Sport gegen Bluthochdruck „so effektiv wie Medikamente“: Doch ist Bewegung auf Rezept praxistauglich?

Inge Brinkmann

Interessenkonflikte

7. Januar 2019

Es klingt nach einer ressourcenschonenden Lösung: Den Ergebnissen einer jüngst im British Journal of Sports Medicine erschienenen Netzwerk-Metaanalyse zufolge kann regelmäßige Bewegung einen erhöhten Blutdruck genauso gut senken wie etablierte blutdrucksenkende Mittel [1].

„Bei Patienten mit einem systolischen Blutdruck über 140 mmHg als Ausgangswert scheint Sport den Bluthochdruck so effektiv zu senken wie die Einnahme von Medikamenten“, fasst Erstautor Prof. Dr. Huseyin Naci die Ergebnisse in einem die Studie begleitenden Podcast zusammen. Naci forscht an der London School of Economics and Political Science in Großbritannien zu gesundheitspolitischen Themen.

Lautet das Fazit der Studie nun Sport statt Medikamente? „Wir denken nicht, dass Patienten aufgrund der Ergebnisse unserer Studie aufhören sollten, ihre blutdrucksenkenden Mittel einzunehmen“, so Naci. Zumindest nicht ohne ausführliche Beratung mit ihren Ärzten.

Die Ergebnisse der Untersuchung könnten dazu beitragen, den evidenzbasierten Austausch zwischen Ärzten und Patienten zu verbessern, hofft der Londoner Experte. Und sie könnten erreichen, dass ein Bewegungsprogramm zumindest als eine mögliche Option zur Senkung des Blutdrucks wahrgenommen wird.

Kein direkter Vergleich zwischen Bewegung und Medikamenten

In der Vergangenheit haben bereits zahlreiche Forschergruppen die Blutdruck-senkenden Effekte sowohl von verschiedenen Arzneimitteln als auch von strukturierten Sportprogrammen untersucht. Interessanterweise konnte die Autorengruppe um Naci aber nicht eine einzige Studie ausmachen, die die Wirkung von Sport direkt mit einer medikamentösen Behandlung vergleicht.

Ihre Erklärung für diesen Mangel: Pharmafirmen, die in den vergangenen Jahren die Mehrzahl der klinischen Studien finanzierten, fehle die Motivation, Studien zu entwerfen, die ihre Produkte mit nicht-pharmakologischen Alternativen vergleiche.

Naci und sein Team wendeten deshalb die Technik der Netzwerk-Metaanalyse an, eine Vorgehensweise, die den indirekten Vergleich zweier Behandlungsmethoden ermöglicht. Voraussetzung für die Durchführbarkeit ist, dass bei den analysierten Studien jeweils auch unbehandelte Kontrollgruppen einbezogen wurden, über die sich die Effekte der Therapiemethoden (hier die jeweilige Senkung des Blutdrucks) vergleichen lassen.

Bei Bluthochdruck ist Bewegung so effektiv wie die Einnahme von Medikamenten

Insgesamt 391 kontrollierte randomisierte Studien fanden Eingang in die spezielle Metaanalyse von Naci und Kollegen. In 194 dieser Studien wurde die Wirkung von blutdrucksenkenden Medikamenten (29.281 Teilnehmer) überprüft, und in weiteren 197 Studien die Effekte von strukturierten Sportprogrammen (10.461 Teilnehmer).

 
Bei Patienten mit einem systolischen Blutdruck über 140 scheint Sport den Bluthochdruck so effektiv zu senken wie die Einnahme von Medikamenten. Prof. Dr. Huseyin Naci
 

Bei der allgemeinen Betrachtung aller Studienteilnehmer (mit normalem, leicht erhöhtem und hohem Blutdruck) erwiesen sich die blutdrucksenkenden Mittel den Bewegungsprogrammen zunächst als überlegen; die Arzneien (ACE-Hemmer, Angiotensin-Rezeptor-Blocker, Betablocker, Calciumantagonisten und Diuretika) konnten den systolischen Blutdruck im Vergleich zur Kontrolle deutlicher senken (-8,80 mmHg) als körperliche Aktivität (-4,84 mmHg).

Angesichts der Tatsache, dass die überwiegende Zahl der Sport-Studien – anders als die Medikamenten-Studien – mit gesunden Probanden mit optimalem oder nur leicht erhöhtem Blutdruck durchgeführt worden ist, ist dieses Teilergebnis allerdings auch wenig überraschend.

Konzentrierten sich die Forscher jedoch speziell auf die Risikogruppe der Bluthochdruck-Patienten in allen Studien (systolischer Blutdruck ≥140 mmHg), stellten sie fest, dass Bewegungsprogramme (und hier speziell Ausdauertraining, dynamisches Krafttraining bzw. eine Kombination aus beiden) einen ähnlichen Effekt auf den systolischen Blutdruck hatten wie der Einsatz von Medikamenten (-8,96 mmHg; Differenz zu Arznei-Studien 0,18 mmHg).

Einschränkend muss hier festgehalten werden, dass die Bewegungsprogramme in weniger und kleineren Studien überprüft wurden als die Arzneimittel. Nur ein Drittel der Teilnehmer aller analysierten Untersuchungen nahm an einer Sport-Studie teil; in der Gruppe der Bluthochdruck-Patienten war es sogar nur jeder 10. Teilnehmer. Die Fallzahl sei entsprechend häufig zu klein gewesen, um Störfaktoren auszuschließen und verlässliche Ergebnisse zu produzieren, schreiben Naci und Mitarbeiter in ihrer Publikation.

Außerdem muss bei der Interpretation der Ergebnisse berücksichtigt werden, dass in den (unverblindeten) Sport-Studien das Bewegungsprogramm häufig nur als zusätzliche Maßnahme zu den Medikamenten eingesetzt wurde. Zudem galten Blutdruck-Veränderungen in den Untersuchungen regelmäßig nur als sekundärer oder tertiärer Endpunkt.

Wer kommt für Sport infrage – und macht ihn dann auch?

Auch eine Übertragung der Ergebnisse in die Praxis ist nicht unproblematisch. In die meisten Sport-Studien wurden nur Personen ohne kardiovaskuläre bzw. zerebrovaskuläre Krankheiten, Diabetes oder andere chronische Erkrankungen wie Krebs aufgenommen.

„Anders als die Studienpopulation in unserem Review“, schreiben die Wissenschaftler, „hat die Mehrzahl der Personen in der klinischen Praxis, die für eine antihypertensive Therapie in Frage kommt, mehrere chronische Krankheiten und erhält verschiedene Medikamente.“ Wie viele dieser Menschen überhaupt ein ergebnisorientiertes Bewegungsprogramm durchführen könnten – und es auch regelmäßig tun würden –, bleibt offen.

„Es ist eine Sache, Ärzten zu empfehlen, ihren Patienten Bewegung zu verschreiben”, so Naci. „Wir müssen auch die vorhandenen Ressourcen berücksichtigen und sicherstellen, dass sich die Patienten an die verschriebenen Sportprogramme halten und so einen Nutzen daraus ziehen können“, betont er.

 

Kommentar

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