Vitamintabletten und Nahrungsergänzungsmittel verhindern Herz-Kreislauf-Erkrankungen NICHT. Eigentlich ist das unbestritten. Es gab zahlreiche Studien, die sowohl einzelne Substanzen als Nahrungsergänzungsmittel als auch Multivitamin-Kompositionen untersucht haben. Den fehlenden Nutzen konnten sie sehr deutlich belegen.

Christopher Labos, MD CM, MSc, FRCPC
Trotzdem müssen wir bei jeder Diskussion über den Einsatz von Nahrungsergänzungsmitteln wieder darauf hinweisen, dass diese Produkte aus der Apotheke oder Supermarkt nichts bringen, beklagt der Kardiologe Dr. Christopher Labos vom Queen Elizabeth Health Complex im kanadischen Montreal. Er diskutiert, warum die Patienten und auch viele Ärzte so daran festhalten, obwohl sogar eher die Nachteile überwiegen. Hier seine Analyse der erstaunlichen Widersprüche:
Schon im Jahr 1996 lagen mit der Physicians´ Health Study die Ergebnisse einer über 12 Jahre laufenden Untersuchung an über 22.000 Männer vor. Sie hatten nach dem Zufallsprinzip über diesen Zeitraum die Vitamin-A-Vorstufe Betacarotin oder Placebo erhalten. Damals hatte sich bei der Auswertung kein Unterschied hinsichtlich der Häufigkeit von kardiovaskulären Erkrankungen, von Krebs-Erkrankungen oder der Gesamtmortalität ableiten lassen [1].
Die Women´s Health Study an fast 40.000 Frauen über 45 Jahre verglich Betacarotin mit Placebo und konnte in Bezug auf den Schlaganfall, den Myokardinfarkt oder die kardiovaskulär bedingte Sterblichkeit ebenfalls keinen Nutzen feststellen [3]. Stattdessen zeigten andere Studien Nachteile: Betacarotin erhöhte bei Rauchern sogar das Risiko für Lungenkrebs [2].
Die Evidenz für Vitamin C und Vitamin E ist gleichermaßen enttäuschend. Obwohl die Hoffnung groß war, dass sie als Antioxidantien einen gewissen Nutzen haben könnten. Die zweite Physicians´ Health Study an über 14.500 Männern verglich Vitamin E, Vitamin C oder beides mit Placebo und fand: Die Häufigkeiten von Schlaganfall, Herzinfarkt oder die kardiovaskuläre Mortalität hatten nicht abgenommen [4].
Die Women's Antioxidant Cardiovascular Study testete über 9 Jahre Betacarotin, Vitamin C und Vitamin E an fast 8.200 Frauen und konnte auch keinen Benefit feststellen [5].
Folsäure, ein Vitamin des B-Komplexes, trägt bekanntlich zur Senkung des Homocystein-Spiegels bei, was zunächst vielversprechend schien, aber in nachfolgenden Studien mit keiner Verringerung an kardiovaskulären Erkrankungen verbunden war [6].
Auch potentielle Vorteile einer Vitamin-D-Supplementierung sorgten eine Weile für Aufsehen. Doch konnte kürzlich die ViDa-Studie auch keinen kardiovaskulären Nutzen der Vitamin-D-Gabe zeigen [7]. Die VITAL-Studie (Medscape berichtete) wird vermutlich zum letzten Sargnagel für das Vitamin [8].
Die US Preventive Services Task Force kam in einer Analyse der Datenlage zu dem Schluss, dass eine Vitamin-Supplementierung keinen Nutzen bringe [9].
All die negative Evidenz kumulierten schließlich in einem Artikel der Annals of Internal Medicine mit der Überschrift: „Es reicht! – Hört endlich auf, euer Geld für Vitamine und Mineralstoffe zu verschwenden!“ [10].
Verkäufe steigen ungebremst weiter
Wir geben tatsächlich jede Menge Geld dafür aus. Nahrungsergänzungsmittel erreichen weltweit einen Umsatz von 133 Milliarden Dollar, Tendenz steigend. Omega-3-Produkte zählen zu der am schnellsten wachsenden und beliebtesten Gruppe von Nahrungsergänzungsmitteln auf dem Markt. Der Verkauf von Fischöl hat sich zwischen 1999 und 2012 verzehnfacht. Der Vitamin-D-Absatz hat sich „nur“ vervierfacht [11].
Die aktuellen negativen Studien wie ASCEND[12], VITAL [8] und eine große Metaanalyse der Cochrane Collaboration, die keinen kardiovaskulären Nutzen zeigen [13], dürften den Umsatz ebenfalls kaum beeinträchtigen.
Die positiven Ergebnisse in REDUCE-IT (Medscape berichtete) vom vergangenen Jahr könnten sie hingegen weiter steigern. Dabei ist erwähnenswert, dass REDUCE-IT reine Eicosapentaensäure (EPA; 4 g/Tag) getestet hat [14]. Nur: Dieses verschreibungspflichtige Produkt ist nicht mit den üblichen niedrig dosierten rezeptfreien Fischöl-Kombinationen aus EPA und Docosahexaensäure (DHA) vergleichbar, welche die meisten Verbraucher kaufen. Für diese Produkte ist die Evidenz deutlich negativ.
Medscape Nachrichten © 2019
Diesen Artikel so zitieren: Es reicht! Warum so viele Patienten immer noch ihr Geld für Vitamine und Omega-3 als Herz-Kreislauf-Schutz verschwenden - Medscape - 27. Feb 2019.
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