Der lange Schatten von Morbus Alzheimer: Bluttest erkennt Hirnschädigung schon ca. 16 Jahre vor Symptombeginn

Megan Brooks

Interessenkonflikte

8. Februar 2019

Eine veränderte Konzentration eines Abbauprodukts von Nervenzellen im Blut kann eine Neurodegeneration bereits bis 16 Jahre vor dem Auftreten klinischer Symptome bei der familiären Alzheimer-Demenz mit früher Erstmanifestation (EOFAD) anzeigen. Bei dem Abbauprodukt handelt es sich um ein Stück eines Neurofilaments (NfL: Neurofilament light chain). Die Studie wurde in Nature Medicine veröffentlicht [1].

Die longitudinale Erfassung der Serumkonzentration von NfL spiegelt den neurodegenerativen Verlauf zuverlässig wider. „Der Test zeigt sehr genau den Krankheitsverlauf an und ist damit ein ausgezeichnetes Werkzeug, um in klinischen Studien neue Alzheimer-Therapien zu erforschen“, sagt der Leiter der Studie, Dr. Mathias Jucker vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen in Tübingen, laut einer Pressemitteilung.

Neurodegenerativer Biomarker

Wenn Hirnzellen absterben, lassen sich ihre Überreste im Blut nachweisen. „Normalerweise werden solche Proteine im Blut aber schnell abgebaut und eignen sich daher nicht sehr gut als Marker für eine neurodegenerative Erkrankung“, erklärte Jucker. „Eine Ausnahme bildet jedoch das kleine Stück eines Neurofilaments, das gegen diesen Abbau erstaunlich resistent ist.“

Nfl ist ein Strukturprotein, welches das innere Skelett der Neuronen bildet. Wenn Neuronen geschädigt werden, tritt NfL in den Liquor und ins Blut über. Seine Wertigkeit als Biomarker wird für viele verschiedene neurologische Erkrankungen erforscht.

Jucker und sein Team untersuchten eine Gruppe von Familien im Dominantly Inherited Alzheimer Network (DIAN). Diese Familien weisen seltene genetische Varianten auf, die eine früh einsetzende Alzheimer-Krankheit verursachen. Die Studie beruht auf Daten und Proben von 405 Personen: 243 Mutationsträger und 162 Familienmitglieder, die die Risikomutationen nicht trugen (Kontrollgruppe). Bei diesen Personen verfolgten Jucker und seine Kollegen die Entwicklung der Filament-Konzentration von Jahr zu Jahr.

Die Autoren fanden heraus, dass sich das Filament schon lange vor dem Auftreten klinischer Symptome – also bereits in der präklinischen Phase – im Blut anreichert, dass es sehr empfindlich den Verlauf der Krankheit widerspiegelt und Vorhersagen über künftige Entwicklungen ermöglicht.

Filament-Konzentration nimmt über die Jahre zu

Zu Studienbeginn korrelierten die NfL-Werte in Liquor und Serum miteinander und waren bei den Mutationsträgern im Vergleich zu den Kontrollen signifikant erhöht. Bei Nicht-Mutationsträgern waren die NfL-Blutwerte niedrig und blieben mit der Zeit weitgehend konstant.

 
Es ist nicht der absolute Wert der Filament-Konzentration, sondern deren zeitliche Entwicklung, die … Vorhersagen über den weiteren Krankheitsverlauf erlaubt. Dr. Mathias Jucker
 

Die Längsschnittuntersuchung zeigte, dass die NfL-Spiegel mit der Zeit zunahmen und dass die jährliche Änderungsrate Mutationsträger von Nicht-Trägern bereits 16 Jahre vor dem geschätzten Zeitpunkt des Auftretens der Symptome unterscheiden kann. Das ist fast ein Jahrzehnt früher als bei der Verwendung von querschnittsbezogenen absoluten NfL-Werten (16,2 Jahre vs. 6,8 Jahre vor Beginn des geschätzten Symptoms), wie die Forscher feststellten.  

„Es ist nicht der absolute Wert der Filament-Konzentration, sondern deren zeitliche Entwicklung, die wirklich aussagekräftig ist und Vorhersagen über den weiteren Krankheitsverlauf erlaubt“, sagt Jucker.

In weiteren Untersuchungen zeigten die Wissenschaftler, dass die Veränderung der Neurofilament-Konzentration den neuronalen Abbau sehr exakt widerspiegelt und gute Prognosen darüber erlaubt, wie sich das Gehirn in den nächsten Jahren entwickeln wird. „Wir konnten Vorhersagen über den Verlust von Hirnmasse und über kognitive Beeinträchtigungen machen, die dann zwei Jahre später tatsächlich eingetreten sind“, so Jucker.

Während sich herausstellte, dass die Veränderungsrate der Filament-Konzentration im Blut und der Abbau von Hirngewebe im MRT eng miteinander korrelierten, war der Zusammenhang mit der Ablagerung toxischer Amyloid-Proteine im PET weit weniger ausgeprägt. Diese Beobachtung stützt die Annahme, dass Amyloid-Proteine zwar ein Auslöser der Erkrankung sind, der neuronale Abbau im weiteren Verlauf jedoch unabhängig erfolgt. „Unser Bluttest misst nicht das Amyloid, sondern das, was es im Gehirn anrichtet, nämlich Neurodegeneration“, sagt Jucker.

 
Unser Bluttest misst nicht das Amyloid, sondern das, was es im Gehirn anrichtet, nämlich Neurodegeneration. Dr. Mathias Jucker
 

Das Serum-NfL ließ auch Vorhersagen über die kognitiven Veränderungen zu, wie sie mithilfe des MMST (Mini-Mental-Status-Test) und des Logical Memory Tests bewertet wurden.

Juncker wies darauf hin, dass ihre Ergebnisse bei der spät einsetzenden Alzheimer-Krankheit bestätigt werden müssen. Außerdem sei der Zeitraum zu definieren, in dem die Neurofilament-Veränderungen für eine optimale klinische Vorhersagbarkeit bestimmt werden müssen.

Revolutionäre Ergebnisse?

Dr. Heather Snyder, medizinische und wissenschaftliche Direktorin der Alzheimer's Association, kommentiert die Ergebnisse für Medscape und bezeichnete die Forschung als bedeutsam und wissenschaftlich interessant: „Dieses Protein wurde mit neurodegenerativen Erkrankungen im Allgemeinen in Verbindung gebracht, so dass diese Ergebnisse bei einer spezifischen Population von Alzheimer-Patienten interessant sind. Ich bin gespannt, wohin diese Arbeit führt“, sagt sie.

Dr. Howard Fillit, Gründer und Geschäftsführer der Alzheimer's Drug Discovery Foundation in New York City, betonte gegenüber Medscape die Neuartigkeit der Ergebnisse: Es sei interessant, dass sich die Autoren nicht nur die Blutspiegel dieses Neurofilamentproteins angesehen haben, sondern auch die Veränderungen im Blut verfolgten. „Der wirklich neue Befund, den man so noch nicht zuvor beobachtet hat, besteht darin, dass die Variable ‚Änderungsrate‘ wie zu erwarten stärker war als die Variable ‚Querschnitt der Einzelmessungen‘.“

Die Beobachtungen, dass die NfL-Dynamik des Serums mit den Liquorwerten, den MRT-Befunden und den Ergebnissen des MMST korreliert, sind „validierende“ Informationen, ergänzt Fillit. „Eine Einschränkung besteht darin, dass diese Befunde in der Genpopulation der Familien erhoben wurden, und wir nicht wissen, ob die Ergebnisse in einer unspezifischen Population die gleichen sein werden“, sagt er.

Die Studie „mache jedoch Hoffnung, dass wir in den nächsten 2, 3, 4 oder vielleicht 5 Jahren einen Bluttest für die Alzheimer-Krankheit haben werden, der unser Forschungsgebiet wirklich revolutionieren würde – so wie etwa das Cholesterin das Gebiet der Herzerkrankungen revolutioniert hat“, sagt Fillit.

Dieser Artikel wurde von Markus Vieten aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.

 

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....