Verletzungen bei Fahrern von Elektro-Scootern sind ein neues Phänomen in US-Kliniken. Da sich die Fahrzeuge zunehmender Beliebtheit erfreuen, ist mit steigenden Fallzahlen zu rechnen. Das berichten Dr. Tarak K. Trivedi vom Department of Emergency Medicine, University of California, Los Angeles, USA, und seine Kollegen in JAMA Network Open [1]. Basis ist eine retrospektive Analyse von Patientendaten aus Notfalleinrichtungen.
„In Deutschland sehen wir noch keine neuen und speziellen Verletzungsmuster durch Elektro-Scooter, aber sehr wohl durch andere elektrisch unterstützte Fahrzeuge wie Pedelecs“, erklärt Dr. Christopher Spering im Gespräch mit Medscape. Er ist Oberarzt an der Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie der Universitätsmedizin Göttingen und Leiter der Sektion Prävention der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU).
In Deutschland sehen wir noch keine neuen und speziellen Verletzungsmuster durch Elektro-Scooter, aber sehr wohl durch andere elektrisch unterstützte Fahrzeuge wie Pedelecs.
Gefährdet seien vor allem ältere Menschen, die normalerweise aus eigener Körperkraft ein solches Tempo nicht mehr erreichen könnten. „Sie sind oft altersbedingt der Geschwindigkeit wegen langsamerer Reaktionen nicht mehr gewachsen“, ergänzt der Experte. Genau das sei im Straßenverkehr aber essenziell. „Ähnliche Effekte können früher oder später mit einer stärkeren Verbreitung auch durch Elektro-Scooter denkbar sein“, befürchtet Spering.
Von einer generellen Helmpflicht hält er jedoch nichts: „Der Helm schützt den Kopf, keine Frage. Die Unfälle mit Helm fallen im Schädelhirnbereich deutlich milder aus, das Verletzungsmuster ist günstiger. Allerdings wissen wir mittlerweile auch, dass Unfälle mit Helmen zu höheren Belastungen der Halswirbelsäule führen können“, so Spering weiter. Auch die Versicherungsfrage bei einer generellen Helmpflicht sei vor dem Hintergrund der nur im Allgemeinen, aber oft nicht im Speziellen nachweisbaren Schutzwirkung durch den Fahrradhelm ungeklärt.
Unfälle mit Helm fallen im Schädelhirnbereich deutlich milder aus …. Allerdings können Unfälle mit Helmen zu höheren Belastungen der Halswirbelsäule führen können.
Deshalb falle es schwer, eine Helmpflicht zu propagieren, sehr wohl ist aber aus medizinischer Sicht das Tragen eines Helmes beim Fahrradfahren und auch beim Elektro-Scooter-Fahren essenziell, um schwere Schädelhirntraumata zu verhindern.<
Neues Mobilitätskonzept mit Risiken
Früher oder später werden E-Scooter auch bei uns Einzug halten. In Zeiten hoher Spritpreise und aufkommender Diesel-Fahrverbote suchen viele Bürger nach Alternativen im Stadtverkehr. Für sie sind Elektro-Scooter interessant.
Die Mini-Fahrzeuge erinnern äußerlich an Tretroller. Sie haben neben einem kräftigen Elektromotor inklusive Akku eine Lenkstange, 2 Räder, Bremsen, aber keinen Sattel. Sie lassen sich meist auch per Bus oder Bahn transportieren. Mit einer Höchstgeschwindigkeit von 20 km/h überbrücken sie kurze Distanzen.
Trivedi sieht zwar einen „Beitrag zur Mobilität der Zukunft“, warnt aber vor Folgen durch Unfälle. In den USA sind E-Scooter seit 2017 immer öfter auf der Straße zu finden.
Für ihre retrospektive Studie haben Trivedi und seine Kollegen Daten aus den Notfallabteilungen zweier Kliniken in Südkalifornien analysiert. Ihre Arbeit ging vom 1. September 2017 bis zum 31. August 2018. Alle Patienten wurden aufgrund von Unfällen durch E-Scooter behandelt.
Die Kohorte umfasste 249 Unfallopfer, davon waren 145 (58,2%) männlich. Als mittleres Alter geben die Autoren 33,7 Jahr an. 27 Patienten waren jünger als 18 Jahre (10,8%). 228 aller Verletzten (91,6%) fuhren selbst, und 21 (8,4%) wurden als Passanten involviert. Helme trugen nur 10 Personen. 12 Patienten (4,8%) hatten entweder einen Blutalkoholspiegel von mehr als 0,5 Promille oder wurden ohne weitere Diagnostik vom behandelnden Arzt als berauscht wahrgenommen.
Als häufigste Verletzungsmuster identifizierten Trivedi und seine Kollegen:
Frakturen (79 Fälle, 31,7%),
Kopfverletzungen (100 Fälle, 40,2%).
Prellungen, Verstauchungen und Risswunden ohne Frakturen oder Kopfverletzungen (69 Fälle, 27,7%).
Fast alle Unfälle verliefen glimpflich. Ärzte entließen 234 Patienten (94,0%) aus der Notaufnahme nach Hause. Nur 15 (6,0%) wurden stationär aufgenommen. Von ihnen mussten 2 auf der Intensivstation betreut werden.
Außerdem beobachteten die Autoren im September 2018 rund 7 Stunden lang den Verkehr an mehreren an Kreuzungen bei ihren Krankenhäusern. Von 193 Elektroroller-Fahrern trugen 182 (94,3%) keinen Helm.
US-Experte fordert spezielle Helme für E-Scooter
In einem begleitenden Kommentar schreibt Dr. Frederick P. Rivara vom Harborview Injury Prevention and Research Center der University of Washington in Seattle, USA, E-Scooter und elektrische Fahrräder seien ein „schnelles, einfaches Transportmittel für kurze Strecken“ [2]. Er rechnet gerade in großen Städten mit der zunehmenden Verbreitung, auch durch Mietangebote.
Gefahren sieht er durch den fehlenden Schutz. Durch Helme hat sich die Zahl an schweren Schädel-Hirn-Traumata bei Fahrradfahrern etwa um 88% vermindert. Genau da liegt ein Problem. „Kein Unternehmen, das solche Fahrzeuge vermietet, bietet Helme an“, schreibt Rivara.
Es stellt sich die Frage, welche Arten von Helmen Fahrer tragen sollten.
„Außerdem stellt sich die Frage, welche Arten von Helmen Fahrer tragen sollten.“ Fahrradhelme seien nicht für E-Scooter zertifiziert. Aber kaum eine Person würde Motorradhelme tragen. Seine Hoffnung: „So wie die Helmhersteller auf die gestiegene Nachfrage nach Fahrradhelmen mit neuen, attraktiven Produkten zu günstigen Preisen reagiert haben, sollten sie jetzt die Verwendung von Helmen für Elektroroller und Elektrofahrräder fördern.“
Auch den Gesetzgeber sieht Rivara in der Pflicht, um zu klären, wo E-Scooter überhaut fahren dürfen: auf Gehwegen, Radwegen oder Straßen. Deutschland kämpft mit ähnlichen Schwierigkeiten.
Helmpflicht – momentan kein Thema in Deutschland
Bei uns ist die neue Fahrzeugklasse weitgehend unreguliert. Immer wieder beschlagnahmt die Polizei E-Scooter ohne Zulassung. Medscape hat deshalb beim Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) nachgefragt.
Mittlerweile gebe es BMVI-Angaben zufolge einen Verordnungsentwurf, damit E-Kleinstfahrzeuge mit den bestimmten Merkmalen am Straßenverkehr teilnehmen können. Sie haben eine Lenk- oder Haltestange, eine Höchstgeschwindigkeit bis 20 km/h, eine Leistungsbegrenzung auf 500 Watt bzw. 1.200 Watt bei selbstbalancierenden Fahrzeugen und erfüllen fahrdynamische Mindestanforderungen.
Vorgesehen ist, dass Elektro-Kleinstfahrzeuge verkehrsrechtlich zwar wie Fahrräder behandelt werden, aber weiteren Vorschriften unterliegen. Fahrer dürfen Radwege oder Radfahrstreifen nutzen, ansonsten bleibt die Fahrbahn. Eine Helmpflicht ist nicht vorgesehen.
Wer sich per E-Scooter bewegt, benötigt eine Versicherung, ein Versicherungskennzeichen und mindestens einen Mofa-Führerschein. Allerdings ist keine Helmpflicht vorgesehen. Das BMVI rechnet damit, dass die neue Verordnung voraussichtlich im Frühjahr 2019 in Kraft tritt.
Medscape Nachrichten © 2019 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Mehr Unfälle durch Elektro-Scooter in den USA, in Deutschland (noch) nicht – Experten diskutieren Helmpflicht - Medscape - 6. Feb 2019.
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