Steter Tropfen höhlt den Stein: Die Werbung für die Allgemeinmedizin scheint Früchte zu tragen. Der Anteil der Medizinstudierenden, die sich eine Niederlassung als Hausarzt vorstellen können, ist seit 2010 von 38% auf 42,5% gestiegen. Die Einzelpraxis allerdings ist nach wie vor unter den jungen Leuten denkbar unbeliebt: Nur 4,7% ziehen es vor, einmal eine Einzelpraxis zu führen. Immerhin waren es 2010 nur 4,1%.
Die Präferenz der Studierenden „(auch) für die Allgemeinmedizin“ liegt insgesamt bei 34,6% und steigt im Laufe des Studiums an. Studierende der Vorklinik können sich zu 32,7% vorstellen, die Allgemeinmedizin als Berufsaussicht zu wählen. In der Klinik sind es bereits 36,7% und unter den PJ´lern sind es 39,6%.
Aber bloß nicht aufs Land! Der Trend zur Arbeit in den Städten hält an. 42,8% aller Befragten hegen Aversionen gegen die Arbeit in Landgemeinden. Selbst Städtchen mit bis zu 10.0000 Einwohnern schrecken noch 33,9% der befragten Medizin-Studierenden.
Die jüngsten Zahlen von 2018 sind die Ergebnisse der 3. Befragungswelle nach 2010 und 2014 [1]. Sie werden seit 2010 alle 4 Jahre im Auftrag der Kassenärztlichen Vereinigung (KBV), dem Medizinischen Fakultätentag (MFT) und der Bundesvertretung der Medizinstudierenden Deutschland e.V. (bvmd) von der Universität Trier erhoben.
Die ambulante Medizin generell wird attraktiver
„Am Beispiel der gestiegenen Attraktivität der Allgemeinmedizin lässt sich erkennen, dass Initiativen wie der Ausbau der ambulanten Weiterbildung, aber auch ein frühzeitiger und besserer Einblick in das Hausarzt-Dasein Früchte tragen“, kommentierte der zweite Vorsitzende der KBV“, Dr. Stephan Hofmeister. „Das sollte uns als Vorbild dienen, um die Aus- und Weiterbildung in der Medizin auch im fachärztlichen Bereich weiter zu ambulantisieren.“
Dr. Frank Wissing, Generalsekretär des MFT, meint indessen, dass zum Beispiel in Hinblick auf die 38 Lehrstühle für Allgemeinmedizin an den 38 deutschen Fakultäten bei der Förderung der Allgemeinmedizin „eine gewisse Sättigung“ erreicht sei. „Weitere Unterstützung der Allgemeinmedizin muss auch außerhalb des Studiums passieren“, sagt Wissing Richtung KBV.
Überhaupt finden die Studierenden die ambulante Medizin allgemein immer attraktiver. Während es sich 74,8% immer noch vorstellen können, im Krankenhaus zu arbeiten (2010 waren es noch 77,3%) steigen die Präferenzen für die Praxis oder das MVZ von 48,9% im Jahr 2010 auf 62,3% im Jahr 2018, beziehungsweise für die ambulante Medizin in MVZs im gleichen Zeitraum von 55,6% auf 64,5%. Zugleich wiegt das hohe Maß an Bürokratie als Gegenargument zur Niederlassung immer schwerer. 2010 war die Bürokratie für 57,8% ein Argument gegen die Niederlassung, 2018 schon für 62,3%.
Stationäre Arbeit wird unattraktiver
Die Vorliebe für die Niederlassung hat ihre Gründe. Erstens kommen die flexibleren Arbeitsmodelle der ambulanten Medizin (MVZs, Einzel- oder Gemeinschaftspraxis, Gesundheitszentrum) den Wünschen der Studierenden nach einer Balance von Arbeit und Freizeit sowie nach flexibleren Arbeitszeiten entgegen. Am wichtigsten ist den Studierenden jedenfalls die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Bei 94,6% der Befragten steht dieses Kriterium obenan.
Gleichzeitig sehen die Studierenden die Arbeitsbedingungen in Krankenhäusern sehr kritisch, was der ambulanten Medizin Sympathien einbringt: Für 67,9% der Befragten spricht der wirtschaftliche Druck in den Krankenhäusern gegen eine Anstellung im stationären Bereich und 78,2% schreckt die hohe Arbeitsbelastung. „Bereits während des Medizinstudiums erleben wir, wie die ökonomischen Rahmenbedingungen die Versorgung beeinflussen. Dies sollte uns alle wachrütteln, dass wir langfristige Lösungen für eine Patienten-orientierte Versorgung finden müssen“, kommentiert Jana Aulenkamp, Präsidentin 2018 der bvmd.
Wissing vom MFT beklagt darüber hinaus, dass Zeitdruck und Ökonomisierung in den Krankenhäusern den jungen Ärzten immer weniger Zeit mehr lassen, sich für Forschung und Lehre zu engagieren. „Die Promotionsquote sackt immer tiefer“, so Wissing zu Medscape. „Inzwischen liegt sie bei 60 Prozent. Das Interesse an der Medizin als Wissenschaft nimmt ab.“
Auch die Chirurgie scheint ein Opfer des Stresses geworden zu sein. 2010 sackte die Zustimmung der Studenten zur Arbeit im OP im Verlaufe des Studiums von der Vorklinik bis zum PJ von 35,7% auf 21,2%. 8 Jahre später, im Jahr 2018, rutschte die Präferenz über die Studienphasen hinweg sogar von 32,4% auf 18,1%. „Mich als Frau schreckt der Ton im OP und die Ellenbogenmentalität der meisten Chirurgen im Krankenhaus ab“, zitiert die Befragung eine junge Studentin. Sie würde sich wünschen, dass die Hierarchien in Krankenhäusern und besonders in der Chirurgie abgebaut würden.
Wissing sieht hier die Fachgesellschaften und die Krankenhäuser in der Pflicht, die Chirurgie zum Beispiel während des PJ attraktiver für die jungen Leute zu machen.“
Mehr Teamwork und Arbeitsteilung
Schließlich sprechen sich viele Studierende für mehr Teamwork und Arbeitsteilung aus. So begrüßten 2014 noch rund die Hälfte (50,6%) der Befragten über die Delegation und Substitution medizinischer Leistungen nachzudenken. 2018 waren es 68,2%, allein im PJ sogar 77,2%. Ebenso hat der Wunsch nach Teamarbeit seit 2014 von 60,3% auf 66,6% zugelegt. Wissing vom MFT versteht dies als eine Aufforderung, „auch in der Ausbildung mehr Team-orientierte ambulante Formate über die Professionen hinweg anzubieten, zum Beispiel in MVZs.“
Auch der erwartete Lohn der Mühen steigt mit den Jahren. 2010 hielten die Studierenden noch eine Monatsnetto-Einkommen eines Landarztes von 5.390 Euro für angemessen. 2018 waren es fast 1.000 Euro mehr: 6.371 Euro. Angestellte Fachärzte sollten monatlich 4.994 Euro verdienen, meinen die Studenten. Interessant: Die Männer forderten mehr. So heißt es in der Präsentation der Studie: „Die Einkommenserwartungen der Männer liegen im Durchschnitt zwischen 275.- (angestellte Ärzte) und gut 900.- (niedergelassene Ärzte) über denen der Frauen.“
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Diesen Artikel so zitieren: Gerne wieder Hausarztpraxis, bloß nicht auf dem Land – und bitte keine Chirurgie: Wie der Nachwuchs künftig arbeiten will - Medscape - 13. Feb 2019.
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