Darf ein Hausarzt eine Patientin abweisen, wenn sie ihr Kind nicht impfen lassen will? Der Hausarzt Dr. Christoph Seeber aus dem ostfriesischen Leer hat in den letzten Tagen bundesweit für Schlagzeilen gesorgt, weil er einer Mutter die Tür wies, die ihr Kind nicht impfen ließ.
Die Sache ist kein Einzelfall, wie Kinderärztin Dr. Tanja Brunnert aus Göttingen bestätigt. Letztlich komme es darauf an, ob Ärzte und Patienten in ihrer Auffassung von Medizin zusammenpassten, sagt die Sprecherin des Berufsverbandes der Kinder und Jugendärzte (BVKJ), Landesverband Niedersachsen, zu Medscape.
Ungeimpftes Kind mit Keuchhusten
Bei der fraglichen Patientin in der Praxis von Seeber in Leer scheint dies offenbar nicht der Fall gewesen zu sein. Wie Seeber berichtet, war die Mutter mit ihrem ungeimpften Kind, bei dem eben vom Kinderarzt Keuchhusten diagnostiziert worden war, zu ihm gekommen und saß mit diesem an der Hand im Wartezimmer.
„Diese Patientin kam direkt aus der Kinderarztpraxis und hat bei mir nachgefragt, ob sie für sich selbst ein Antibiotikum haben kann“, berichtet Seeber. „Da war ich total perplex! Ich war sprachlos, wie man so nachlässig und unvorsichtig mit der Gesundheit anderer umgehen kann.“ Zwar verschrieb Seeber der Patientin das Antibiotikum, erteilte der Mutter aber dann auch Praxisverbot.
Es war nicht das erste Mal, wie er berichtet. Der seit 18 Jahren in Leer niedergelassene Hausarzt hat es dort häufiger mit Impfskeptikern zu tun. „Erst vor drei Wochen habe ich eine junge Mutter, die ich seit ihrem 11. Lebensjahr kenne, der Praxis verwiesen.“ Sie war nicht bereit, ihr Kind im Rahmen eine U-Untersuchung impfen zu lassen.
„Ich habe es immer mal wieder, dass ich auf solche Leute treffe, und ich kann mit dieser Rücksichtslosigkeit anderen gegenüber einfach nicht leben“, sagt der Hausarzt.
Geduldige Erklärungen helfen mitunter
Die Göttinger Kinderärztin Brunnert kennt das auch aus eigener Erfahrung. „Dass Mütter ihre Kinder nicht impfen lassen wollen, kommt immer mal wieder vor, auch in meiner Praxis“, sagt Brunnert. „Allerdings ist die Gruppe der ausdrücklichen Impfgegner sehr, sehr klein.“
In ihren Augen ist der „größte Gegner“ der Impfungen deren gute Wirksamkeit. Denn viele Eltern kennen und fürchten zum Beispiel die Masern nicht mehr. Darum bittet auch Brunnert in ihrer Göttinger Praxis Patientinnen, die ihr Kind partout nicht impfen lassen wollen, mitunter darum, „sich eine andere Praxis zu suchen, die besser zu ihren Vorstellungen von Medizin passt“.
Aber meist genüge es, die Eltern geduldig aufzuklären und zu beraten. Die meisten Eltern, die impfskeptisch sind, brauchten vor allem einfach Zeit, sagt die Kinderärztin. „Ich will ja niemanden verprellen.“ Aber wenn Eltern sich tatsächlich entscheiden, ganz auf die Masernimpfung zu verzichten, bittet auch sie ihre Patienten, zu gehen. „Es ist doch schrecklich, wenn ein Kind einen irreparablen Schaden erleidet, weil es nicht geimpft worden ist.“
Wann darf man Patienten abweisen?
Die Entscheidung, Patienten und deren Kindern Praxisverbot regelrecht zu erteilen, ist indessen rechtlich nicht so ganz unkompliziert. „Dass der Arzt in seiner Berufsausübung frei ist, ist zwar in der Berufsordnung festgelegt“, bestätigt der Justiziar der Niedersächsischen Ärztekammer (ÄKN), Prof. Dr. Karsten Scholz. „Einen Notfall darf er aber nicht abweisen, ebenso wenig, wenn er der einzige erreichbare Arzt ist, etwa auf einer Insel.“ Dann müsse er unter Umständen eine Sonder-Sprechstunde für nicht Geimpfte anbieten.
Aus Sicht der KVen ist das Korsett allerdings noch enger. Grundsätzlich sei es nicht möglich, einen Patienten abzuweisen, betont Detlef Haffke, Sprecher der KV Niedersachsen. Es gebe allerdings Ausnahmen. „Laut Bundesmantelvertrag kann ein Arzt aus zwei Gründen einen Patienten abweisen: Entweder, wenn er keinen Termin mehr frei hat oder wenn das Vertrauensverhältnis zwischen ihm und seinem Patienten gestört ist.“
Vermutlich sei die Forderung des Arztes an die Patientin, die Praxis zu verlassen, rechtlich nicht durchzusetzen. In diese Verlegenheit ist Seeber allerdings auch nie gekommen. „die Patienten haben das Praxisverbot akzeptiert“, so der Hausarzt.
Nach Angaben des Niedersächsischen Landesgesundheitsamtes (NLGA) ist das Ziel bei Masern eine Impfquote von 95%. „Erst eine Quote von 95 Prozent würde eine Ausbreitungsbarriere errichten“, erläutert Holger Scharlach, Sprecher des NLGA gegenüber Medscape. 2017 lag Niedersachsen zum Beispiel bei der zweiten Masernimpfung bei einer Quote von 93,3%. Bei der 2. Impfung gegen Mumps und Röteln liegt der Nordwesten bei 93,1%; aber nur 91,9% der Schulanfänger konnten hier 2017 ein Impfbuch vorlegen.
Hausarzt Seeber plädiert, um diese Zahlen nachhaltig zu erhöhen, für eine Impfpflicht in Deutschland. Dann hätte er von seiner Patientin verlangen können, dass sie ihr Kind impfen lässt.
Da es aber keine Impfpflicht gibt, beruft er sich mit dem Praxisverbot auf ein gestörtes Vertrauensverhältnis. Seeber: „Wenn Patienten nicht auf meinen Rat hören wollen und erklären „komm mir bloß nicht mit Tatsachen“, dann kann man nicht mehr von einer vertrauensvollen Zusammenarbeit sprechen.“
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Diesen Artikel so zitieren: Faxen dicke: Hausarzt setzt Impfgegnerin vor die Tür – darf er das? - Medscape - 13. Mär 2019.
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