Ist schon der erste Joint zu viel für Teenager? Studie findet Hirnveränderungen

George W. Citroner

Interessenkonflikte

1. Februar 2019

Schon ein- bis zweimaliger Konsum von Cannabis kann nach neuen Untersuchungen das Volumen der grauen Hirnsubstanz in mehreren Teilen des sich entwickelnden Gehirns von Teenagern signifikant verändern.

Forscher analysierten Daten aus einem großen Forschungsprogramm, das die Entwicklung des jugendlichen Gehirns und die psychische Gesundheit bewertet. Sie fanden heraus, dass bei Jugendlichen mit sehr geringem Cannabiskonsum solche Hirnregionen signifikant von den Auswirkungen betroffen sind, die reich an Cannabinoid-Rezeptoren sind.

„Wir wollten die Auswirkungen einer geringen Cannabis-Exposition untersuchen, denn während die Folgen eines starken Konsums von Cannabis oder anderen Drogen auf das Gehirn bereits untersucht worden sind, weiß man nur sehr wenig über die Effekte eines geringen Konsums“, so Dr. Hugh Garavan, Professor für Psychiatrie an der University of Vermont, Burlington, USA, und Mitautor der Studie, gegenüber Medscape. Die Ergebnisse wurden im Januar im Journal of Neuroscience online veröffentlicht [1].

Homogene Stichproben

In früheren Studien war sowohl ein Anstieg als auch ein Rückgang des Hirnvolumens aufgrund des Cannabiskonsums gezeigt worden. Doch waren die meisten dieser Untersuchungen an Personen durchgeführt worden, die Cannabis dauerhaft und stark konsumierten, die darüber hinaus auch rauchten und tranken.

„Es gibt einige Studien an Tiermodellen, die zeigen, dass sich sogar eine einzige Gabe auf die Funktion des Gehirns auswirken kann“, berichtet Garavan. Den Forschern stand eine sehr große Stichprobe zur Verfügung, sodass sie nach Jugendlichen suchen konnten, die einen solchen geringen Konsum angegeben hatten.

Anhand von Daten aus dem Forschungsprojekt IMAGEN mit über 2.400 Jugendlichen identifizierten die Forscher diejenigen, die nur ein- oder zweimaligen Cannabiskonsum angegeben hatten. Diese wurden dann unter Abgleich einer Vielzahl von Variablen mit den Teilnehmern einer Kontrollgruppe gematcht.

So wurden beide Gruppen nach Alter, Geschlecht, Händigkeit, pubertärem Entwicklungsstand, IQ (bestimmt anhand von Messwerten zum verbalen Verständnis und wahrnehmungsgebundenem logischem Denken), sozioökonomischem Status, Gesamtvolumen der grauen Substanz, Alkoholkonsum und Nikotinkonsum einander angeglichen.

Schließlich mussten alle 4 Großeltern der Jugendlichen die gleiche Nationalität wie der Teilnehmer haben, wodurch die Stichprobe auch nach ethnischen Gesichtspunkten homogen war.

Drogenkonsum per Fragebogen erfasst

Der Substanzkonsum wurde zu Beginn (14 Jahre) und im Anschluss (16 Jahre) mithilfe des ESPAD-Fragebogens (European School Survey Project on Alcohol and Other Drugs) bewertet. Dieser Fragebogen erfragt Konsum von Alkohol, Nikotin, Cannabis und einer breiten Palette illegaler Substanzen sowie der fiktiven Kontrollsubstanz „Relevin“.

Die Teilnehmer gaben auf einer 7-Punkte-Skala an, wie häufig sie jeden der Stoffe in ihrem bisherigen Leben, in den vergangenen 12 Monaten, im letzten Monat und in der letzten Woche konsumiert hatten. Sie machten auch Angaben über das Alter, in dem die jeweilige Substanz erstmalig ausprobiert worden war.

Alle Teilnehmer erklärten, keine anderen illegalen Substanzen einzunehmen und niemand gab an, das fiktive Kontrollmittel „Relevin“ einzunehmen, was auf eine hinreichend richtige und zuverlässige Angabe zum Umgang mit anderen illegalen psychoaktiven Substanzen schließen lässt.

Hirnbildgebung

An allen 8 IMAGEN-Studienstandorten wurden MRTs durchgeführt. Um die Volumina der grauen Substanzen vergleichen zu können, wurde die voxel-basierte Morphometrie (VBM) angewandt.

Die T1-gewichteten Aufnahmen wurden nach anatomischen Anomalien oder Artefakten wie Fehler durch Kopfbewegungen oder Rekonstruktionsfehler durchmustert. Nach der VBM wurden die Aufnahmen erneut auf Fehler bei der Gewebesegmentierung oder Normalisierung in den MNI-Bereich (Montreal Neurological Institute; anatomischer Raum in einem gemittelten Referenzgehirn) untersucht. Alle Bilder, die bei diesen Qualitätskontrollen aus irgendeinem Grund durchfielen, wurden ausgeschlossen.

Es lagen damit Daten für eine Subpopulation aus 14-jährigen Jugendlichen, die Cannabis konsumierten, mit einem Follow-up von 2 Jahren hinsichtlich ihres Substanzkonsums, ihrer kognitiven Fähigkeiten und ihrer psychopathologischen Entwicklung vor. Dies ermöglichte eine Bewertung von cannabisbedingten Unterschieden in der grauen Substanz und dem zukünftigen Funktionsniveau in diesen Hirnbereichen.

Aus den Daten von über 47 Jugendlichen, die einen nur ein- oder zweimaligen Cannabiskonsum angegeben hatten, wurde 1 Datensatz wegen zu geringer Qualität der MRT-Aufnahmen ausgeschlossen. Damit blieben 46 Cannabis konsumierende Jugendliche für die Analyse übrig.

Die Forscher identifizierten auch 69 Teilnehmer, die im Alter von 14 Jahren noch nie Cannabis konsumiert hatten, aber bei der Nachuntersuchung nach 2 Jahren einen mindestens 10-maligen Konsum angaben. Auf diese Weise konnten die Wissenschaftler feststellen, ob bereits vor dem Cannabiskonsum Unterschiede zwischen der Konsumentengruppe und der Kontrollgruppe vorgelegen haben könnten.

Folgen oder Ursachen des Konsums?

Jugendliche, die von nur ein- oder zweimaligem Cannabiskonsum berichteten, zeigten in mehreren Hirnregionen, die reich an Cannabinoid-Rezeptoren sind, ein höheres Volumen der grauen Substanz als Nichtkonsumenten. Zu diesen Regionen gehörten die bilateralen medialen Schläfenlappen, der hintere Gyrus cinguli beidseits und das Kleinhirn.

„Wir wissen nicht genau, warum das so ist. Und wir wissen auch nicht sicher, ob die Volumenunterschiede auf den Cannabiskonsum zurückzuführen sind“, sagt Garavan. „Es wäre sogar einleuchtend anzunehmen, dass diese Unterschiede dem Cannabiskonsum vorausgegangen sein könnten. Vielleicht ist es ja nicht so, dass die Unterschiede eine Folge des Cannabiskonsums sind, sondern dass sie dazu geführt haben, dass Kinder Cannabis konsumieren“, spekuliert er.

 
Wir verstehen die Auswirkungen von Cannabis auf das Gehirn in diesem Entwicklungsstadium nicht wirklich. Prof. Dr. William Chow
 

Cannabiskonsumenten hatten auch höhere Werte für das Persönlichkeitsmerkmal „Sensation Seeking“ und für Angst-Parameter als Nichtkonsumenten. Die Untersucher sind sich jedoch nicht sicher, ob dies mit den Volumendifferenzen in Zusammenhang gebracht werden kann oder auf einen anderen unbekannten Faktor zurückzuführen ist.

„Ich denke, wir müssen definitiv weitere Untersuchungen anstellen“, sagt er. „Bei jedem Studienergebnis, vor allem wenn es ein solch provokantes Resultat liefert, sollte eine Wiederholung angestrebt werden. Wir wollen herausfinden, ob das Ergebnis logisch ist, und sollten dabei sehr umsichtig vorgehen.“

Kontraintuitive Resultate

Dr. William Chow, Professor für Neurologie an der University of California in Los Angeles, USA, weist gegenüber Medscape darauf hin, dass andere Studien eine Volumenminderung im Temporallappen von Cannabiskonsumenten festgestellt haben.

„Ich glaube jedoch, dass dies nur ein Zeichen für eine gewisse Variabilität in den Bildgebungsstudien ist“, sagt Chow. „Wir verstehen die Auswirkungen von Cannabis auf das Gehirn in diesem Entwicklungsstadium nicht wirklich.“

 
Tatsache aber ist, dass scheinbar selbst ein geringer Konsum Veränderungen bewirkt. Dr. Alex Dimitriu
 

Auch Dr. Alex Dimitriu, Psychiater und Schlafmediziner in Menlo Park, USA, kommentiert gegenüber Medscape, dass „die Ergebnisse kontraintuitiv erscheinen. Es ist überraschend, dass ein so geringer Cannabiskonsum messbare Veränderungen der Gehirnstrukturen oder -volumina mit sich bringen soll“, sagt er. „Ob ein Mehr an grauer Substanz ein gutes oder schlechtes Zeichen für das sich entwickelnde Gehirn ist, muss erst noch festgestellt werden. Tatsache aber ist, dass scheinbar selbst ein geringer Konsum Veränderungen bewirkt.“

 

Kommentar

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