
Prof. Dr. Harald zur Hausen
Heidelberg – Neuartige bislang unbekannte Erreger, die im Fleisch und der Milch europäischer Rinder vorkommen, und mit denen wir uns in der Regel schon im Säuglingsalter infizieren, könnten wichtige Krebsrisikofaktoren sein. Diese Hypothese vertritt der Medizin-Nobelpreisträger Prof. Dr. Harald zur Hausen. Er hat aktuelle Daten dazu auf einer Pressekonferenz am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg präsentiert [1].
Zur Hausen, der den Nobelpreis für die Aufklärung des Zusammenhangs von humanen Papilloma-Viren (HPV) und Gebärmutterhalskrebs erhalten hat, erforscht die von ihm als BMMF (Bovine Meat and Milk Factors) bezeichneten Erreger schon seit mehreren Jahren – dies gemeinsam mit seiner Frau Prof. Dr. Ethel-Michele de Villiers, die früher die Abteilung für Tumorvirus-Charakterisierung am DKFZ geleitet hat, und dem Arbeitsgruppenleiter und Molekularbiologen Dr. Timo Bund. Es handele sich um eine neue Art von Erregern, die „noch genauer charakterisiert werden müssen“, sagte zur Hausen.
Kein Virus, kein Bakterium, aber Charakteristika von beiden
Wie de Villiers erklärte, haben die Erreger Charakteristika von Viren und von Bakterien, gehören aber zu keinem von beidem. Sie ähneln bakteriellen Plasmiden und sehen aus wie einzelsträngige DNA-Kringel. Über 100 verschiedene Typen haben die Forscher inzwischen identifiziert. Charakteristisch sei, dass alle ein Gen für das für ihre eigene Vervielfältigung notwendige Rep-Protein (Replikations-Initiator-Gen) beinhalten, so de Villiers.
Gefunden wurden die BMMF sowohl in Blutseren von europäischen Kühen als auch in Proben von kommerziell erhältlicher Milch und in Milchprodukten aus dem Supermarkt – außerdem in Blutproben von gesunden Menschen und Darmkrebs-Patienten. Ein BMMF-Partikel, ähnlich einem Viruspartikel, konnten die Wissenschaftler bislang aber nicht identifizieren, obwohl sie annehmen, dass BMMF in der Natur nicht als „nackte“ DNA, sondern mit Proteinen assoziiert vorkommen.
Nach zur Hausens Hypothese infizieren sich Menschen bereits sehr früh mit den Erregern, etwa wenn Säuglinge nach dem Abstillen Kuhmilch- oder Rindfleisch-Produkte erhalten. Die BMMF fördern dann in bestimmten Geweben (etwa im Darm, der Brust oder der Prostata) chronische Entzündungsprozesse, die wiederum in ihrer Umgebung vermehrten oxidativen Stress verursachen. Die erhöhten Spiegel an freien Radikalen ließen dann – besonders in teilungsaktiven Geweben – die Mutationsraten steigen und erhöhten so indirekt im Laufe von Jahrzehnten das Krebsrisiko, glauben die Wissenschaftler.
BMMF nicht im Tumor-, sondern im umgebenden Gewebe
Der Molekularbiologe Bund hat mit Hilfe von Antikörpern gegen das in allen BMMF vorkommende Rep-Protein in Gewebeschnitten von Patienten mit Dickdarmkrebs nach den Erregern gesucht. Er fand sie – allerdings nicht in den Tumorzellen selbst, sondern im umgebenden Gewebe – in der Lamina propria, der im Darm unter der Schleimhaut gelegenen Bindegewebsschicht. Diese Lokalisation stehe im Einklang mit der indirekten Krebsförderung durch oxidativen Stress, sagte Bund. Der Mechanismus, ergänzte zur Hausen, „steht im Gegensatz zur Tumorinduktion durch Krebsviren wie HPV, bei denen das Erbgut der Erreger in den Krebszellen verbleibt“.
Ihre Theorie der indirekten Krebsentstehung infolge einer chronischen Entzündung sehen Bund und zur Hausen auch dadurch gestärkt, dass bekanntlich anti-entzündlich wirksame Medikamente wie ASS oder die COX-2-Hemmer gewisse präventive Effekte beim Kolonkarzinom haben.
BMMF-Proteine sind im Übrigen auch in der Brust, der Prostata und im Gehirn schon nachgewiesen worden. Auch beim Brust- und Prostatakarzinom könnten Infektionen eine Rolle spielen, glauben die Wissenschaftler.
Auslöser waren epidemiologische Beobachtungen
Auf seine Infektionstheorie kam zur Hausen aufgrund von epidemiologischen Beobachtungen, wie er sagte. Denn die weltweiten Inzidenzmuster von Darm- und Brustkrebs variierten sehr stark, und es zeige sich ein enger Zusammenhang mit dem Konsum von Milch- und Fleischprodukten europäischer Rinder.
So seien die Darm- und Brustkrebsraten z.B. in Europa, Nordamerika, Argentinien und Australien hoch, in der Mongolei, Indien oder Bolivien aber niedrig – in diesen Ländern werde entweder kein Rindfleisch konsumiert oder aber solches anderer Rinderarten (Zebus, Yaks). Eine weitere Ausgangsüberlegung sei gewesen, dass Erreger, die Zellen anderer Spezies infizieren, sehr häufig zu persistierenden Infektionen führten – und in der Folge die Zellen bösartig entarten ließen. Zunächst hatten er und seine Frau deswegen auch nach Viren gesucht – und waren so schließlich auf die neuartigen BMMF gestoßen.
Bislang stehen zur Hausen und sein Team mit ihren Forschungen zu BMMF noch ziemlich alleine da. Andere Forschergruppen sind bislang noch nicht auf den Zug aufgesprungen. Es handelt sich auch um eine relativ neue Theorie und es gilt vieles dabei noch genauer zu erforschen. Zur Hausen ist auf jeden Fall überzeugt, dass Infektionen bei Krebserkrankungen viel mehr Bedeutung haben, als bislang angenommen wird. Bei bis zu 75% der Tumore könnten sie eine Rolle spielen, meint er. „Könnte man diesen Infektionsfaktor ausschalten, hätte dies sicher einen deutlichen Effekt auf die Krebsinzidenz.“
Präventionskonzepte für die Kindheit

Prof. Dr. Michael Baumann
Auch Prof. Dr. Michael Baumann, DKFZ-Vorstandsvorsitzender, der die Veranstaltung moderierte, pflichtete ihm bei, dass „vieles auf eine größere Bedeutung von Infektionen bei der Krebsentstehung hinweist“, diese aber natürlich mit anderen Risikofaktoren zusammenwirkten. Er verwies darauf, dass viele krebspräventive Ansätze noch intensiver genutzt werden könnten, etwa die Darmkrebsvorsorge, aber auch Lebensstiländerungen wie der Rauchstopp, mehr Bewegung und gesunde Ernährung. „Wir gehen davon aus, dass knapp 38 Prozent der Krebserkrankungen eigentlich vermeidbar wären.“
Und welche Präventionskonzepte bietet zur Hausens neue Theorie? Da die Infektion mit BMMF schon in frühester Kindheit erfolgt, mache der Verzicht auf Rindfleisch- und Milchprodukte im Erwachsenenalter wohl weniger Sinn – auch er selbst verzichte nicht auf solche Nahrungsmittel, sagte zur Hausen. Die Hypothese liefere aber weitere Argumente dafür, Säuglinge möglichst lange zu stillen – auch weil die Muttermilch zusätzlich protektive Faktoren – in Form bestimmter Zucker – gegen Infektionen enthalte, die sich in Kuhmilch nicht finden. Diese Zucker verhindern das Andocken von Erregern an die Zellen und damit deren Infektion.
Denkbar wäre auch, wenn Kinder früh mit Kuhmilch-Produkten ernährt werden, der Babynahrung solche protektiven Substanzen aus der Muttermilch zuzusetzen, so könne ebenfalls die Infektionsgefahr verringert werden, schlug zur Hausen vor. Eventuell sei auch die Entwicklung einer Vakzine denkbar – und die Impfung der Rinder oder auch eine sehr frühzeitige Impfung von Säuglingen.
Derzeit würden verschiedene Konzepte diskutiert, wie man die neue Theorie in klinischen Studien testen könne, berichtete Baumann.
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Diesen Artikel so zitieren: Theorie von DKFZ-Forschern: Steigern neuartige Erreger in Milch und Rindfleisch das Risiko für Darmkrebs? - Medscape - 1. Mär 2019.
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