäfig im Zytoplasma, wo es sich dann in der Abgeschiedenheit eines Hohlzylinders ausrichten kann.

Krank durch falsch gefaltete Proteine

Die Forschung der beiden Preisträger ist von hoher Relevanz für die Medizin. Falsch gefaltete Proteine bringen die Zelle in erhebliche Schwierigkeiten: Einerseits funktionieren sie nicht und kommen damit ihren Aufgaben in der Zelle nicht nach. Anderseits verklumpen sie. Auf diese Weise entstehen große Mengen an Aggregaten, die die Zelle nicht mehr auflösen kann. Bei vielen neurodegenerativen Erkrankungen treten solche Aggregate in Form von Plaques oder anderen Ablagerungen auf. Etwa bei der Alzheimer-Demenz, bei Chorea Huntington, Morbus Parkinson und Amyotropher Lateralsklerose.

Hartl und Horwich wollen verstehen, warum Proteine bei diesen neurodegenerativen Krankheiten falsch gefaltet werden, welche toxischen Wirkungen diese falsch gefalteten Proteine in der Zelle haben und welche Rolle die Chaperone dabei spielen. Horwich untersucht dies bei der Amyotrophen Lateralsklerose, Hartl vor allem bei Morbus Parkinson, Chorea Huntington und Alzheimer-Demenz.

Beide Preisträger ermitteln zudem, ob die falsche Faltung bei diesen Krankheiten durch die Bildung von mehr Chaperonen verhindert werden kann. Die Idee ist also, den typischen Ablagerungen bei diesen Krankheiten mit einer gesteigerten Aktivität der Faltungsmaschinerie entgegenzutreten. Es ist der Versuch, die Patienten durch weniger Proteinmüll vor den fatalen Symptomen ihrer Krankheit zu schützen. Bisher gibt es nur klinische Studien zu diesen Konzepten, noch keine zugelassenen Therapien.

Nachwuchspreis: Gemeinsamkeiten bei 2 neurodegenerativen Erkrankungen

Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) und Frontotemporale Demenz (FTD) sind völlig unterschiedliche Erkrankungen, bei denen aber offensichtlich etwas Ähnliches passiert: 2 Proteine landen am falschen Ort und lagern sich dort zu Tröpfchen zusammen, die sich nicht wieder auflösen, sondern zu fatalen Ablagerungen führen.

Dr. Dorothee Dormann

Für ihre grundlegenden Arbeiten zur Entstehung dieser beiden Krankheiten erhielt Dr. Dorothee Dormann den mit 60.000 Euro dotierten Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Nachwuchspreis 2019. Die 42-jährige Biochemikerin leitet eine Emmy-Noether-Nachwuchsgruppe am Biomedizinischen Centrum der LMU-Universität München.

 
Dorothee Dormann hat gezeigt, dass diese völlig verschiedenen Erkrankungen markante Gemeinsamkeiten bei der Krankheitsentstehung haben. Der Stiftungsrat
 

Bei der ALS sterben bekanntlich immer mehr motorische Nervenzellen ab, bei der FTD, einer seltenen Demenzform, gehen die Nervenzellen im Stirnhirn zugrunde, was zu einer massiven Veränderung der Persönlichkeit, des Sozialverhaltens und der Sprachfähigkeit führt. Patienten sterben normalerweise innerhalb von wenigen Jahren nach der Diagnose.

„Dorothee Dormann hat gezeigt, dass diese völlig verschiedenen Erkrankungen markante Gemeinsamkeiten bei der Krankheitsentstehung haben“, schreibt der Stiftungsrat in seiner Begründung. „Wegweisend waren dabei Patienten, die aufgrund erblich bedingter Veränderungen erkrankten. Die Untersuchung dieser Mutationen hat Dormann geholfen, Aspekte der Krankheitsentstehung zu entschlüsseln und mögliche Zielmoleküle für die Therapie zu identifizieren“, so der Stiftungsrat weiter.

Obwohl beide Krankheiten ganz unterschiedliche Symptome zeigen, weisen sie ähnliche Proteinablagerungen in den betroffenen Zelltypen des Gehirns auf. Die Krankheiten haben auch sonst einige Gemeinsamkeiten. Etwa 10% der ALS-Patienten entwickeln auch eine Frontotemporale Demenz.

Die krankheitstypischen Ablagerungen im Gehirn von ALS- und FTD- Patienten enthalten 2 Proteine: FUS und TDP-43. Beide sind normalerweise im Zellkern aktiv und beteiligen sich dort am Ablesen der DNA und dem Zurechtschneiden der mRNA. Dormann konnte zeigen, dass das FUS-Protein bei den beiden Krankheiten aus dem Zellkern ausgesperrt wird und zwar aus unterschiedlichen Gründen:

  • Bei einigen ALS-Patienten erhält das FUS-Protein aufgrund von Genmutationen und einer defekten molekularen Adresse keinen Zutritt mehr. Der zelluläre Transporter erkennt nicht mehr, dass es in den Zellkern gehört.

  • Bei einigen FTD-Patienten fehlen Methylgruppen am FUS-Protein. Der Transporter lässt das Protein nicht mehr los und hievt es nicht ordnungsgemäß in den Zellkern.

So sammelt sich FUS im Zytoplasma an. Dormanns Erkenntnisse zum FUS-Protein lassen sich auch auf das verwandte TDP-43-Protein übertragen. Gerät die Zelle in eine Stresssituation, etwa durch Sauerstoffmangel oder durch schädliche Substanzen, landen beide Proteine in sogenannten Stress-Granula.

Das FUS-Protein bildet in diesen Stress-Granula distinkte Tröpfchen – wie Öl in Wasser. Dormann hat für das FUS-Protein nachgewiesen, dass diese Tröpfchen bei Patienten mit ALS und FTD nicht mehr aufgelöst werden, sondern sich nach und nach verfestigen, bis am Ende stabile Proteinablagerungen entstanden sind.

Die Nachwuchspreisträgerin konzentriert sich derzeit auf 3 Fragestellungen:

  • Sie untersucht zum einen, ob die erhöhte Konzentration von FUS und TDP-43 im Zytoplasma allein durch den fehlenden Import in den Zellkern verursacht wird. Da die beiden Proteine fortwährend zwischen Zellkern und Zytoplasma hin- und herpendeln, könnte die Anreicherung am falschen Ort auch durch einen verstärkten Export aus dem Zellkern bedingt sein. Sie interessiert sich deshalb für mögliche Exportfaktoren, obwohl ihre bisherigen Experimente nahelegen, dass die beiden Proteine den Zellkern passiv und ohne Hilfe eines Transporters verlassen.

  • Dormann interessiert sich zudem für weitere Modifizierungen. Außer den bereits erwähnten Methylgruppen können auch Phosphat- oder andere chemische Gruppen an die beiden Proteine angehängt werden, die möglicherweise die Eigenschaften der Proteine verändern. So könnten gewisse Modifizierungen dafür sorgen, dass die Proteine rascher in die Stress-Granula hingezogen werden und sich dort auch schneller zu unlöslichen Ablagerungen weiterentwickeln. Solche Modifizierungen wären dann mögliche Angriffspunkte für eine Behandlung.

  • Der dritte Fragenkomplex, den Dormann bearbeitet, hat mit der Verallgemeinerung ihrer Ergebnisse zu tun. Auf den ersten Blick scheinen ALS und FTD 2 völlig unterschiedliche Erkrankungen zu sein, trotzdem gibt es ähnliche molekulare Störungen. Die Nachwuchspreisträgerin möchte daher wissen, ob ein gestörter Transport zwischen Zellkern und Zytoplasma oder die mit der Phasentrennung verbundene Tropfenbildung in den Stress-Granula auch bei anderen neurodegenerativen Erkrankungen mit pathologischen Proteinablagerungen eine Rolle spielen. Ein solcher grundlegender pathologischer Mechanismus könnte dann Ziel einer generellen Therapie bei neurodegenerativen Erkrankungen sein.

 

Kommentar

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