Hoffnung auf Heilung: Zweite HIV-Remission nach Knochenmarkspende – „große Bedeutung“ für die Wissenschaft

Michael van den Heuvel

Interessenkonflikte

6. März 2019

Nach dem „Berliner Patienten“ Timothy Ray Brown ist Ärzten möglicherweise erneut eine HIV-Eradikation gelungen. Das berichtet Prof. Dr. Ravindra K. Gupta vom University College London (UCL) zusammen mit Kollegen in Nature  [1].

Der zweite Patient kommt aus Großbritannien. Auch er musste sich einer Knochenmark-Transplantation unterziehen. Sein Spender ist aufgrund von Mutationen im CCR5-Gen resistent gegen HIV-Infektionen. Mittlerweile befindet sich der Empfänger seit 18 Monaten ohne HIV-Therapie in Remission.

„Die Ergebnisse sind von großer Bedeutung, da der sogenannte ‚Berlin Patient‘ bisher weltweit ein Einzelfall war“, sagt Prof. Dr. Hans-Georg Kräusslich zum Science Media Center Germany. Er ist Direktor der Abteilung Virologie am Universitätsklinikum Heidelberg. Zuvor sei unklar gewesen, ob bei dieser einen Person – eben dem „Berlin Patienten“ – ganz besondere Voraussetzungen vorgelegen hätten.

„Jetzt gibt es einen zweiten ähnlichen Fall, bei dem der Verlauf zwar noch nicht so lange beobachtet werden konnte wie beim ‚Berliner Patienten‘, bei dem aber zumindest alle bisherigen Befunde einen ähnlichen Verlauf vermuten lassen.“ Wiederholbarkeit sei ein entscheidendes Kriterium wissenschaftlicher Evidenz, insofern sei das hier berichtete Ergebnis „sehr wichtig“.

 
Die Ergebnisse sind von großer Bedeutung, da der sogenannte ‚Berlin Patient‘ bisher weltweit ein Einzelfall war. Prof. Dr. Hans-Georg Kräusslich
 

Überraschendes Ergebnis einer Stammzelltherapie

Der aktuell beschriebene HIV-Patient war am Hodgin-Lymphom erkrankt, für dessen Therapie Onkologen Knochenmark transplantierten. Sein Stammzell-Spender wies Deletionen in beiden Allelen des CCR5-Gens auf. Durch diese Mutation ist der CCR5-Rezeptor auf der Oberfläche von Immunzellen ohne Funktion. HIV-Viren benutzen ihn neben anderen Bindungsstellen bei Infektionen als molekulare Eintrittspforte. CCR5 Delta32/Delta32 übertrug sich durch die Stammzellspende auf den Empfänger.

Was heißt dies im Vergleich zum „Berlin Patienten“? „Neben der HIV-Infektion hatten die beiden Patienten sehr unterschiedliche Erkrankungen, die zwar in beiden Fällen eine Therapie mit Stammzellen eines Fremdspenders erforderten, aber unterschiedlich verliefen“, kommentiert Kräusslich.

„Bei dem jetzt berichteten Patienten konnte zur Vorbereitung der Transplantation auf eine Bestrahlung des gesamten Körpers, die beim ‚Berlin Patienten‘ stattfinden musste, verzichtet werden.“ Beim erstbeschriebenen Fall habe es außerdem einen Rückfall der Leukämie nach der ersten Transplantation gegeben, was die zweite Transplantation nach sich gezogen habe.

„Dies sind Unterschiede, die nichts mit der HIV-Infektion zu tun hatten, sondern sich aus der Grunderkrankung, die die Transplantation mit Stammzellen erforderte, sowie aus dem unterschiedlichen klinischen Verlauf nach Transplantation ergaben“, erklärt der Experte.

Ergebnisse nicht vorschnell beurteilen

Nach der Transplantation behandelten die Ärzte den jetzigen Patienten zunächst noch 16 Monate gegen HIV mit einer antiretroviralen Therapie gemäß den Leitlinien. Mittlerweile sind aber weitere 18 Monate ohne Pharmakotherapie vergangen. HI-Viren lassen sich immer noch nicht nachweisen. Es traten bislang auch keine typischen Symptome einer HIV-Infektion auf.

 
Dies ist ein ermutigendes Zeichen, aber kein Beweis für Heilung. Prof. Dr. Hans-Georg Kräusslich
 

„Dies ist ein ermutigendes Zeichen, aber kein Beweis für Heilung“, so Kräusslich. Das sogenannte Mississippi Baby, bei dem man auch von einer HIV-Elimination ausgegangen war, hatte insgesamt 27 Monate nach Ende der Therapie keine nachweisbare Virusmenge gehabt, doch danach trat das Virus wieder auf ( Medscape berichtete ). Daher, so der Experte, sei auch im aktuellen Fall noch weiter abzuwarten. Denn es gebe keinen genauen Zeitpunkt, ab dem man von einer Heilung sprechen könne.

Keine falschen Hoffnungen wecken

Kräusslich warnt gleichzeitig vor falschen Hoffnungen: „Auch zukünftig wird die Transplantation mit Stammzellen keine Option für die Heilung der HIV-Infektion darstellen, wenn die Transplantation nicht durch andere Grunderkrankungen erforderlich ist.“ Immerhin handele es sich um einen massiven Eingriff mit langem Krankenhausaufenthalt und signifikantem Risiko, der angesichts gut verträglicher und langfristig wirksamer antiviraler Therapien nicht vertretbar sei.

 „Wenn allerdings bei HIV-Patienten eine zusätzliche Erkrankung auftritt, die eine Stammzell-Transplantation erfordert, sollte versucht werden, einen passenden Spender mit CCR5-Deletion zu finden“, ergänzt der Experte. Das sei nur bei rund 1% der Bevölkerung gegeben.

 
Auch zukünftig wird die Transplantation mit Stammzellen keine Option für die Heilung der HIV-Infektion darstellen. Prof. Dr. Hans-Georg Kräusslich
 

Das CCR5-Gen ist nicht nur bei Stammzell-Therapien von Bedeutung. Vielmehr handelt es sich um eine bekannte Zielstruktur für Gentherapien. Wie Medscape berichtet hat, sorgte der chinesische Forscher Dr. Jiankui He von der Southern University of Science and Technology in Shenzhen letztes Jahr für unrühmliche Schlagzeilen.

Er soll versucht haben, das CCR5-Gen per Genom-Editierung mit dem CRISPR/Cas9-System zu manipulieren, um bei Babys eine HIV-Resistenz zu erzielen. Bis heute stehen seine Experimente in der Kritik – die Nebenwirkungen für die mit dem manipulierten CCR5-Gen geborenen Zwillinge Lulu und Nana sind nicht klar.

Allerdings wollen auch seriöse Arbeitsgruppen CCR5 per Genschere in körpereigenen Stammzellen ausschalten – allerdings ohne Eingriff in die Keimbahn wie He. Auch damit entstünden Immunzellen mit HIV-Resistenz. Zu durchschlagenden Erfolgen hat die Strategie noch nicht geführt.

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Kommentar

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