Angesichts schrumpfender westlicher Märkte hat unter anderem Coca-Cola seine Unternehmensstrategie stark auf China ausgerichtet. Der Konzern beeinflusse die Adipositas-Forschung und die öffentliche Gesundheitspolitik in China, schreiben nun Prof. Dr. Susan Greenhalgh von der Abteilung für Anthropologie der Harvard Universität Cambridge, USA, und ihre Kollegen im British Medical Journal[1].
Sie berichten von einem komplexen Geflecht an institutionellen, an finanziellen und persönlichen Verbindungen zwischen dem Softdrink-Giganten und Gesundheitspolitikern bzw. Forschern vor Ort.
Umfangreiche Verflechtungen zwischen Public Health und der Industrie
Greenhalgh führte Interviews mit in Peking ansässigen Forschern, um mögliche Ursachen der chinesischen Adipositas-Epidemie zu verstehen. Im Jahr 2011 waren 42,3% der dortigen Erwachsenen übergewichtig oder adipös, verglichen mit 20,5% im Jahr 1991.
Greenhalghs Projekt führte sie zum International Life Sciences Institute (ILSI), das vor 40 Jahren vom Coca-Cola-Konzern gegründet worden ist. Dessen chinesische Niederlassung befindet sich direkt im Chinese Centre for Disease Control and Prevention (China CDC), einer Institution des Gesundheitsministeriums.
Kritiker sehen im ILSI ein reines Instrument der Lebensmittelindustrie, um Einfluss zu nehmen. Chinesische Politiker sprechen jedoch von einem – wie Greenhalgh schreibt – „Brückenbauer zwischen Regierung, Wissenschaft und Industrie“, der aktuelle wissenschaftlichen Informationen für Entscheider zu Themen rund um die Ernährung, die Lebensmittelsicherheit, die Prävention und die Kontrolle chronischer Krankheiten bereitstelle. Die Einrichtung wird von Branchengiganten wie Coca-Cola, Nestlé, McDonalds und Pepsi finanziert.
Empfehlungen ändern sich zu Gunsten von Coca-Cola
Im Zuge ihrer Recherche fanden Greenhalgh und ihre Kollegen heraus, wie sich die Adipositas-Schwerpunkte bei ILSI-China zwischen 1999 und 2015 verändert haben. Standen anfangs Empfehlungen zur Ernährung im Fokus, waren es zuletzt vor allem Tipps, sich mehr zu bewegen.
Dies stehe im Einklang mit der Marketingstrategie von Coca-Cola, nach der ein aktiver Lebensstil der Schlüssel zur Bekämpfung von Adipositas ist. Das Unternehmen habe sich „geschickt in eine Position der Macht hinter den Kulissen manövriert, die sicherstellt, dass Maßnahmen zur Bekämpfung der wachsenden Adipositas-Epidemie ihre Interessen nicht untergraben“, so Greenhalgh.
Darüber hinaus seien die von ILSI-China gesponserten oder mitfinanzierten Adipositas-Tagungen „vollgepackt mit Präsentationen von Experten mit finanziellen Verbindungen zu Coca-Cola“ gewesen. Auch hier nennt sie als roten Faden Studien zur körperlichen Aktivität, jedoch nicht zur Ernährung.
Obwohl mögliche Verstrickungen zwischen dem ILSI und der Gesundheitspolitik Chinas nicht messbar seien, zeige sich, dass beide Positionen beim Thema Adipositas deckungsgleich seien, schreiben die Autoren. Von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfohlene Ernährungsleitlinien würden nicht kommuniziert. Auch sonstige Maßnahmen wie Werbeverbote mit Kindern als Zielgruppe oder „Zuckersteuern“ suche man vergebens. Und nationale Pläne zur Adipositas-Prävention fokussierten sich auf mehr Bewegung, nicht aber auf Kalorienrestriktionen. Dies steht Greenhalgh zufolge in Einklang mit Coca-Colas Marketing-Strategie.
„Indem das Unternehmen seine massiven Ressourcen hinter nur eine Seite der Wissenschaft stellt und keine anderen Akteure finanziell ausreichend ausgestattet sind, um für ausgewogenere Lösungen zu sorgen, hat Coca-Cola in China das Sagen“, argumentiert Greenhalgh. Und da das Land inzwischen der drittgrößte Markt für Cola-Getränke ist, warnt sie, dass sich „Größe und Folgen der Adipositas-Epidemie wahrscheinlich weiter verschärfen“.
Nicht bei allen scheint die Botschaft angekommen
„Wir wissen heute, dass Unternehmen sich in großem Umfang Institutionen wie dem ILSI bedienen, um ihre Sichtweise darzustellen, während sie Themen, insbesondere solche, die ihren Interessen schaden, von der Tagesordnung streichen“, schreiben dazu Prof. Dr. Martin McKee und Kollegen in einem Editorial [2]. McKee forscht an der Abteilung für Public Health and Policy der London School of Hygiene and Tropical Medicine. „Es gibt jedoch Anzeichen dafür, dass sich die Einstellungen ändern.“
Nach einer Reihe kritischer Berichte der New York Times im Jahr 2015 zog sich Coca-Cola von seiner aggressiven Förderung der Wissenschaft in China zwar zurück. Aber sein Einfluss ist in China weiterhin spürbar, da die ILSI-Struktur bestehen blieb und viele Programme zur Adipositas-Prävention umgesetzt worden sind.
Auch der US-amerikanische Nahrungsmittelkonzern Mars Inc. wandte sich vom ILSI ab und stellte reumütig fest, viele Studien seien „zu Recht kritisiert worden“. Mehrere Universitäten bzw. Verbände des öffentlichen Gesundheitswesens gaben außerdem bekannt, keine Mittel von der von Philip Morris gestifteten „Foundation for a Smoke Free World“ mehr anzunehmen.
Und die US National Institutes of Health (NIH) stoppten ihr von der Alkoholindustrie bezuschusstes Studienprojekt zu mäßigem Alkoholkonsum (wie Medscape berichtete). Gleichzeitig veröffentlichten sie neue Richtlinien zur Kollaboration. „Doch wie die kürzlich heftig kritisierte Entscheidung von Public Health England, mit der von der Alkoholindustrie finanzierten Wohltätigkeitsorganisation ‚Drinkaware‘ zusammenzuarbeiten, zeigt, ist diese Botschaft nicht bei allen angekommen“, so McKee.
Medscape Nachrichten © 2019 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Britische Forscherin enthüllt, wie es Coca-Cola gelungen ist, die Adipositas-Prävention in China zu „unterwandern“ - Medscape - 16. Jan 2019.
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