Neuer genetischer Risikotest für Typ-1-Diabetes: Ermöglicht er eine weit zuverlässigere Vorhersage?

Michael van den Heuvel

Interessenkonflikte

29. Januar 2019

Lassen sich Kinder mit einem hohen Erkrankungsrisiko für einen Typ-1-Diabetes bald schon sehr viel zuverlässiger frühzeitig identifizieren? Ein neu entwickelter Typ-1-Diabetes-Riskoscore ist laut Simulationen um mindestens 50% besser als momentan verwendete genetische Tests.

Das berichten Seth A. Sharp vom Institut für biomedizinische und klinische Wissenschaften Science der University of Exeter Medical School, Exeter, in einer Publikation in Diabetes Care [1]. Für ihren Test sehen die Autoren Einsatzmöglichkeiten etwa beim Neugeborenen-Screening, oder um die verschiedenen Diabetesformen bei der Diagnose in der Praxis zu unterscheiden.

„Risikoscores sind immer optimierbar, falls man neue Gene findet, die mit Typ-1-Diabetes assoziiert sind oder falls man tiefer sequenziert“, kommentiert Prof. Dr. Anette-Gabriele Ziegler gegenüber Medscape. Sie ist Leiterin des Instituts für Diabetesforschung und der Forschergruppe Diabetes e.V. am Helmholtz Zentrums München. „Sharp et al. haben genau das getan, nämlich eine tiefere Sequenzierung im Bereich der HLA-Region vorgenommen.“ Genau so sei der optimierte Riskoscore GRS2 entstanden, bislang habe man mit GRS1 gearbeitet.

 
Die Autoren haben nicht validieren können, ob ihr Score in der Realität auch besser ist. Prof. Dr. Anette-Gabriele Ziegler
 

„Die Ergebnisse sind plausibel, haben aber ihre Schwäche“, ergänzt Ziegler. „Die Autoren haben nicht validieren können, ob ihr Score in der Realität auch besser ist.“ Dies sei nur statistisch simuliert, aber nicht anhand von prospektiven Kohorten gezeigt worden. „Für mich ist die Vergleichbarkeit GRS1 und GRS2 derzeit nicht gegeben“, so ihr Resümee.

Ziegler hat selbst zusammen mit Kollegen einen Typ-1-Diabetes-Score mit 47 SNPs (Single Nucleotide Polymorphisms) entwickelt und an der TEDDY-Kohorte (The Environmental Determinants of Diabetes in the Young) evaluiert.

Die TEDDY Studie beobachtet seit 2004 weltweit Neugeborene, die bestimmte Risikogene für die Entwicklung von Typ-1-Diabetes aufweisen. Bis zum 15. Lebensjahr jedes Kindes sammeln die Studienärzte Daten etwa zu Ernährung, Krankengeschichte und Impfungen und nehmen Proben wie Blut, Stuhl und Nasenabstrich, um so mögliche Ursachen der Entstehung von Typ-1-Diabetes aufzudecken und mögliche Therapieansätze zu entwickeln.

Im Zusammenhang mit dem neuen Risikoscore weist Ziegler auf eine Besonderheit im Artikel hin: „Schon durch ein einziges Gen der HLA-Region, nämlich BTNL2, könnte der bisherige Test verbessert werden. Ich frage mich deshalb, ob die zusätzlichen 20 Gene des neuen Scores wirklich notwendig sind.“

Ein Typ-1-Diabetes-Screening ist klinisch relevant

An der generellen Sinnhaftigkeit von Typ-1-Diabetes-Screenings bestehen jedoch nach ihren Angaben keine Zweifel. Das habe mehrere Gründe:  

  • Bleibt ein Typ-1-Diabetes unerkannt, drohen Komplikationen in Form von Ketoazidosen.

  • Anhand von Risikoscores ist eine Unterscheidung verschiedener Formen wie eine Typ-1- und eines Typ-2-Diabetes möglich.

  • Speziell bei Typ-1-Diabetes untersuchen Wissenschaftler bei kleinen Risikopatienten Möglichkeiten zur Primärprävention, wie Medscape berichtete. So erhalten z.B. Teilnehmer der Fr1da-Insulin-Interventions-Studie, Kinder aus Deutschland im Alter von 2 bis 12 Jahren mit (noch) unauffälligen Blutzuckerwerten 15 Monate lang orales Insulin oder Placebo, um zu testen, ob das orale Insulin die Autoimmunprozesse, die zur Zerstörung der Betazellen führen, verhindern kann.

Um Personen mit höherem Typ-1-Diabetes-Risiko zu identifizieren, gibt es mehrere Möglichkeiten:

  • Ärzte suchen im Blut nach Diabetes-spezifischen Autoantikörpern. Dazu zählen v.a. Insulinautoantikörper (IAA), Glutamat-Decarboxylase-Autoantikörper (GADA), Antikörper gegen das insulinassoziierte Antigen 2 (IA-2A) sowie Zinktransporter-8-Antikörper (ZnT8A). Treten mindestens 2 dieser 4 Autoantikörper auf, gilt dies als Anzeichen für ein Typ-1-Diabetes-Frühstadium.

  • Anhand von Einzelnukleotid-Polymorphismen (SNPs) lassen sich genetische Prädispositionen identifizieren. Zu den bekanntesten SNPs gehören humane Leukozyten-Antigene (Human Leukocyte Antigenes, HLA).

Genomweite Assoziationsstudie mit 6.481 Diabetes-Patienten und 9.247 Kontrollen

Bei bisherigen genetischen Scores wie GRS1 seien nicht alle bekannten Informationen aus Nicht-HLA-Loci bzw. aus HLA-Risikoloci erfasst worden, schreiben Sharp und Kollegen. Deshalb haben sie eine genomweite Assoziationsstudie (GWAS) mit 6.481 Typ-1-Diabetes-Patienten und 9.247 Kontrollen durchgeführt.

 
Schon durch ein einziges Gen der HLA-Region, nämlich BTNL2, könnte der bisherige Test verbessert werden. Prof. Dr. Anette-Gabriele Ziegler
 

Dies half ihnen, alle bekannten und kürzlich entdeckten genetischen Elemente zu integrieren, die auf Typ-1-Diabetes hinweisen können. Ihr neuer Score, T1D GRS2 genannt, basiert auf 67 SNPs und Wechselwirkungen zwischen 18 HLA DR-DQ-Haplotyp-Kombinationen. Danach wurde GRS2 anhand einer britischen Bioprobenbank evaluiert.

Der optimierte Screen war beim simulierten Neugeborenen-Screening fast doppelt so effizient wie die HLA-Genotypisierung allein und um 50% besser als die aktuellen genetischen Scores in der Typ-1-Diabetes-Vorhersage der Gesamtbevölkerung.

Sharp und Kollegen simulieren den Effekt ihres Scores mit statistischen Methoden. Ihr Gedankenexperiment: Setzt man beim Neugeborenen-Screening das theoretische Ziel, 77% aller künftigen Typ-1-Diabetes-Fälle zu erkennen, müssen unterschiedlich viele Kinder in den nächsten Jahren medizinisch weiter begleitet werden:

  • 20,9% beim ausschließlichen HLA-DR-DQ-Screening,

  • 14,3% beim T1D GRS1,

  • 9,5% beim T1D GRS2.

Bekanntlich bedeutet ein genetisches Risiko nicht, dass sich die Stoffwechselerkrankung auch manifestiert. Doch durch weniger Folgeuntersuchungen führe ihr neuer Test gesundheitsökonomisch zu deutlichen Einsparungen, vermuten die Autoren.

Anwendung in Klinik und Forschung

„Dies macht die Vorhersage von Typ-1-Diabetes bei allen Kindern im öffentlichen Gesundheitswesen vielleicht erschwinglicher“, hofft Coautor Dr. William Hagopian vom Pacific Northwest Research Institute, University of Washington, Seattle in einer Meldung.

 
Dies macht die Vorhersage von Typ-1-Diabetes bei allen Kindern im öffentlichen Gesundheitswesen vielleicht erschwinglicher. Dr. William Hagopian
 

„Eltern (von identifizierten Risikokindern) können gewarnt werden, auf frühe Symptome zu achten, um Krankenhausaufenthalte wegen lebensbedrohlicher Komplikationen zu vermeiden. Und Kinder mit dem größten zukünftigen Risiko können einen leichteren Zugang zu Forschungsstudien erhalten“, so Hagopian.
 

Kommentar

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