Deutsche Forscher melden Rekord: Paviane leben 6 Monate und mehr mit Schweineherz – bald Tierorgane für Menschen?

Dr. Angela Speth

Interessenkonflikte

7. Januar 2019

Für Patienten mit Herzversagen ist eine Transplantation oft die letzte Chance, doch viele warten vergeblich auf ein Spenderorgan. Nun scheint ein Ausweg in greifbare Nähe gerückt: Schweineherzen könnten als Ersatz dienen. Bei Affen haben Wissenschaftler damit bereits einen Erfolg erzielt, den sie selbst als Meilenstein in der Xenotransplantation werten.

Noch nie hätten Lebewesen mit dem Herz einer fremden Spezies so lange überlebt, berichtet die Arbeitsgruppe um den Anästhesisten Dr. Matthias Längin und die Veterinärmedizinerin Dr. Tanja Mayr von der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München. Nur einer der 5 Paviane starb verfrüht, 2 brachten es auf rund 3 Monate, 2 sogar auf gut ein halbes Jahr. Das bisherige Maximum betrug lediglich 57 Tage.

 
Schweineherzen sehen aus wie die Herzen von Menschen oder Primaten, aber sie besitzen keine Widerstandskraft gegen eine Ischämie, und das war eine große Überraschung. Prof. Dr. Bruno Reichart
 

In einem „Letter“ an das Fachmagazin Nature schildern die Forscher, wie sie ihren Rekord etappenweise über Rückschläge erreichten, die sie mit innovativen Methoden überwanden [1].

Immunologische Maßnahmen bei Spendern und Empfängern waren die Basis

Voraussetzung des verlängerten Überlebens war die Unterdrückung von Immunreaktionen. Hier setzten die Wissenschaftler auf ein etabliertes Modell, eine Doppelstrategie bei Spender und Empfänger.

Die Affen erhielten eine Induktions- und Erhaltungstherapie mit Antikörpern und Mycophenolat-Mofetil, um die Abstoßung zu unterdrücken. Diese Mischung bremste das Immunsystem, ohne Infektionen zu begünstigen, und war gut verträglich. Dies mildere die Befürchtung, die zur Xenotransplantation erforderliche Immunsuppression könne für Menschen zu toxisch sein, schreibt Prof. Dr. Christoph Knosalla vom Deutschen Herzzentrum Berlin in einem Nature-Kommentar [2].

Bei den Schweinen wiederum nahmen die Forscher mehrere Genveränderungen vor, um die Paviane möglichst wenig zu Immunreaktionen zu provozieren. So exprimierten sie das humane Membranprotein CD46, das IgG-Antikörper mit hoher Affinität bindet, und schalteten eine Transferase aus, die an viele Zellproteine und -lipide 2 Galaktose-Moleküle anhängt. Da dieser Zuckerrest bei Primaten einschließlich des Menschen fehlt, signalisiert er bei ihnen immunologische Fremdheit und kann schwere Allergien auslösen, etwa auch beim Fleischverzehr, da alle übrigen Säugetieren über das Epitop verfügen.

 
Das Herz ist ein ausgesprochen schöner Muskel. Kein Techniker könnte eine Maschine konstruieren, die 80, 90 Jahre ihre Arbeit verrichtet, ohne auszusetzen. Prof. Dr. Bruno Reichart
 

Die Bildung kleiner Blutgerinnsel musste unterdrückt werden

Weiterhin wurden die Zellen der Schweine per Gentechnik angeregt, humanes Thrombomodulin zu produzieren. Das war deshalb notwendig, weil bisher alle Paviane an einer Koagulopathie erkrankt waren. Die Ursache: In den Mikrogefäßen des transplantierten Schweineherzens bildeten sich verstärkt Thromben, was einen Verbrauch an Gerinnungsfaktoren mit nachfolgender Blutungsneigung bedeutete. Das humane Thrombomodulin mildert diese Folge von Art-Unverträglichkeit und natürlichen Immunreaktionen, weil es an einer Schaltstelle der Antikoagulation sitzt.

Tatsächlich erreichten die Forscher so, dass die Schweineherzen bei den Affen sogar bis zu zweieinhalb Jahre (945 Tage!) schlugen. Allerdings: Die Organe befanden sich hierbei als bloße Einschiebsel im Bauchraum, weil es zunächst darum gegangen war, die Prämissen zu testen.

Würden die Ergebnisse nun ähnlich positiv ausfallen, wenn die Transplantate die Pumpfunktion komplett übernehmen sollten?

 
Wie Menschen auf eine Xenotransplantation reagieren ist unsicher, Hormonunverträglichkeiten könnten eine Rolle spielen. Prof. Dr. Christoph Knosalla
 

Die ersten orthotopen Transplantationen scheiterten an der Ischämie

Um das zu prüfen, setzten die Forscher 5 Affen wiederum Schweineherzen ein, diesmal anstatt der eigenen. „Die Resultate waren enttäuschend“, so das Resümee. Fast alle Paviane starben nach wenigen Tagen an Herzversagen. Dabei lag keine hyperakute Abstoßung vor, vielmehr reagierten die Organe überempfindlich auf die Kardioplegie zwischen Ex- und Implantation. Während dieser Phase waren sie statisch – in Plastikbeuteln voll eiskalter Lösung und Eiswürfeln – aufbewahrt worden. „Schweineherzen sehen aus wie die Herzen von Menschen oder Primaten, aber sie besitzen keine Widerstandskraft gegen eine Ischämie, und das war eine große Überraschung“, berichtet Ko-Autor Prof. Dr. Bruno Reichart in einem Nature-Interview. Die wieder anlaufende Blutzirkulation könnte das Gewebe zusätzlich geschädigt haben.

Die Perfusion brachte einen Fortschritt, doch folgte ein neues Problem

In der nächsten Versuchsreihe mit 4 Affen wollten die Forscher den Herzschock verhindern: indem sie die Ischämie durch Perfusion vermieden. Ein Apparat pumpte vor der Operation kontinuierlich und währenddessen alle 15 Minuten durch das Myokard eine auf 8 Grad Celsius gewärmte sauerstoffreiche Schutzlösung, die Albumin, Nährstoffe, Hormone und Erythrozyten enthielt. Im Gespräch mit Nature schildert Reichart das Erlebnis, nachdem die Chirurgen die Anastomosen bei Lungenarterien, linkem und rechtem Atrium geschlossen hatten. „Es blutete nicht, denn sie hatten sehr sorgfältig gearbeitet, dann öffneten sie die Klammern, und das Herz färbte sich rosa und begann zu schlagen. Das hat mich in Staunen versetzt.“

Und wie erhofft, erlitt danach keines der Tiere ein Herzversagen. Knosalla schlägt deshalb vor: Die Perfusion einer blutbasierten Flüssigkeit könnte auch bei Operationen am Menschen der herkömmlichen statischen Kältelagerung kurz- wie langfristig überlegen sein. Weiterhin bestehe damit die Option, den Pool von Spenderherzen zu erweitern, weil Organe geschont werden, die den Ausfall des Blutstroms schlecht verkraften, etwa bei älteren Spendern.

 
Eine Xenotransplantation ist tatsächlich sehr schwierig, und deshalb haben viele Experten behauptet, sie sei unmöglich. Prof. Dr. Bruno Reichart
 

Diese Hürde war genommen – doch bald stand die Arbeitsgruppe um Längin vor einer neuen: Das Transplantat war nur vorübergehend leistungsfähig, es wuchs und wuchs, so dass es den kleinen Brustkorb der Paviane überfüllte und alle binnen 40 Tagen starben. Echokardiographisch zeigte sich eine Hypertrophie, labormedizinisch eine thrombotische Mikroangiopathie und gleichzeitig fortschreitendes Leberversagen. Die Autopsie ergab, dass sich das Gewicht des Myokards seit dem Eingriff mehr als verdoppelt hatte, es war übersät von Nekrosen und eingewanderten Immunzellen.

Dreifachstrategie gegen das Herzwachstum bedeutete den Durchbruch

Nun kam es bei der 3. Gruppe mit 5 Pavianen darauf an, der Hypertrophie entgegenzusteuern. Die Ärzte beschritten dazu 3 Wege:

  1. senkten sie den Blutdruck der Affen von 120 auf 80 mmHg, die Werte von Schweinen.

  2. schlichen sie das zur Immunsuppression verabreichte Kortison beschleunigt aus, und zwar innerhalb von 3 Wochen nach der Op. Denn wie etwa von Stammzell-Transplantationen bei Neugeborenen bekannt, treibt das Steroidhormon die Herzvergrößerung voran.

  3. gaben sie den Affen das in der Krebsmedizin verwendete Temsirolimus, um die Zellproliferation einzudämmen. Als Begleiteffekt sollte der mTOR-Hemmer – synergistisch zum humanen Thrombomodulin - die Menge der Blutplättchen-Aggregate verringern.

Diesmal gelang der Durchbruch: Nur einer der Affen starb nach 51 Tagen an einer Thrombose, die übrigen blieben gesund, es kam zu keiner Abstoßung, Herz und Leber funktionierten normal. Reichart im Interview: „Das Herz ist ein ausgesprochen schöner Muskel. Kein Techniker könnte eine Maschine konstruieren, die 80, 90 Jahre ihre Arbeit verrichtet, ohne auszusetzen.“ Trotzdem wurden die Tiere eingeschläfert, 2 nach 90 Tagen, 2 nach 182 und 195 Tagen, denn so war es im Versuchsprotokoll festgelegt und mit der Ethikkommission vereinbart.

Das Überschreiten der Artgrenze bei Affen ebnet den Weg zum Menschen

An diese Pioniertat knüpft sich nun die entscheidende Frage: Wann werden erstmals Menschen ein Schweineherz erhalten? Einem Bericht von Spiegel online zufolge schätzt Reichart, dass die Vorbereitungen, darunter Tests humanisierter Antikörper, etwa noch 3 Jahre in Anspruch nehmen, bis klinische Versuche starten könnten. Weitere Jahre werde es dauern, bis die Xenotransplantation als Standardmethode feststehe und Tiere eigens dafür gezüchtet würden.

In seinem Nature-Beitrag verweist Knosalla darauf, dass die gegenwärtige Studie auf dem besten Weg sei, die im Jahr 2000 veröffentlichten Richtlinien der Internationalen Gesellschaft für Herz- und Lungentransplantation zu erfüllen. Demnach kommen Xenotransplantationen bei Patienten erst dann in Betracht, wenn bei Primatenversuchen mindestens 60% der Tiere – in einer Mindestzahl von 10 – mehr als 3 Monate überleben, und berechtigte Hoffnung auf eine noch längere Frist besteht.

Knosalla vermutet jedoch, dass Überwachungsämter wie die US Food and Drug Administration strengere Bedingungen stellen, bevor sie eine Genehmigung erteilen. In Deutschland wäre das Paul-Ehrlich-Institut zuständig. Im Nature-Gespräch betont er: „Wie Menschen auf eine Xenotransplantation reagieren ist unsicher, Hormonunverträglichkeiten könnten eine Rolle spielen.“ Reichart bestätigt: „Eine Xenotransplantation ist tatsächlich sehr schwierig, und deshalb haben viele Experten behauptet, sie sei unmöglich. Schweine sind 90 Millionen Jahre früher auf der Erde erschienen als Menschen, so dass ein großer Unterschied in der Evolution besteht.“

Viren müssen aus dem Erbgut der Schweine getilgt werden

Weitere Vorbehalte müssten für eine Freigabe solcher Ersatzorgane ausgeräumt werden. Wie Knosalla erläutert, hat das Genom von Schweinen im Lauf der Evolution Viren wie die Porcine Endogenous Retroviruses (PERV) eingegliedert, die auf Menschen übergehen könnten. Zwar werde das Risiko von Komplikationen durch PERV als gering eingestuft, und doch ist nach Einschätzung von Aufsichtsbehörden weltweit Vorsicht geboten.

Ein geeignetes Werkzeug sieht Konsalla in Genscheren. „PERV haben im vergangenen Jahr Schlagzeilen gemacht, als es gelang, sie mit CRISPR herauszuschneiden“, sagte er im Interview.  Und Reichart stellt in Spiegel online zum Thema Mikrobiologie fest: „Das ist das Elegante der Xenotransplantation: Im Gegensatz zur humanen Transplantation ist alles vorher bekannt." Dies mindere das Risiko von Infektionen, alles lasse sich in Ruhe vorbereiten.

Unbeantwortet ist allerdings eine grundsätzliche Frage: Inwieweit sind Xenotransplantationen überhaupt notwendig? Knosalla verweist darauf, dass die Gerätetechnik zur Blutzirkulation enorme Fortschritte gemacht hat. Kunstherzen überbrücken schon jetzt die Wartezeit auf ein Spenderorgan, könnten aber bei Herzinsuffizienz im Endstadium auch eine Dauereinrichtung sein. Das erhöhe die ethischen Bedenken bei der Nutzung von Schweineherzen. Für jeden Patienten müsste dann neu entschieden werden, ob ein Transplantat vorteilhaft sei.

Der Berliner Herzchirurg verdeutlicht die Dringlichkeit: „Den Prognosen zufolge wird die Zahl der Erwachsenen mit Herzversagen in den USA bis zum Jahr 2030 die 8-Millionen-Marke überschreiten, und viele von ihnen werden sterben, während sie auf ein Spenderorgan warten.“ Zum Vergleich: Derzeit werden weltweit rund 5000 Transplantationen pro Jahr vorgenommen.

 
PERV haben im vergangenen Jahr Schlagzeilen gemacht, als es gelang, sie mit CRISPR herauszuschneiden. Prof. Dr. Christoph Knosalla
 

Info-Kasten: Historie

Die erste Herztransplantation 1967 in Kapstadt erregte weltweit Aufsehen, doch starb der Patient nach 18 Tagen an einer Pneumonie. Auch die erste Herztransplantation in Deutschlang 1969 endete mit dem raschen Tod des Empfängers. Der nächste Versuch folgte in Deutschlang erst wieder 1981 – er gelang Prof. Dr. Bruno Reichart, auch dank des inzwischen entwickelten Ciclosporins. Der Chirurg unternahm 1983 auch die erste Herz-Lungen Transplantation in Deutschland. Er wurde Präsident der Internationalen Gesellschaft für Herz- und Lungentransplantation sowie Vorstand des Sonderforschungsbereichs für Xenotransplantation der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Die Vision, Menschenleben mit tierischen Organen zu retten, geht weit zurück. Heftige Debatten entzündeten sich, als 1984 ein US-Arzt einem neugeborenen Mädchen mit schwerem Herzfehler ein Pavianherz einsetzte – es starb nach 3 Wochen an immunbedingter Zerstörung des Organs. In Studien wurden Diabetikern Schweine-Pankreas-Inselzellen transplantiert. Auch Nieren von Schweinen in Rhesusaffen verpflanzt, funktionierten bereits 435 Tage.

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....