Lokalisiertes Prostata-Ca: Für wen sich die Prostatektomie letztendlich auszahlt

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

15. Januar 2019

Männer mit einem lokalisierten Prostatakarzinom (PCa) und einer langen Lebenserwartung profitieren von einer radikalen Prostatektomie. Verglichen mit Patienten, die sich für Watchful Waiting entscheiden, leben die operierten Patienten im Durchschnitt 2,9 Jahre länger. Allerdings: Der Überlebensvorteil ist begrenzt und zeigt sich erst nach mehr als 20 Jahren.

Dies hat die Auswertung des Nachbeobachtung der SPCG-4-Studie (Scandinavian Prostate Cancer Group Study Number 4) ergeben. Die Ergebnisse haben Prof. Dr. Anna Bill-Axelson von der Universität Uppsala, Schweden, und ihre Kollegen jetzt im New England Journal of Medicine publiziert [1].

„Die lange Nachbeobachtungszeit von 29 Jahren macht diese Studie außergewöhnlich. Sie belegt nun eindeutig, dass die radikale Prostatektomie gegenüber Watchful Waiting einen klaren Überlebensvorteil hat. Diese bislang ja immer wieder in Zweifel gezogene Tatsache ist nun eindeutig nachgewiesen“, kommentiert Prof. Dr. Oliver Hakenberg, Direktor der Urologie an der Universität Rostock, die Studienergebnisse.

 
Die lange Nachbeobachtungszeit von 29 Jahren … belegt nun eindeutig, dass die radikale Prostatektomie gegenüber Watchful Waiting einen klaren Überlebensvorteil hat.  Prof. Dr. Oliver Hakenberg
 

Ein Langzeitüberlebensvorteil von 2,9 Jahren bei langer Nachbeobachtungszeit entspreche dem langen Verlauf eines Prostatakarzinoms und sei „auf jeden Fall bedeutsam“, so der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU).

Hakenberg macht auch darauf aufmerksam, dass die operierten Patienten nach 23 Jahren weniger Metastasen aufwiesen: 26,6% in der Prostatektomie-Gruppe versus 43,3% in der Watchful Waiting-Gruppe – was einem Unterschied von 16,7% entspricht. „Zweifellos stellt die Studie einen sehr wichtigen Beitrag dar“, fügt er hinzu.

Die SPCG-4-Studie im Einzelnen

In der SPCG-4-Studie waren 695 Männer mit einem lokalen Prostatakarzinom zwischen Oktober 1989 und Februar 1999 auf eine radikale Prostatektomie oder auf Watchful Waiting als Strategie randomisiert worden. Eingeschlossen waren Männer, die jünger als 75 Jahre waren, eine Lebenserwartung von mehr als 10 Jahren und keine andere die Lebenserwartung verkürzende Krebserkrankung hatten – und deren PSA-Spiegel unter 50 ng/ml lagen.

Die Prostatakarzinome mussten (nach WHO-Klassifikation und basierend auf Kernbiopsie oder Feinnadelaspiration) sehr hoch bis mäßig stark differenziert und der Knochenscan musste negativ sein. An der Studie beteiligt waren 14 Zentren in der Schweiz, Schweden, Finnland und Island. Die Daten wurden bis zum 31. Dezember 2017 gesammelt.

 
Zweifellos stellt die Studie einen sehr wichtigen Beitrag dar. Prof. Dr. Oliver Hakenberg
 

Im untersuchten Zeitraum starben insgesamt 261 der 347 operierten Männer und 292 der 348 Männer in der Watchful-Waiting-Gruppe. 71 Todesfälle in der Prostatektomie-Gruppe und 110 in der Watchful-Waiting-Gruppe waren auf das Prostatakarzinom zurückzuführen. Damit ermittelten die Forscher ein statistisch signifikantes relatives Risiko für einen Tod durch den Prostatakrebs von 0,55 (95%-Konfidenzintervall: 0,41 bis 0,74; p < 0,001) für die Operierten.

Die absolute Risiko-Differenz betrug 11,7%, die Number Needed to Treat (NNT) 8,4. 23 Jahre nach Studienbeginn betrug die durch die OP zusätzlich erreichte Lebenszeit 2,9 Jahre.

OP nicht für alle Prostatakarzinom-Patienten die beste Option

„Eine frühzeitige radikale Prostatektomie kann vor dem Tod durch das Prostatakarzinom schützen, denn die durchschnittliche Lebenserwartung wurde durch die Operation um 2 Jahre und 9 Monate Jahre verlängert“, so das Fazit der Studienautoren. Allerdings mussten die operierten Männer dafür auch im Schnitt 23 Jahre mit den negativen Folgen der radikalen Prostatektomie leben. Daher sei die Prostatektomie sicher nicht für alle Patienten die beste Option, betonen sie.

Laut Bill-Axelson profitieren von einem Eingriff am ehesten diejenigen Patienten, bei denen das Karzinom vor dem 65. Lebensjahr diagnostiziert wird. Denn in dieser Altersgruppe starben in der Watchful-Waiting-Gruppe 37,9% im Vergleich zu 22,8% der Operierten. Die absolute Differenz betrug 15,1%, die NNT lag bei 6,6.

„Die Studie zeigt, dass Männer mit lokalisiertem Prostatakarzinom von der Operation stark profitieren können“, so Linda Koffmar, Sprecherin der Universität Uppsala, in einer Pressemitteilung der Universität Uppsala. Die Ergebnisse belegten aber auch, dass viele Männer trotz ihrer Prostatakarzinom-Diagnose kein schweres Rezidiv erlitten und nicht am Prostatakarzinom starben.

„Für eine optimale Behandlung ist es deshalb entscheidend, die richtige Balance zwischen dem Nutzen einer Prostatektomie und ihren Nebenwirkungen zu finden“, so Koffmar. Durch den PSA-Test werde heute bei vielen Männern ein Prostatakarzinom erkannt, das kaum fortschreite oder gar lebensbedrohlich sei. Im Vergleich zu den 90er Jahren sollten deshalb mehr Männer mit Prostatakarzinom-Diagnose aktiv verfolgt und nur dann behandelt werden, wenn Anzeichen für eine Progression vorlägen, heißt es in der Mitteilung.

Die Auswertung zeigt auch Risikofaktoren auf. So war die extrakapsuläre Ausbreitung des Tumors mit einem 5-fach höheren Risiko für einen frühzeitigen Tod verbunden. Und ein Gleason-Score von mehr als 7 verzehnfachte das Risiko für einen frühzeitigen Tod im Vergleich zu Patienten mit einem niedrigeren Score.

Bei älteren Männern Nutzen und Schaden der Operation genau abwägen

Dr. Karim Fizazi vom Institut Gustave Roussy in Villejuif, Frankreich, betonte gegenüber Medscape Medical News : „Die Studie ist wichtig, sie konzentrierte sich auf Patienten mit klinisch erkanntem lokalem Prostatakrebs und sie zeigt deutlich, dass diese Patienten von der lokalen Therapie profitieren“, sagte er.

Wie Fizazi erklärt, sind die Studiendaten für Patienten, die jünger als 65 Jahre sind, eindeutig und zeigen den Vorteil einer Prostatektomie. „Für ältere Männer ist der Nutzen der Prostatektomie hingegen geringer. Ihr Einsatz muss unter Berücksichtigung des potenziellen Nutzens gegenüber potenziellen Schäden diskutiert werden, indem das absolute Alter, die Komorbiditäten und die Frage, ob der Krebs aggressiv ist oder nicht, bewertet werden“, sagt er. Allerdings: „Die in der Studie berichteten Daten gelten nicht für Männer, deren Krebs aufgrund eines PSA-Screenings oder eines MRTs nachgewiesen wurde und die asymptomatisch waren.“

 
Die in der Studie berichteten Daten gelten nicht für Männer, deren Krebs aufgrund eines PSA-Screenings oder eines MRTs nachgewiesen wurde und die asymptomatisch waren. Dr. Karim Fizazi
 

Denn inzwischen habe sich einiges verändert, erinnert Bill-Axelson: „Die heute angewandten Diagnoseverfahren unterscheiden sich drastisch von denen, die während der Zeit der Einschreibung in die Studie verwendet wurden. Als Ergebnis der heute weit verbreiteten PSA-Tests haben die meisten Männer nicht tastbare, durch den PSA-Test entdeckte Tumore, während in unserer Studie die Mehrheit der Männer klinisch erkannte, fühlbare Tumore hatte.“

Die Tatsache, dass 70% der eingeschlossenen Patienten nicht an Prostatakrebs gestorben seien, mache viele davon zu Kandidaten für eine aktive Überwachung, sagt sie.

Dr. Anthony V. D'Amico vom Dana-Farber Cancer Institute, Boston, Massachusetts, erinnert gegenüber Medscape Medical News daran, dass zu der Zeit, in der die Studie durchgeführt wurde, die meisten eingeschlossenen Männer als Patienten mit intermediärem Risiko eingestuft worden waren. Inzwischen habe die multiparametrische MRT die Diagnostik erweitert.

„Deshalb sollte vor einer Entscheidung für aktive Überwachung oder Watchful Waiting bei Patienten mit geringem Risiko eine multiparametrische MRT durchgeführt werden, um ein okkultes Prostatakarzinom oder ein Karzinom des Grades 4 oder höher zu identifizieren. Denn diese Patienten weisen ein erhöhtes Risiko für einen frühzeitigen Tod auf, wenn sie anderweitig gesund sind und nicht behandelt werden“, fügte er hinzu.

In SPCG-4 wurden die Patienten im Kontrollarm nicht überwacht, sondern dem Watchful Waiting zugewiesen. Anders als bei der aktiven Überwachung wird der Krebs hierbei nicht regelmäßig (mittels PSA-Werten) kontrolliert, sondern lediglich das Tumorwachstum langfristig beobachtet.

Wäre aktive Überwachung besser gewesen?

Hätte die aktive Überwachung einen Unterschied für die Ergebnisse der SPCG-4 gemacht? Das sei fraglich, so D‘Amico. Er erinnerte daran, dass in der ProtecT-Studie auch unter aktiver Überwachung ein Trend für eine häufigere Metastasierung erkennbar war: 6,3 Ereignisse pro 1.000 Personenjahre in der Gruppe mit aktiver Überwachung, 2,4 Ereignisse in der Gruppe nach radikaler Prostatektomie und 3,0 Ereignisse unter Bestrahlung – jeweils pro 1.000 Personenjahre.

Das lasse die Sorge aufkommen, dass auch unter aktiver Überwachung okkulte Prostatakarzinome oder ein Grad-4-Karzinom auftreten und so das Risiko für krebsbedingten Tod erhöhen könnten. „Bevor Männer mit einer aktiven Überwachung starten, empfehlen wir deshalb routinemäßig eine multiparametrische MRT.“

 

Kommentar

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