Präventionsbericht: 500 Millionen Euro für die Vorbeugung – aber wo sind die Belege für die Wirkung?

Christian Beneker

Interessenkonflikte

15. Januar 2019

Der kürzlich veröffentlichte Präventionsbericht der Krankenkassen für das Jahr 2017 sagt nach Ansicht von Experten wenig darüber aus, was die Prävention von Krankheiten in Deutschland tatsächlich bringt [1]. „Was wir dort lesen, sind Prozesszahlen“, erklärt der Präventionsforscher, Prof. Dr. Hajo Zeeb vom Leibnitz-institut für Präventionsforschung und Epidemiologie in Bremen. „Aber was wurde durch die Prävention erreicht? Was bedeuten die Zahlen inhaltlich? Das erfahren wir aus dem Bericht nicht.“

Laut Präventionsgesetz von 2015 müssen der GKV-Spitzenverband und sein Medizinischer Dienst (MDS) einmal im Jahr einen Präventionsbericht vorlegen.

7,18 Euro für jeden Versicherten

Nach dem aktuellen Bericht finanzierten die Krankenkassen im Berichtsjahr Präventionsangebote in den Lebenswelten von insgesamt 4,5 Millionen Menschen und 40.000 Lebenswelt-Settings – zum Beispiel in Schulen, Kindertagesstätten oder Ortsteilen, so der Bericht. Das sind 36% mehr Menschen als 2016 und 12% mehr Settings als im Vorjahreszeitraum.

 
Was wurde durch die Prävention erreicht? Was bedeuten die Zahlen inhaltlich? Das erfahren wir aus dem Bericht nicht. Prof. Dr. Hajo Zeeb
 

Ausgerechnet in Krankenhäusern zählten die Autoren des Berichts deutschlandweit nur ganze 81 Settings. Die meisten Lebenswelt-Angebote bezogen sich auf mehr Bewegung (zum Beispiel in den Schulpausen) und gesündere Ernährung (etwa durch Kochkurse) gefolgt von der „Stärkung psychischer Ressourcen“ und der Stressreduktion (zum Beispiel durch das Einüben besserer Kommunikation).

Am unteren Ende der Skala finden sich die Alkohol- und Tabakprävention sowie die Verkehrssicherheit. Für die Angebote in den Lebenswelten wurden 153 Millionen Euro ausgegeben, das sind 2,12 Euro je Versicherten und damit 7 Cent mehr als gesetzlich vorgegeben.

Auch in der betrieblichen Prävention seien Fortschritte erzielt worden: In rund 18.000 Betrieben nutzten 1,9 Millionen Beschäftigte die Präventionsangebote. Gegenüber 2016 bieten 35% mehr Betriebe diese Angebote, die von 29% mehr Beschäftigten in Anspruch genommen werden, so der Bericht. „Die Ausgaben für diesen Präventionsbereich beliefen sich auf 158 Mio. Euro; d.h. 2,19 Euro je Versicherten (gesetzliche Vorgabe: 2,05 Euro)“, heißt es in dem Bericht.

Die individuelle, verhaltensbezogene Prävention, zum Beispiel Kurse zur Stressbewältigung oder Nichtraucherkurse, hat im Jahr 2017 gegenüber dem Vorjahr nicht zugenommen. Die Ausgaben für diesen Präventionsbereich beliefen sich auf 158 Millionen Euro und damit auf 2,19 Euro je Versicherten. Die gesetzliche Vorgabe lag bei 2,05 Euro.

Die Gesamtkosten der 3 Ausgabenblöcke betrugen 520 Millionen Euro und damit 7,18 Euro pro Versicherten. 7,17 Euro waren gefordert.

Erstmals erfasst der Bericht auch die Prävention in Pflegeeinrichtungen. Sie kostete 8,51 Millionen Euro. Hier wurde zum Beispiel Gewaltprävention angeboten, außerdem Bewegungskurse und Angebote zur psychosozialen Gesundheit. Allerdings blieben die Ausgaben von 12 Cent pro Kopf hinter den gesetzlichen Anforderungen von 31 Cent zurück.

„Wurde die Gesundheit verbessert?“

Zeeb kritisiert den Bericht: Mehr als 500 Millionen Euro pro Jahr sei eine Menge Geld. Letztendlich sei es aber nur so viel, wie das Gesundheitssystem an einem halben Tag ausgebe, betont er. Was das Geld bewirke, erfahre man auch nicht genau.

 
Der Knackpunkt ist doch: Erfahren wir etwas darüber, ob die Präventionsangebote die Gesundheit verbessert haben? Prof. Dr. Hajo Zeeb
 

„Der Knackpunkt ist doch: Erfahren wir etwas darüber, ob die Präventionsangebote die Gesundheit verbessert haben? Und wir müssen sagen: Aus dem Präventionsbericht erfahren wir es nicht“, sagt Zeeb. Auch wenn die Teilnehmer sich über die Kurse zufrieden äußerten, sage dies nichts aus über ihre Gesundheit.

Außerdem entscheide sich der Nutzen von Prävention erfahrungsgemäß erst auf die Dauer, etwa bei Kursen zur Reduktion von Körpergewicht, Stress oder Tabakkonsum. Zahlen eines einzigen Jahres seien da kaum von Bedeutung. „Die Maßnahmen müssten vor Ort und kommunal weitergeführt werden, und vor allem muss ihre Wirkung nachgewiesen werden“, so Zeeb. „Das ist die eigentliche Anforderung.“

 
Die Maßnahmen müssten vor Ort und kommunal weitergeführt werden, und vor allem muss ihre Wirkung nachgewiesen werden. Prof. Dr. Hajo Zeeb
 

Er schlägt ein mehrstufiges System vor: Einzelne Maßnahmen sollten mittels Vorher-Nachher-Daten genau evaluiert werden, um dann auch für andere Settings Erkenntnisse abzuleiten. Zudem stelle sich die Frage, ob die Prävention bei den Krankenkassen allein in den richtigen Händen sei. In Skandinavien oder England werde Prävention aus staatlichen Fonds bezahlt.

Zwar hinke auch dort die Evaluation der Maßnahmen hinterher, erklärt der Bremer Forscher. Aber immerhin werde die Prävention stärker als staatliche Aufgabe gesehen – und das zahle sich zum Beispiel in Hinblick auf die Zuckersteuer in England oder Mexiko aus. „In diesen Ländern wird aufgrund der Steuer wirklich weniger Zucker konsumiert, das kann man nachweisen“, sagt Zeeb. „So könnte der Gesetzgeber auch in Deutschland viel mehr für die Prävention tun.“

Prof. Dr. Ulla Walter, Direktorin des Instituts für Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH), ist in dieser Hinsicht wenig optimistisch. „Anders als zum Beispiel die Gerätemedizin hat die Prävention leider keine Lobby“, bedauert die Forscherin. „So wissen wir zum Beispiel, dass die Verhältnisprävention, etwa Rauchverbote oder Werbeeinschränkungen, der Prävention förderlich sind. Aber trotzdem hinkt Deutschland da hinterher.“

 
Anders als zum Beispiel die Gerätemedizin hat die Prävention leider keine Lobby. Prof. Dr. Ulla Walter
 

Tatsächlich konnte sich Deutschland nicht zu einer Zuckersteuer durchringen. Stattdessen hat Bundesernährungsministerin Julia Klöckner (CDU) mit der Lebensmittelwirtschaft jüngst vereinbart, dass die Hersteller von Limonaden, Frühstücksflocken oder Joghurts bis zum Jahr 2025 zwischen 10% und 20% weniger Zucker in ihre Produkte mischen. Außerdem sollen Bäcker und Hersteller von Fertigpizzen ihre Produkte weniger salzen.

Das Wort des Hausarztes hat Gewicht

Ungeachtet der fehlenden Zuckersteuer könnten die Hausärzte vor Ort eine Menge für die Krankheitsprävention ihrer Patienten tun, meint Walter. „Der Hausarzt hat immer noch einen guten Einfluss, seine Ratschläge haben Gewicht“, sagt sie. Neben der Aufklärung zum Thema Prävention, etwa bei Gesundheitsuntersuchungen, stehe ihm auch das „Rezept für Bewegung“ zur Verfügung – eine Initiative der Bundesärztekammer, der Deutschen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention (DGSP) und des Deutschen Olympischen Sportbunds (DOSB).

 
Der Hausarzt hat immer noch einen guten Einfluss, seine Ratschläge haben Gewicht. Prof. Dr. Ulla Walter
 

Der Arzt empfiehlt mit dem Rezept bestimmte Sportangebote in der Region. Sie sind unter http://sportprogesundheit.dosb.de zu finden. Allerdings: Eine Abrechnungsmöglichkeit besteht hier nicht, auch nicht für Präventionsgespräche in der Praxis. Walter sieht hier Veränderungsbedarf.

 

Kommentar

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