Wie lange klinisch tätige Ärzte pro Woche arbeiten, spielt für medizinische oder soziale Endpunkte eine untergeordnete Rolle. Flexibilisierungen der ärztlichen Arbeitszeit haben keinen Einfluss auf die Mortalität der Patienten, führen aber auch nicht zu mehr Lebensqualität bei den Ärzten. So lautet das Fazit von Dr. Lisa Rosenbaum, Korrespondentin des NEJM, und Dr. Daniela Lamas von der Abteilung für Pulmonale und Intensiv-Medizin am Brigham and Women’s Hospital, Boston, in einem Kommentar des NEJM [1]. Basis für ihre Schlussfolgerungen sind 2 große Patientenkohorten aus den USA [2,3].
„Wir können mit Bestimmtheit sagen, dass flexible Arbeitszeiten, die sich noch innerhalb der wöchentlichen 80-Stunden-Grenze bewegen, nicht zu einer höheren Patientensterblichkeit führen als normale Arbeitszeiten“, so Rosenbaum und Lamas. „Wir wissen jetzt auch, dass Ärzte in Ausbildung nicht wesentlich mehr oder weniger schlafen, wenn sie einem dieser Zeitmodelle folgen.“
Das „Libby Zion Law“ schränkt Arbeitszeiten ein
Die Editorialistinnen ziehen damit einen Schlussstrich unter eine jahrzehntelange Debatte in den USA. Diese begann im Jahr 1984 mit dem Tod von Libby Zion. Die 18-Jährige starb trotz stationärer Aufnahme in einem New Yorker Krankenhaus am Serotonin-Syndrom. Richter sahen neben personellen Engpässen den damals üblichen 36-Stunden-Dienst als eine Erklärung an. Sie führten falsche medizinische Entscheidungen vor allem auf die Übermüdung der diensthabenden Ärzte zurück.
Einige Jahre später führten US-Politiker das „Libby Zion Law“ ein. Seither liegt die Obergrenze für Assistenzärzte bei 80 Wochenstunden und dabei maximal 28 Stunden ohne Unterbrechung.
Ab 2011 machte sich das Accreditation Council for Graduate Medical Education (ACGME) für weitere Flexibilisierungen stark. Ärzte sollten mehr Freiraum bei der Länge ihrer Schichten bekommen. Hinzu kam die Forderung nach einzelnen freien Tagen zwischen den Schichten. Kritiker befürchteten allerdings durch die Flexibilisierung und häufigeren ärztlichen Wechsel Qualitätseinbußen bei der Betreuung von Patienten. Mehrere Studien dazu folgten.
Flexible Modelle sind nicht auf ganzer Linie erfolgreich
In der Studie „Flexible in Duty Hour Requirements for Surgical Trainees“ (FIRST) aus dem Jahr 2016, einer prospektiven, randomisierten Studie mit chirurgischen Belegärzten, verglichen Wissenschaftler um Dr. Karl Y. Bilimoria von der Northwestern University in Evanston Ärzte mit Standard-Arbeitszeiten bzw. mit flexiblen Modellen. Sie schlossen 138.691 Patienten und 4.330 Belegärzte ein. Signifikante Unterschiede bei der Mortalität von Patienten fanden Bilimoria und Kollegen jedoch nicht.
Und laut der randomisierten Studie „Individualized Comparative Effectiveness of Models Optimizing Patient Safety and Resident Education“ (iCOMPARE) von 2018 führen flexible Arbeitszeiten bei der Ausbildung nicht zum erwünschten Erfolg: Das Team um Dr. Sanjay V. Desai von der Johns Hopkins University, Baltimore, fand heraus, dass Assistenzärzte in beiden Gruppen ähnlich wenig Zeit am Patientenbett verbrachten. Kollegen waren bei deutlich weniger Vorgaben zur Arbeitszeit sogar unzufriedener.
Aktuelle Studien bestätigen ältere Daten
Jetzt kommen Forscher um Dr. Jeffrey H. Silber vom Children’s Hospital of Philadelphia zu ähnlichen Ergebnissen. Ihre Kohorte umfasste knapp 265.000 Patienten und 63 akademische Ausbildungsprogramme für Ärzte. Als primären Endpunkt definierten Silber und Kollegen die 30-Tage-Mortalität. Hinzu kamen erneute Aufnahmen und weitere Zahlungen von Medicare innerhalb von 7 bzw. 30 Tagen als sekundäre Endpunkte für nicht tödliche Komplikationen.
Ein statistischer Test zeigte die Nicht-Unterlegenheit flexibler Arbeitszeitregelungen im Vergleich zu Arbeitszeit-Mindestanforderungen laut ACGME.
Doch was bedeutet dies für die Ärzte? Dieser Frage gingen Dr. Mathias Basner von der University of Pennsylvania und seine Coautoren nach. Sie haben nach dem Zufallsprinzip 63 akademische Ausbildungsprogramme für Ärzte untersucht. In diesen hatten 205 Personen flexible Arbeitszeiten und weitere 193 eher restriktive Regelungen. Sie gaben 14 Tage lang anhand der Karolinska Sleepiness Scale mit Werten von 1 (extrem wach) bis 9 (extrem schläfrig) ihr Befinden an. Hinzu kam ein computergestützter psychomotorischer Wachsamkeitstest, der Reaktionszeiten bestimmt.
Die durchschnittliche Schlafdauer pro Tag betrug 6,85 Stunden bei Medizinern in flexiblen Programmen und 7,03 Stunden bei denen in Standardprogrammen. Basner und Kollegen zeigten auf beiden Skalen damit die statistische Nicht-Unterlegenheit flexibler Arbeitszeitregelungen. Chronische Müdigkeit gebe es nicht, fassen sie zusammen. Wer längere Schichten hatte, schlief mehr in der Freizeit.
Wurden mit den Studien alle Fragen zur Gestaltung von Arbeitszeiten beantwortet? „In vielerlei Hinsicht, ja“, meinen Rosenbaum und Lamas im Kommentar. Den Editorialistinnen fiel jedoch auf, dass Patienten nicht zu Wort kamen. Was empfinden sie, wenn ihre Ärzte im Krankenhaus bei so viel Flexibilität ständig wechseln?
Ein Blick auf Deutschland
Alle diese Daten kommen jedoch aus den USA. Und wie sieht es in Deutschland aus? Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DGK) weist in einer (allerdings schon älteren) Stellungnahme auf heimische Mythen zur Arbeitszeit hin: „Behauptet wird: Für viele Krankenhausärzte sind 80 Wochenarbeitsstunden und mehr die Regel, durchschnittlich arbeiten sie 60 Stunden in der Woche.“
Richtig sei aber, dass junge Klinikärzte unter 35 Jahren im öffentlichen Dienst eine durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit von 45,8 Stunden hätten, alle Ärzte kämen auf 46,1 Stunden. Lediglich 7,6% der jungen Mediziner kämen auf mehr als 60 Arbeitsstunden die Woche, bei allen Ärzten im öffentlichen Dienst seien es 9,2%.
Details regelt das Arbeitszeitgesetz, §3: „Die werktägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer darf 8 Stunden nicht überschreiten. Sie kann auf bis zu 10 Stunden nur verlängert werden, wenn innerhalb von 6 Kalendermonaten oder innerhalb von 24 Wochen im Durchschnitt 8 Stunden werktäglich nicht überschritten werden.“
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Diesen Artikel so zitieren: Flexible Arbeitszeiten machen Ärzte nicht zufriedener – sind aber auch kein Risiko für die Patienten - Medscape - 13. Mär 2019.
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