Heidelberg – 9 von 10 Krebstodesfällen sind heutzutage Folge der Metastasierung, so schätzt die WHO. Den Erfolgen in der primären Krebstherapie – so konnte z.B. die Mortalität beim ER+/HER2+ Mammakarzinom um rund 70% durch moderne postoperative systemische Therapien gesenkt werden – stehen immer noch relativ geringe Erfolge gegenüber, wenn die Erkrankung bereits fortgeschritten ist und metastasiert hat. Genau dieser Klientel nimmt sich die CATCH-Studie an, die Wissenschaftler des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) anlässlich des Welt-Krebstages am 4. Februar bei einer Veranstaltung vorgestellt haben [1].

Prof. Dr. Peter Lichter
Kein Krebs gleicht dem anderen – und auch die Tochtergeschwülste sind verschieden
Basis von CATCH ist die in den letzten Jahren gewachsene Erkenntnis, dass keine Krebserkrankung der anderen gleicht. Jede hat ihre individuellen biologischen und klinischen Eigenschaften – mit unterschiedlichen molekularen und genetischen Markern. Doch: Beim fortgeschrittenen Brustkrebs wird die Situation sogar noch komplexer: „Dann sehen wir nicht nur starke Unterschiede zwischen einzelnen Patientinnen, sondern auch zwischen den einzelnen Krebszellen ein und derselben Patientin“, erläuterte Prof. Dr. Peter Lichter, Leiter der Abteilung Molekulare Genetik, DKFZ, und Stellvertretender Geschäftsführer des Nationales Centrum für Tumorerkrankungen (NCT), Heidelberg.
Das heißt auch: Das molekulare und genetische Profil des Primärtumors und das der Metastase unterscheiden sich erheblich. „Und genau das macht die Behandlung von Patientinnen mit Metastasen so schwierig“, erklärt Lichter.
Hier setzt CATCH an. Das Akronym steht für „Comprehensive Assessment of Clinical Features and Biomarkers To Identify Patients with Advanced or Metastatic Breast Cancer for Marker Driven Trials in Humans”. Das Konzept: Bei Frauen mit fortgeschrittenem Brustkrebs wird die Haupt-Metastase biopsiert und das genetische Profil dieses entnommenen Materials getestet, wie Prof. Dr. Andreas Schneeweiss, Sektionsleiter Gynäkologische Onkologie am NCT Heidelberg, erläuterte.

Prof Dr. Andreas Schneeweiss
Aufgrund des Ergebnisses berät dann ein Tumor-Board über die in diesem Fall individuell am besten geeignete weitere Therapie. Dies kann eine Standardtherapie sein oder auch eine Substanz, die aufgrund der Tumorbiologie erfolgversprechend scheint, aber off-label eingesetzt werden muss, oder sogar ein Wirkstoff, der sich noch in der Erprobung befindet – oder Kombinationen verschiedener Ansätze. Dabei werden die Wünsche der Patientin ebenso berücksichtigt wie die Tumorbiologie oder klinische Parameter wie Metastasierungsmuster und -umfang, Vorbehandlungen und Begleiterkrankungen, so Schneeweiss.
Schon 175 Frauen erhalten eine maßgeschneiderte Metastasen-Therapie
Das Programm läuft seit eineinhalb Jahren. 175 Frauen sind derzeit eingeschlossen. Als Ergebnis der Testung wurden sie verschiedenen (zum Teil kombinierten) maßgeschneiderten Therapie-Optionen zugeteilt: 23% erhalten einen PARP-Inhibitor, 21% eine gegen den PI3K/Akt/mTOR-Signalweg gerichtete Therapie, bei 14% ist es ein Kinasehemmer, bei 11% ein Immuncheckpoint-Inhibitor, bei 10% richtet sich die Therapie gegen einen nukleären Rezeptor und bei 21% handelt es sich um diverse andere Ansätze.
Da die Patientinnen sowohl in Heidelberg analysiert als auch behandelt würden, könne man auch relativ schnell darauf reagieren, wie sie auf die Behandlung ansprechen, berichtete Schneeweiss – und die Therapie könne, wenn nötig, rasch angepasst werden.
Auch wenn es „eigentlich noch zu früh ist, um über Erfolge zu berichten“, so der Mediziner, doch habe sich bei einigen Frauen, „denen wir bei herkömmlicher Herangehensweise wenig Hoffnung auf Besserung machen konnten“, ihr Zustand gebessert – sie sprächen auf die maßgeschneiderte Behandlung an und stabilisierten sich. So zeigte er CT-Scans einer 30-jährigen Patientin mit triple-negativem Brustkrebs, die (entsprechend der molekularen Analyse eines Lokalrezidivs) Pembrolizumab und Niraparib erhielt und eine partielle Remission erlebte – wobei sich Lungenmetastasen zurückbildeten.
Das genetische Profil der Metastase als Chance
Therapiedruck und Drift im Verlauf der Metastasierung lassen aber immer wieder neue unabhängige unterschiedliche Sub-Klone entstehen. Um mit den Tumorveränderungen über die Zeit mithalten zu können – und die Therapie dann kurzfristig jeweils anzupassen, sind Longitudinal-Test und sequenzielle Biopsien notwendig, erläuterte Lichter. So sollen in zukünftigen Szenarien multiple Biopsien, eventuell hin bis zur Einzelzell-Sequenzierung, die Patientinnen im Krankheitsverlauf begleiten, kündigte er an.
Bald müssen dafür die Krebszellen wohl auch nicht mehr aufwändig per Biopsie gewonnen werden. Die „Liquid Biopsy“ kann zirkulierende Tumor-DNA und zirkulierende Tumorzellen nachweisen, nicht nur im Blut, sondern sogar in anderen Körperflüssigkeiten etwa Sputum, Urin oder Liquor. Solche Liquid-Biopsien würden ein nicht oder wenig invasives engmaschigeres Monitoring ermöglichen, so Lichter.

Prof. Dr. Andreas Trumpp
Einen wichtigen Schritt vorwärts hat in diesem Zusammenhang der Direktor des Heidelberger Instituts für Stammzell-Technologie (HI-STEM) am DKFZ, Prof. Dr. Andreas Trumpp , gemacht. Dem Stammzell-Biologen ist es mit seinem Team jetzt weltweit erstmals gelungen, zirkulierende Tumorzellen (CTCs) im Blut zu isolieren und – was bislang nicht möglich war – zu vermehren. „Ein enorm wichtiger Schritt“, wie er selbst sagt.
Denn an den lebenden vermehrten Brustkrebszellen aus dem Blut lassen sich detaillierte molekulare, genetische und biologische Charakteristika untersuchen und typisieren. So lassen sich die permanenten molekularen Veränderungen des Tumors während der Therapie, etwa auch eine Resistenzentwicklung, frühzeitig erkennen.
Aber ebenso wichtig: Mit den vermehrten CTCs und den darin enthaltenen Krebs-Stammzellen lassen sich präklinische Tests machen, um herauszufinden, auf welche Wirkstoffkombinationen die Tumorzellen ansprechen. So lassen sich die passenden Therapien noch gezielter auswählen, erläuterte Trumpp.
Parallel arbeiten er und sein Team auch daran, Tumorzellen aus Gewebebiopsien im Labor noch effektiver zu vermehren und „lebend“ in einer Biobank zu hinterlegen. Die Hoffnung ist, dass mit dieser „HI-STEM Liquid Biopsy“ Plattform „es zum ersten Mal möglich ist, lebende und genau charakterisierte Tumorzellen für jedes Stadium der Brustkrebserkrankung – vor, während und nach der Therapie – zur Verfügung zu haben, und dadurch mittels Präzisionsmedizin die Therapieoptionen wesentlich zu erweitern“, so der Wissenschaftler.
COGNITION: Erweiterung auf Frauen mit frühem Brustkrebs und hohem Risiko
Doch das ist noch Zukunftsmusik. Derzeit ist das Ziel in der CATCH-Studie vor allem, ein weiteres Fortschreiten der Erkrankung bei den Frauen mit metastasiertem Brustkrebs zu verhindern. Die Behandlungsergebnisse werden in größeren Registern zusammengeführt, so dass man auch hier in Zukunft von den gemachten Erfahrungen profitieren kann, berichtete Schneeweiss.
Aber: „Für die Zukunft planen wir auch Patientinnen in einem frühen Stadium und mit einem hohen Risiko für einen aggressiven Verlauf mit Metastasen-Bildung einzuschließen“, erklärte der Mediziner.
Dieses Programm läuft unter dem Akronym COGNITION und startet gerade. Hier erhalten Frauen mit frühem Brustkrebs, aber eher schlechter Prognose, eine an das molekulare genomische Profil angepasste individualisierte Therapie post-neoadjuvant, so Lichter. Das Ziel hierbei sei, in dieser Gruppe besonders gefährdeter Patientinnen die Heilungsraten zu erhöhen und das Rezidiv- bzw. Metastasierungsrisiko zu senken.
Medscape Nachrichten © 2019
Diesen Artikel so zitieren: Das genetische Profil der Metastase als Chance: Individualisierte Behandlung beim fortgeschrittenen Brustkrebs - Medscape - 4. Feb 2019.
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