Um Folgen von Opioid-Intoxikationen einzudämmen, hat das US Department of Health & Human Services (HHS) neue Empfehlungen veröffentlicht [1 2]. Experten fordern Ärzte auf, den Opioid-Antagonisten Naloxon als Antidot stärker als bislang verfügbar zu machen. Als Zielgruppe nennen sie Patienten mit Abusus-Risiko, mit Beigebrauch illegaler Substanzen oder mit Atemwegserkrankungen.
„In den USA werden Opioide wie Oxycodon oder andere nicht retardierte Opiate nach Eingriffen auch in schnell verfügbarer Form verordnet, um Patienten wieder arbeitsfähig zu machen“, sagt Dr. Thomas Cegla zu Medscape. Er ist Vizepräsident der Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS) und Leiter des Regionalen Schmerzzentrums DGS Wuppertal.
„Naloxon ist eine Substanz, die im Notfall Leben retten kann.“ Die Strategie löse aber keine grundsätzlichen Probleme. „Das Antidot muss nicht nur verfügbar sein, sondern von Angehörigen auch richtig eingesetzt werden“, so Cegla weiter. „Die Empfehlungen sind gut gemeint, bringen möglicherweise aber eine falsche Sicherheit für Patienten. Ich glaube nicht, dass sich die Todesraten in Zusammenhang mit Opioid-Intoxikationen dadurch deutlich verringern werden.
Zur Situation in Deutschland erklärt Cegla: „Bei uns kommen zur Analgesie eher retardierte Opioide zum Einsatz, die kaum euphorisierend wirken, und das nur zeitlich befristet.“ Deshalb sei das Missbrauchspotenzial auch geringer. Es sei nicht erforderlich, Patienten mit Naloxon zu versorgen. Kurzwirksame Opioide kämen vor allem im Palliativbereich zum Einsatz.
Pharmakologische Antwort auf die Opioid-Epidemie
Zum Hintergrund: In 2017 sind laut Angaben der Centers for Disease Control and Prevention (CDC) 70.237 US-Amerikaner aufgrund zu hoch dosierter Arzneistoffe gestorben. Bei 47.600 Personen stand der Tod mit Opioiden in Verbindung. Schätzungsweise 11,1 Millionen Patienten nehmen Opioide nicht sachgerecht ein und weitere 900.000 konsumieren Heroin.
„Angesichts des Ausmaßes der Opioid-Krise ist es von entscheidender Bedeutung, dass Gesundheitsdienstleister und Patienten die Risiken von Opioiden diskutieren und darüber sprechen, wie Naloxon bei einer Überdosis eingesetzt werden sollte“, sagt Dr. Brett P. Giroir vom HHS.
„Wir haben erste ermutigende Anzeichen als Reaktion auf die Opioid-Krise gesehen, aber wir wissen, dass mehr Arbeit erforderlich ist, um die jahrzehntelange Epidemie vollständig umzukehren. Die gleichzeitige Verschreibung von Naloxon, wenn davon auszugehen ist, dass ein Patient ein hohes Risiko für eine Überdosierung hat, ist ein wesentliches Element unserer nationalen Bemühungen, die Zahl der Todesfälle durch Überdosierung zu reduzieren, und sollte weit verbreitet sein.“ Giroir und seine Kollegen haben jetzt frühere Empfehlungen für Ärzte aktualisiert.
Alle US-Ratschläge im Überblick
Um das Risiko einer Opioid-Intoxikation zu vermeiden, rät das HHS, Naloxon bekannten Risikogruppen besser als bislang verfügbar zu machen. Dazu gehören unter bestimmten Voraussetzungen Patienten mit Opioid-Verordnung, wenn:
sie 50 oder mehr Morphin-Äquivalente oder mehr pro Tag einnehmen (eine App erleichtert Ärzten die Umrechnung),
unabhängig von der Opioid-Dosis an Atemwegserkrankungen wie einer chronisch- obstruktiven Lungenerkrankung oder einer obstruktiven Schlafapnoe leiden,
unabhängig von der Opioid-Dosis Benzodiazepine einnehmen
bzw. bekannte Abhängigkeiten von Arzneistoffen oder eine Alkoholabhängigkeit haben.
Nach Angaben der CDC käme es bei Patienten, die pro Tag mehr als 50 Morphin-Äquivalente erhielten, doppelt so häufig zu Überdosierungen als bei Patienten mit 20 Morphin-Äquivalenten pro Tag. Mit steigender Dosierung erhöhe sich das Risiko weiter.
Der Leitfaden definiert Personen mit einem hohen Risiko, Opioide überzudosieren:
Patienten, die Heroin oder andere illegale Betäubungsmittel konsumieren,
Patienten, die Amphetamin-Derivate oder Kokain konsumieren,
Patienten, die bereits eine Substitutionstherapie mit Methadon, Polamidon, Buprenorphin oder Naltrexon erhalten,
Patienten mit Opioid-Verordnungen in der Vorgeschichte, etwa aufgrund von Krebs oder muskuloskelettalen Erkrankungen.
Naloxon wirkt einer lebensbedrohlichen Atemdepression als Folge einer Opioid-Überdosierung entgegen. „Die Verordnung von Naloxon für Risikopatienten und für Patienten, die Opioide gegen Schmerzen einnehmen, hat das Potenzial, Leben zu retten“, schreibt die HHS.
Mittlerweile ist eine Vielzahl an galenischen Formen wie Nasensprays, Autoinjektoren oder Fertigspritzen verfügbar. Die meisten US-Krankenversicherungen einschließlich Medicaid und Medicare erstatten mindestens eines dieser Präparate. Es gibt auch mehrere Programme auf staatlicher oder lokaler Ebene, um Naloxon-Präparate kostenlos bzw. günstiger an Risikogruppen zu verteilen.
Direkte Kommunikation mit Patienten
Das HHS wendet sich im Dokument nicht nur an Ärzte, sondern auch direkt an Patienten: „Verschreibungspflichtige Opioide haben zur Behandlung bestimmter Arten von Schmerzen ihre Berechtigung, können aber auch zu körperlicher Abhängigkeit, Sucht, Überdosierung und Tod führen“, schreiben HHS-Experten. „Es ist wichtig, dass Patienten ihre Risikofaktoren, die Art und Dauer ihrer Opioid-Verordnung verstehen und wissen, wie sie ihr Risiko minimieren, indem sie Naloxon haben und wissen, wie man es verwendet.“ Ein erster Schritt sei, mit den behandelnden Ärzten zu sprechen, ob es Sinn mache, immer Naloxon griffbereit zu haben.
Medscape Nachrichten © 2019 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Opioid-Epidemie in den USA: Experten empfehlen, Naloxon griffbereit zu haben – und bei uns? - Medscape - 18. Jan 2019.
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