Zuviel Zurückhaltung nicht angebracht – auch COPD-Patienten profitieren laut Registerstudie von Betablockern

Inge Brinkmann

Interessenkonflikte

8. März 2019

Mit Betablockern behandelte COPD-Patienten haben ein deutlich geringeres Hospitalisierungs- und Todesrisiko als COPD-Patienten, die mit anderen antihypertensiven Medikamenten behandelt werden. Das geht aus einer großen, jüngst im EClinical Medicine erschienenen Registerstudie aus Dänemark hervor [1].

Keine Rückschlüsse auf einzelne Patienten möglich

Ist es also, wie die Forscher um Anne Orholm Nielsen vom Zealand University Hospital in Dänemark meinen, Zeit, die vorsichtige Verschreibungspraxis der Mittel in dieser Patientengruppe aufzugeben?

Prof. Dr. Michael Böhm

Prof. Dr. Michael Böhm, Direktor der Klinik für Innere Medizin III am Universitätsklinikum des Saarlandes, stimmt auf Nachfrage von Medscape den Autoren grundsätzlich zu. Auch seiner Meinung nach wird viel zu viel Zurückhaltung bei der Verordnung von Betablockern an Patienten mit chronisch-obstruktiver Lungenerkrankung geübt.

Bei der Erstellung individueller Therapiepläne helfe die aktuelle Untersuchung gleichwohl nicht: „Die Studie ist interessant zu lesen, bestätigt Bekanntes, erlaubt allerdings keine Schlussfolgerungen auf neu zu initiierende Therapien und muss so mit großer Vorsicht interpretiert werden.“

 
Die Studie … erlaubt allerdings keine Schlussfolgerungen auf neu zu initiierende Therapien und muss so mit großer Vorsicht interpretiert werden. Prof. Dr. Michael Böhm
 

Er erklärt: „Bei der vorliegenden Studie handelt es sich um eine skandinavische Registerstudie an einer wirklich großen Zahl von 1,3 Millionen Individuen. Sie beschreibt einen allgemeinen Trend in einer breiten Population, was sicherlich interessant ist.“

Andererseits sei der einzelne Patient mit COPD, inflammatorischer Komponente der COPD und/oder Asthma individuell sehr unterschiedlich zu beurteilen, aber hier nicht ausreichend charakterisiert. Insofern könnten aus solchen großen Registerstudien interessante Trends und Effekte ersehen werden; Rückschlüsse auf den einzelnen Patienten erlaubten sie jedoch nicht.

Ist die Zurückhaltung bei Betablockern zu groß?

Die der Studie von Nielsen und ihren Kollegen zugrundeliegende Überlegung lautet: Viele Patienten mit COPD leiden zugleich unter Herz-Kreislauf-Erkrankungen und könnten deshalb theoretisch von einer Behandlung mit Betablockern profitieren. Weil die Medikamente aber mit einer Verschlechterung der Lungenfunktion assoziiert werden, gilt die Behandlung in dieser Patientengruppe als kritisch.

Eine Fehlbeurteilung, wie Böhm bestätigt: „Die klassische Lehrmeinung ist, dass sich bei Patienten mit einer Bronchialobstruktion über die Blockade von broncho-dilatatorischen Beta-2-Rezeptoren die Lungenfunktion verschlechtern kann.“

Die chronische schwere COPD beruhe jedoch auf einem Untergang von glatten Muskelzellen in den kleinen Bronchien und einem irreversiblen strukturellen Umbau des Lungengewebes. Und wo keine glatten Muskelzellen mehr seien, könne man sie auch nicht mit Betablockern beeinflussen, argumentiert Böhm, der Pressesprecher der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie ist.

Er warnt aber trotzdem vor einem unreflektierten Einsatz der Medikamente. Denn der Übergang zwischen Asthma („die klassische Kontraindikation für Betablocker“) und COPD sei häufig fließend. „Ist der Übergang eines Asthmas in eine COPD nicht vollständig und das Bronchialsystem hyperreaktiv, kann durchaus eine Bronchialobstruktion nach Gabe von Betablockern auftreten“, warnt der Homburger Experte. Häufig bestehe deshalb Unsicherheit, welcher Patient mit COPD mit einer Bronchialobstruktion reagieren könne.

Somit würden sowohl die beschriebene Fehlbeurteilung als auch die schwierige Differenzierung zwischen Asthma und COPD zu der – nur teilweise berechtigten – Zurückhaltung bei der Gabe von Betablockern bei COPD beitragen.

Daten von über 1,3 Millionen Menschen

In die aktuelle landesweite dänische Registerstudie sind die Daten von über 1,3 Millionen Menschen im Alter von 30 bis 90 Jahren eingeflossen. 301.542 dieser Patienten wurden im Beobachtungszeitraum (1995 bis 2015) Betablocker und 1.000.633 Patienten andere blutdrucksenkende Medikamente verschrieben. Die Teilnehmer durften zum Zeitpunkt der Verordnung noch nie wegen einer COPD ins Krankenhaus eingewiesen worden sein.

Endpunkte waren die COPD-Hospitalisierungsrate und -Mortalität sowie die allgemeine Sterberate. Eine Subgruppenanalyse sollte außerdem Aufschluss über mögliche Einflüsse verschiedener Grunderkrankungen geben.

Sollte die Zurückhaltung bei Betablockern überdacht werden?

Die Ergebnisse: Bei Patienten, die mit Betablockern behandelt wurden, bestand im Vergleich zu Personen, die mit anderen blutdrucksenkenden Medikamenten behandelt wurden, ein deutlich geringeres Risiko für eine stationäre COPD-Behandlung (Hazard-Ratio: 0,80). Das Hospitalisierungsrisiko war dabei sowohl bei Patienten mit ischämischer Herzkrankheit (HR: 0,72), Herzrhythmusstörungen (HR: 0,76), Hypertonie (HR: 0,91) und Erkrankungen des Lungenkreislaufs (Lungenembolie und Cor pulmonale) (HR: 0,72) verringert. Die Resultate waren dabei unabhängig von der jeweiligen Selektivität der Betarezeptorenblocker.

Überraschenderweise ließ sich der Effekt auch bei Asthma-Patienten nachweisen (HR 0,69). Böhm schränkt jedoch ein, dass die diagnostische Abgrenzung von Asthma- und COPD-Patienten in so einer Untersuchung möglicherweise nicht exakt sei.

„Der Übergang zwischen Asthma und COPD kann fließend sein, auch eine COPD mit inflammatorischer Komponente (z.B. interkurierendem Infekt) kann als Asthma interpretiert werden“, so Böhm. Solche Patienten – fälschlicherweise als Asthma-Patienten deklariert – könnten in der Langzeittherapie tatsächlich profitieren, auch wenn die detaillierten Mechanismen dahinter noch unklar blieben.

Auch die Gesamtmortalität und das Risiko an COPD zu sterben war in der Gruppe, die mit Betablockern behandelt wurde, um 44% niedriger als in der Gruppe, die andere blutdrucksenkende Arzneimitteln erhielt (HR: 0,56).

„Die Ergebnisse dieser Studie sprechen für eine Änderung der zurückhaltenden Verschreibungspraxis von Betablockern bei Patienten mit COPD oder einem COPD-Risiko“, schlussfolgern die Autoren um Nielsen.

„Nur eine oberflächliche Betrachtung von bekannten Therapieeffekten“

Böhm mahnt bei der Interpretation der Daten jedoch zu Vorsicht. So seien solche Registerstudien anfällig für einen Selektionsbias. Patienten, die Betablocker erhalten haben, könnten etwa von besseren, „therapeutisch aktiveren“ Ärzten behandelt worden sein und auch eine bessere Begleittherapie erhalten haben. Details wie weitere Therapien seien in dieser Analyse jedoch nicht festgehalten.

 
Die Ergebnisse dieser Studie sprechen für eine Änderung der zurückhaltenden Verschreibungspraxis von Betablockern bei Patienten mit COPD oder einem COPD-Risiko. Anne Orholm Nielsen und Kollegen
 

„Außerdem werden auch Patientencharakteristika nicht beschrieben, die möglicherweise zeigen, dass die Patienten, die Betablocker erhielten, diese auch besser vertrugen und eine geringer ausgeprägte Lungenerkrankung mit weniger Obstruktion, weniger niedrigem Blutdruck als Ausdruck einer Herzinsuffizienz, weniger Bradykardie, Rhythmusstörungen etc. aufwiesen“, so Böhm.

„Insofern ist dies keine randomisierte, kontrollierte Therapiestudie, sondern eher eine oberflächliche Betrachtung von Therapieeffekten in einer breiten heterogenen Patientenpopulation, die eigentlich schon bekannt sind.“

Diese Kritikpunkte ändern für Böhm jedoch nichts an der eigentlichen Botschaft der Studie, nämlich, dass COPD-Patienten im besonderen Maße von den Betablockern profitieren können.

 

Kommentar

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