Experten empfehlen kurzfristige duale Plättchenhemmung bei „Mini-Schlaganfall“: Stärkerer Effekt als bei Monotherapie – Leitlinien-Update soll folgen

Michael van den Heuvel

Interessenkonflikte

25. Januar 2019

Patienten sollten nach einer transitorischen ischämischen Attacke (TIA) oder nach einem leichten ischämischen Schlaganfall Acetylsalicylsäure (ASS) plus Clopidrogrel für 12 bis 21 Tage erhalten. Das empfiehlt ein internationales Forscherteam im BMJ  [1]. Auch die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) und die Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft (DSG) raten laut einer Pressemitteilung zur dualen Plättchenhemmung.

„Die Empfehlung beruht auf 2 methodisch hochwertigen Studien, nämlich der CHANCE-Studie in China und der POINT-Studie in Nordamerika und Europa“, sagt Prof. Dr. Hans-Christoph Diener zu Medscape. Er ist Seniorprofessor für Klinische Neurowissenschaften, Universität Duisburg-Essen, Pressesprecher der DGN und Neurologie-Blogger bei Medscape

Bezüglich der POINT-Studie verweist Diener auf die Neutralität der Arbeit in Form einer öffentlichen Finanzierung durch die amerikanischen National Institutes of Health (NIH). „Schwierigkeiten gab es bei der Rekrutierung“, berichtet der Experte. „Deswegen wurde die Studie auf Europa, inklusive Deutschland, ausgedehnt.“ Zur Bewertung der Ergebnisse verweist er auf den Artikel im BMJ: „Der Nutzen einer dualen Thrombozyten-Aggregationshemmung ist eindeutig höher einzuschätzen als das Blutungsrisiko.“

Das Prinzip, 2 Substanzen zu verabreichen, sei ursprünglich aus der Kardiologie gekommen. Auch beim akuten Koronarsyndrom habe sich die duale Hemmung im Vergleich zur ASS-Monotherapie als wirksamer erwiesen. „In der Neurologie haben anders als in der Kardiologie Langzeitstudien keinen Nutzen gezeigt“, so Diener. „Neu ist, dass die Strategie bei der frühen Sekundärprävention und zeitlich begrenzt für 12 bis 21 Tage für Patienten einen Mehrwert bringt.“

 
Neu ist, dass die Strategie bei der frühen Sekundärprävention und zeitlich begrenzt für 12 bis 21 Tage für Patienten einen Mehrwert bringt. Prof. Dr. Hans-Christoph Diener
 

Mittelfristig nehme jedoch das Blutungsrisiko zu und der Nutzen ab. „Deshalb macht es sicher keinen Sinn, Kombinationstherapien jenseits des 21. Tages nach dem Ereignis zu verwenden“, so Diener.

2 randomisierte klinische Studien zeigen den Benefit der dualen Plättchenhemmung

Zum Hintergrund: In der klinischen Praxis erhielten Patienten nach einer transitorischen ischämischen Attacke oder nach einem leichten ischämischen Schlaganfall bislang Thrombozyten-Aggregationshemmer als Monotherapie. „Die Vorbeugung ist daher gerade bei diesen Patienten, die vermeintlich gut weggekommen sind, von besonders großer Bedeutung“, so Diener. Meist greifen Ärzte zu ASS.

Dr. Kameshwar Prasad vom Department of Neurology, All India Institute of Medical Sciences Neu-Delhi und seine Kollegen revidieren die bekannte Wahl von Arzneistoffen aufgrund neuer Daten. Basis ihrer „Rapid Recommendations“ im BMJ sind 2 randomisierte klinische Studien im New England Journal of Medicine, die 2018 und 2013 erschienen sind.

POINT

Dr. S. Claiborne Johnston von der Dell Medical School der University of Texas in Austin und seine Kollegen analysierten in der POINT-Studie Daten von 4.881 Patienten. Einschlusskriterien waren transitorische ischämischen Attacken oder leichte ischämische Schlaganfälle.

  • Eine Gruppe erhielt initial 600 mg Clopidogrel als „loading dose“, gefolgt von 75 mg pro Tag plus 50 bis 325 mg ASS pro Tag.

  • In der Vergleichsgruppe wurden 50 bis 325 mg ASS pro Tag plus Placebo verabreicht.

Welche ASS-Dosis Patienten bekamen, bestimmten Ärzte im jeweiligen Krankenhaus. Die Untersuchungen fanden an 269 Standorten statt.

Nach Aufnahme von 84% aller vorgesehenen Patienten zeichnete sich bereits ein klarer Vorteil für die Kombinationstherapie ab, so dass die Autoren auf weitere Rekrutierungen verzichteten.

Nach 90 Tagen traten schwere ischämische Ereignisse bei 121 von 2.432 Patienten (5,0%) auf, die Clopidogrel plus ASS erhielten. In der Gruppe mit ASS plus Placebo waren es 160 von 2.449 Patienten (6,5%). Als Hazard Ratio geben die Autoren 0,75 an.

Bei 23 Patienten (0,9%), die Clopidogrel plus ASS erhielten, trat eine schwere Blutung auf, verglichen mit 10 Patienten (0,4%) im ASS-Placebo-Arm. Hier lag das HR bei 2,32. Alle Unterschiede waren statistisch signifikant.

 
Die unterschiedlichen Wirkmechanismen scheinen sich zu addieren. Prof. Dr. Hans-Christoph Diener
 

„Bei Patienten mit leichtem ischämischem Schlaganfall oder TIA mit hohem Risiko hatten diejenigen, die eine Kombination aus Clopidogrel und ASS erhielten, ein geringeres Risiko für schwere ischämische Ereignisse, aber nach 90 Tagen ein höheres Risiko für eine schwere Blutung als diejenigen, die nur ASS erhielten“, fassen die Autoren in ihrer Veröffentlichung zusammen.

Kombinierte Einnahme verhindert mehr Folge-Schlaganfälle

„Die unterschiedlichen Wirkmechanismen scheinen sich zu addieren“, erklärt Diener. Mit 25% sei die relative Risikoreduktion unter der Kombinationstherapie signifikant gewesen.

Prof. Dr. Armin Grau, 1. Vorsitzender der DSG und Direktor der Neurologischen Klinik am Klinikum Ludwigshafen, ergänzt: „Im Klartext heißt das, dass durch die kombinierte Einnahme von ASS und Clopidrogrel deutlich mehr Folge-Schlaganfälle verhindert werden können, und zwar bei vertretbaren Risiken wie einem leicht erhöhten Blutungsrisiko.“ 

 
Durch die kombinierte Einnahme von ASS und Clopidrogrel können deutlich mehr Folge-Schlaganfälle verhindert werden, und zwar bei vertretbaren Risiken wie einem leicht erhöhten Blutungsrisiko. Prof. Dr. Armin Grau
 

Bereits 2013 zeigte die CHANCE-Studie Vorteile der dualen Plättchenhemmung, wie Medscape berichtet hat. Damals kritisierte Diener, dass sich Resultate von chinesischen Patienten kaum auf Europäer übertragen ließen. Die POINT-Studie habe jetzt für Klarheit gesorgt.

Ergänzung der Leitlinie zu erwarten

Die Empfehlung von Prasad und seinen Kollegen wird auch in Kürze Eingang in der Leitlinie „Sekundärprävention des Schlaganfalls“ der DGN finden. „Wir haben das Prinzip, bei neuen Studien, die klinische Standards verändern, Leitlinien zeitnah zu ergänzen“, sagt Diener. Man könne nicht kurzfristig die komplette S3-Leitlinie „Sekundärprophylaxe ischämischer Schlaganfall und transitorische ischämische Attacke“ überarbeiten. Vielmehr spreche die Leitlinienkommission eine Empfehlung zum Thema aus; dies werde als Kasten im Dokument ergänzt. „Bis dahin schließen wir uns der BMJ-Praxisempfehlung an.“

 

Kommentar

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