Kinder, die einer starken Schadstoffbelastung durch Dieselabgase ausgesetzt sind, haben ein erhöhtes Risiko für ein geringeres Lungenvolumen. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie in Lancet Public Health, die Kinder in der Londoner Innenstadt untersucht hat [1].
Die dort eingerichtete Umweltzone mit Einfahrtbeschränkungen konnte die Schadstoffbelastung zwar leicht senken. Dennoch zeigen dort wohnende Viertklässler weiterhin eine verkleinerte forcierte Vitalkapazität (FVC).
Die Luft wurde ein wenig sauberer
Im Februar 2008 hat London eine relativ weiträumige „Low Emission Zone“ (Umweltzone) eingeführt – damals die größte städtische weltweit. Größere Dieselfahrzeuge, die viele Schadstoffe ausstoßen (derzeit mehr als Abgasnorm Euro 3 oder 4, je nach Größe), dürfen in die Zone nur einfahren, wenn eine Tagesgebühr von 100 bis 200 Pfund (113 bis 225 Euro) gezahlt wird. Die Einhaltung wird über Videoaufnahmen der Nummernschilder kontrolliert.
Die Studie untersuchte die gesundheitlichen Auswirkungen auf die Lunge von der Winterperiode 2009/10 bis zum Winter 2013/14. Untersucht wurden insgesamt 2.164 Kinder, die in der Umweltzone wohnten und zum jeweiligen Untersuchungszeitpunkt 8 und 9 Jahre alt waren (also nicht dieselben Kinder über 5 Jahre, sondern immer die Kinder der 4. Klassen).
Erhoben wurden die Belastung durch Stickstoffoxide (NOX und NO2) und PM2.5- sowie PM10-Feinstaub (Partikel kleiner als 2,5 μm und 10 μm) am Wohn- und Schulort der Kinder, die Lungenfunktion nach Gabe eines Bronchodilatators (u.a. FVC, also das Volumen, das nach maximaler Einatmung mit maximaler Geschwindigkeit ausgeatmet werden kann) sowie allergische Symptome und Atembeschwerden. Störfaktoren wie Belastung durch Tabakrauch wurden kontrolliert.
Das Ergebnis: Die Umweltzone hat die Londoner Luft sauberer gemacht – aber nur wenig. Die NO2-Belastung direkt an Straßen verringerte sich zwischen 2009 und 2014 im Durchschnitt um 6,75 μg/m³, weiter entfernt um 4,85 μg/m³.
In Bezug auf die Grenzwerte hat sich die Situation aber verbessert: 2009 lebten 99% der untersuchten Kinder an einem Ort, der den jährlichen EU-Grenzwert (40 μg/m³) für NO2 überschritt. 2013 waren es nur noch 34%. Offenbar lagen viele Gebiete zuvor leicht über dem Grenzwert.
Bei Feinstaub ließ sich kein klarer Rückgang der Belastung feststellen.
Je mehr Stickstoffdioxid, desto kleiner das FVC-Volumen
Die Autoren um Dr. Ian S. Mudway, King´s College London, konnten einen Zusammenhang zeigen zwischen der Schadstoffbelastung und dem kindlichen Lungenvolumen: Für jedes μg NO2 mehr pro m³ sank das FVC-Volumen im Durchschnitt um 0,0023 l. „Das mag auf den ersten Blick nicht viel erscheinen“, schreiben die Autoren, „man muss aber bedenken, dass die Kinder teilweise erheblichen Belastungen ausgesetzt sind.“ Der Spitzenwert betrug für NO2 98,9 μg/m³ – mehr als das Doppelte des Grenzwerts –, der geringste immerhin noch 31,2. Im Durchschnitt, so die Autoren, ergebe dies ein um 4,8% bis 5,3% verringertes FVC-Volumen bei Kindern.
Der leichte Rückgang der Stickstoffdioxid-Belastung im Untersuchungszeitraum führte aber offenbar nicht dazu, dass Kinder dort weniger beeinträchtigt sind: Die Verkleinerung des Lungenvolumens bei Viertklässlern blieb nahezu konstant.
Die Autoren räumen ein, dass der Effekt möglicherweise zu klein ausfällt, weil die Messung erst nach Einführung der Umweltzone startete, und der Schadstoff-Rückgang danach nur noch gering war. Eine Nullmessung vor Einführung ließ sich aber wohl aus Zeitgründen nicht realisieren.
Aus dem Zusammenhang von Schadstoffen und Lungenvolumen leiten die Forscher klare Handlungsaufforderungen ab: „So lange die langfristigen Folgen eines geringeren Lungenvolumens in der Kindheit unklar sind, sollten Ärzte Eltern von lungenkranken Kindern empfehlen, nicht in schadstoffbelasteten Gegenden zu wohnen.“
Auch für die Politik haben die Forscher einen Rat: „Die Einrichtung und strenge Kontrolle von Umweltzonen mit stärkerer Schadstoffabsenkung ist in London und anderen Städten eindeutig geboten.“
Auch unterhalb des Grenzwertes besteht ein Risiko
Für Dr. Josef Cyrys, Leiter der Abteilung „Environmental Exposure Assessment“ am Institut für Epidemiologie am Helmholtz Zentrum München, sind die Ergebnisse nicht überraschend: „Ein Zusammenhang zwischen Schadstoffbelastung und Lungenvolumen wird auch unterhalb der geltenden Grenzwerte festgestellt.“
Dass sich die Parameter bei den Kindern nicht verbessert haben, führt der Chemiker auf den zu geringen Rückgang von NO2 in London zurück. Auch in Deutschland führten Umweltzonen oft nicht dazu, dass der NO2-Wert deutlich sinkt. „Dieselfahrzeuge sind in den letzten Jahren zwar sauberer geworden. Zugleich gibt es aber immer mehr davon.“
Die Ergebnisse zeigten deutlich, dass auch eine Belastung unterhalb des Grenzwertes schädliche Folgen haben könne: „Die Wirkung findet auf einem Kontinuum statt.“ Grenzwerte hingegen seien eine politische Entscheidung. Führe aber eine Umweltzone nicht zu einer deutlichen Abnahme von Stickoxiden, müsse man darüber nachdenken, sie zu verschärfen.
Diese Konsequenz hat auch die Stadt London gezogen: Sie richtet ab April 2019 in der Innenstadt eine „Ultra Low Emission Zone“ ein, die dann auch für PKW gilt. Die Politik begründet dies ausdrücklich damit, dass Umweltschadstoffe die kindliche Lungenentwicklung schädigen.
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Diesen Artikel so zitieren: Stickoxid-Belastung von Kindern: Studie zu Londoner Umweltzone bestätigt Assoziation mit verkleinertem Lungenvolumen - Medscape - 29. Jan 2019.
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