Das Nutzen-Risiko-Profil von Statinen fällt in den allermeisten Fällen klar zugunsten der Cholesterinsenker aus, bekräftigt ein „Scientific Statement“ der American Heart Association (AHA). Die Medikamente zeigten „substantielle Vorteile“ bei der Risikoreduzierung von Myokardinfarkten, ischämischen Schlaganfällen und anderen Komplikationen aufgrund von Atherosklerose, schreiben Prof. Dr. Connie B. Newman von der New York University Medical School und gegenwärtige Präsidentin der American Medical Women´s Association und Kollegen in der Fachzeitschrift Arteriosclerosis, Thrombosis and Vascular Biology [1].
Die Gefahr von Nebenwirkungen beziffert das AHA-Komitee als gering beziehungsweise stuft sie als unbewiesen ein. Das Risiko einer durch Statin-Einnahme ausgelösten Muskelschädigung inklusive Rhabdomyolyse betrage weniger als 0,1%, jenes ernsthafter Hepatotoxizität ungefähr 0,001%. Pro Jahr Behandlung liege das Statin-induzierte Risiko, neu an Diabetes zu erkranken, bei 0,2 %.
Bei Menschen, die bereits eine zerebrovaskuläre Erkrankung haben, erhöhten Statine zudem „möglicherweise“ (so das AHA-Statement) die Wahrscheinlichkeit, einen hämorrhagischen Schlaganfall zu erleiden. Doch, so betonen die Autoren, senke die Statin-Einnahme insgesamt das Apoplex-Risiko – ebenso wie das allgemeine Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse.
Außerdem, so stellt die AHA fest, gebe es aus den bisherigen Daten auch keine überzeugenden Belege für Zusammenhänge der Statin-Einnahme mit Krebserkrankungen, Katarakten, kognitiven Beeinträchtigungen, peripheren Neuropathien, Erektionsstörungen oder Tendinitiden.
Ähnliche Einschätzung in Europa
Die Stellungnahme der AHA wird von einer aktuellen Einschätzung im European Heart Journal weitgehend gestützt. Diese zeigt nur etwas mehr Verständnis für Patienten, die ihre Muskelschmerzen mit den Medikamenten in Zusammenhang bringen.
Prof. Dr. Francois Mach von der Medizinischen Fakultät der Universität Genf, Schweiz, und Kollegen betonen nach einer systematischen Literaturrecherche unter anderem, dass ältere Menschen über 80 Jahren sowie Personen mit niedrigem Körpergewicht, vorbestehenden Muskelerkrankungen sowie akuten Infektionen besonders häufig über muskelassoziierte Symptome klagen. Treten diese auf, sollten Statine in ihrer Dosis reduziert oder abgesetzt werden.
Wie die Autoren des AHA-Statements sieht auch die Autorengruppe der European Guidelines for Cardiovascular Disease keine Evidenz für ein erhöhtes Risiko von Katarakten, Leberfunktionsstörungen und kognitiven Beeinträchtigungen.
Der Neurowissenschaftler und Medscape-Blogger Prof. Dr. Hans-Christoph Diener von der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen bekräftigt in einem Kommentar zu der europäischen Stellungnahme: „Eine Reihe von Studien hat gezeigt, dass es unter Placebo zu einer nicht unerheblichen Rate von Muskelbeschwerden kommt. Das gering erhöhte Risiko eines Diabetes mellitus insbesondere bei Personen mit Prädiabetes sollte ein Anlass sein, Patienten zur Gewichtsreduktion zu motivieren.“
Und weiter: „Für den Bereich der Neurologie ist relevant, dass Statine auch bei einem sehr niedrigen LDL-Spiegel nicht zu einer Verschlechterung kognitiver Funktionen führen, diese allerdings auch nicht verbessern. Für Schlaganfall-Patienten ist die Erkenntnis wichtig, dass es unter Statinen nicht zu einem erhöhten Risiko intrazerebraler Blutungen kommt.“
Epidemiologe streut Zweifel an den Schwellenwerten
Mehr Trennschärfe bei der Verschreibung von Statinen hatte kürzlich Prof. Dr. Milo Puhan vom Institut für Epidemiologie, Biostatistik und Prävention der Universität Zürich, Schweiz, in einem Beitrag in den Annals of Internal Medicine gefordert. Puhan stellt die Praxis in Frage, dass auch gesunde Personen, die keine Herz-Kreislauferkrankung haben, bei Vorliegen gewisser Risikofaktoren Statine erhalten (Primärprävention). „Letztendlich wird dadurch nur bei wenigen Personen ein Herzinfarkt oder ein Schlaganfall vermieden“, wird Puhan in einer Pressemitteilung der Universität Zürich zitiert. „Aber alle Personen können potentiell Nebenwirkungen durch Cholesterinsenker erleiden.“
Der Epidemiologe lässt Kritik anklingen an den Risiko-Scores, nach denen die Notwendigkeit der Einnahme von Statinen errechnet wird. Gemäß solchen Empfehlungen müssten über ein Drittel aller 40- bis 75-Jährigen präventiv Cholesterinsenker einnehmen. Die Nebenwirkungen würden dabei zu wenig berücksichtigt, so Puhan: „Die Schwellenwerte wurden von den Experten ohne systematische Untersuchungen so festgelegt.“ Seine Anfang Dezember erschienenen Einschätzungen fanden europaweit breiten Widerhall in den Publikumsmedien.
In den USA nimmt jeder 4. Über 40-Jährige Statine
Dem AHA-Statement zufolge nimmt tatsächlich mittlerweile einer von 4 Amerikanern über 40 Jahren ein Statin. Damit sei eine Reduzierung des LDL-Cholesterins um bis zu 60% verbunden. In der Praxis setzt etwa jeder 10. Patient das Medikament wegen „subjektiver Beschwerden“ ab, meist Muskelsymptomen, die nicht von einer Erhöhung der Kreatin-Kinase begleitet sind. Das stehe aber im Widerspruch zu den klinischen Studiendaten.
Die AHA appelliert an Ärzte, bei Therapieabbrechern einen „Neustart“ zu versuchen, auch wenn dies „herausfordernd“ sei. Vor allem bei Patienten mit einem hohen Risiko kardiovaskulärer Ereignisse sei die Prävention prioritär. Muskelschmerzen und ähnliche Symptome hingegen können gerade bei Menschen mittleren und höheren Alters viele andere Ursachen haben.
Medscape Nachrichten © 2019 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Praxisproblem Statin-Nebenwirkungen: AHA-Statement relativiert vor allem das Risiko für Muskelbeschwerden - Medscape - 14. Jan 2019.
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