Die Krebstherapie mit Immun-Checkpoint-Inhibitoren kann innerhalb kurzer Zeit schwere kardiovaskuläre Entzündungen auslösen. Im Vergleich zu anderen Medikamenten ist die Gefahr für Erkrankungen wie Myokarditis um ein Vielfaches erhöht, hat die erste große Analyse hierzu ergeben [1]. Die Forscher raten Ärzten daher, die Herzfunktion der Patienten zu überwachen.
„Dass Immun-Checkpoint-Inhibitoren immunologische Nebenwirkungen haben, auch am Herzen, ist bekannt, neu sind die genauen Raten. Bezogen auf die Zahl der damit behandelten Patienten fallen sie erfreulicherweise nicht exorbitant hoch aus.“ Diesen Standpunkt vertritt Prof. Dr. Alwin Krämer, Onkologe am Deutschen Krebsforschungszentrum und an der Universität Heidelberg, im Gespräch mit Medscape.
Tumoren bremsen das Immunsystem, Immun-Checkpoint-Blocker lösen diese Bremse
Immun-Checkpoint-Inhibitoren sind eine innovative Waffe gegen Krebs, für deren Erforschung bekanntlich dieses Jahr der Nobelpreis für Medizin verliehen worden ist (wie Medscape berichtete). Die Antikörper blockieren Checkpoint-Proteine wie CTLA-4 und PD-1. Diese Proteine bremsen das Immunsystem über Signalwege und helfen so den Karzinomen, der Vernichtung zu entkommen. Im Endeffekt aktivieren Immun-Checkpoint-Blocker die Abwehrzellen also wieder – nicht selten um den Preis allerdings, dass diese außer den Tumoren auch körpereigene Strukturen angreifen.
Wie stark die Autoimmunprozesse Herz und Gefäße attackieren, haben Wissenschaftler um Dr. Joe-Elie Salem von der Sorbonne in Paris, Frankreich, und dem Vanderbilt University Medical Center Nashville, USA, ermittelt, indem sie die globale Pharmakovigilanz-Datenbank VigiBase der WHO nutzten. Die darin gesammelten Fallberichte durchforsteten sie nach kardiovaskulären Ereignissen, die in den Jahren von 1967 bis 2018 bei der Therapie mit Immun-Checkpoint-Inhibitoren aufgetreten waren.
Daten dazu seien bisher auf Fallberichte und kleine Serien beschränkt gewesen, erläutern die Autoren ihre Motivation. Als relevante immunologische Komplikationen sind bereits Colitis, Hepatitis, Pneumonitis, Hypophysitis und Thyroiditis nachgewiesen.
Myokarditis kam mit Immun-Checkpoint-Inhibitoren mehr als 11-mal häufiger vor
Im Vergleich zum Gesamtkollektiv, das andere Medikamente erhalten hatte, war die Wahrscheinlichkeit eines Reports zu Myokarditis mit Checkpoint-Inhibitoren mehr als 11-mal höher (Odds Ratio OR 11,21). Perikard-Erkrankungen – dazu zählten die Wissenschaftler Perikarditis, Perikard-Effusion und -Tamponade – wurden fast 4-mal häufiger registriert (OR 3,80).
Für Vaskulitis errechneten die Autoren zwar „nur“ einen OR-Wert von 1,56, aber für die Störungen, die oft damit einhergehen, fanden sie wesentlich ungünstigere Wahrscheinlichkeiten: für die Polymyalgia rheumatica eine Erhöhung um mehr als das 5-Fache (OR 5,13), für die temporale Arteriitis sogar um das 13-Fache (OR 12,99), zudem verschlechterte sich dadurch bei 5 der 18 daran erkrankten Patienten das Sehvermögen. Ursache ist vermutlich eine Ablagerung von Immunkomplexen in der Arteria temporalis, während eine mildere systemische Reaktion zur Polymyalgia rheumatica führen könnte.
„Auf den ersten Blick erscheint die Toxizität ausgeprägt, weil die Odds Ratios hoch sind“, sagte Krämer. „Schaut man sich jedoch die Prozentzahlen an, wird der problematische Eindruck abgeschwächt. So treten Myokarditis, Perikard-Erkrankungen und Vaskulitis jeweils nur bei weniger als 1 Prozent der rund 31.300 mit Immun-Checkpoint-Inhibitoren behandelten Patienten auf.“
Sind bei temporaler Arteriitis die Augengefäße beteiligt, droht Erblindung
Dabei dürfe man selbstverständlich nicht aus den Augen verlieren, dass die kardiovaskulären Ereignisse zum größten Teil, nämlich zu über 80%, gravierend verlaufen. Besonders gelte das für die temporale Arteriitis mit dem – allerdings seltenen – Risiko der Erblindung, ebenso für die Myokarditis, weil sie bei der Hälfte der Patienten tödlich endet. Bei den Perikard-Erkrankungen betrug dieser Anteil ein Fünftel, 6% überlebten die Vaskulitis nicht.
Als besonders kritisch erwiesen sich Wirkstoff-Kombinationen: Zum Beispiel verursachten sie 66% der Todesfälle durch Myokarditis (versus 44% durch Monotherapie mit Immun-Checkpoint-Blockern).
Die Autoimmunreaktionen traten bald nach Einnahme der ersten Dosis auf – und zwar Myokarditis und Perikard-Erkrankungen im Median nach 30 Tagen, die Vaskulitis manifestierte sich nach 55 Tagen.
Thorax-Bestrahlung bei Lungenkrebs verstärkt die Wirkung der Checkpoint-Blocker
Insgesamt variierte die Anfälligkeit für einen bestimmten unerwünschten Effekt je nach Krebsart: So hatte mehr als die Hälfte (56%) der Patienten mit Perikard-Komplikationen ein Lungenkarzinom als Grunderkrankung. Diesen Zusammenhang erklären Salem und seine Kollegen damit, dass die Immun-Checkpoint-Blocker mit der gleichzeitigen Radiotherapie, die ja ebenfalls eine Immunantwort auslöst, synergistisch wirken.
Die anderen kardiovaskulären Entzündungen dagegen betrafen vor allem Melanom-Patienten: Um sie ging es in 41% der Myokarditis- und 60% der Vaskulitis-Berichte. Zudem fanden die Forscher Korrelationen zwischen unerwünschter Wirkung und einzelnen Substanzen, etwa temporaler Arteriitis und Ipilimumab.
Bei all diesen Effekten waren Männer mit 60% überrepräsentiert, was nach Aussage der Wissenschaftler daran liegt, dass Frauen im klinischen Umfeld seltener mit Checkpoint-Inhibitoren behandelt werden.
Früherkennung mit EKG oder Bestimmung kardialer Biomarker
Wegen der schlechten Prognose der Zwischenfälle weist Krämer in Übereinstimmung mit den US-Autoren auf die Früherkennung hin. In der Lancet-Publikation heißt es: „Es ist wichtig, Patienten mit hohem Risiko für eine Immun-Checkpoint-Inhibitoren-assoziierte Myokarditis zu identifizieren. Daher sollte ein kardiovaskuläres Screening zu Beginn und noch einmal in geringem Abstand erwogen werden, zum Beispiel mit EKG oder Bestimmung kardialer Biomarker.“
Da die Diagnose einer Myokarditis oft Schwierigkeiten bereite, könne es hilfreich sein, Begleiterscheinungen wie Myositis, Herzinsuffizienz und Arrhythmien aufzudecken, die die Forscher gleichfalls gehäuft beobachtet hätten.
Die Autoren verweisen darauf, dass Immun-Checkpoint-Blocker die Überlebenschancen bei vielen Krebsarten verbessert haben. Dazu gehören die PD-1-Inhibitoren Nivolumab and Pembrolizumab, die PD-L1-Inhibitoren Atezolizumab, Avelumab und Durvalumab sowie die CTLA-4-Inhibitoren Ipilimumab und Tremelimumab. Als besonders wirksam erwiesen sich Kombinationen dieser monoklonalen Antikörper, etwa Ipilimumab plus Nivolumab bei Melanom, Nierenzell- und Lungenkarzinom.
Frauen erhalten seltener Checkpoint-Blocker – trotz eventuell geringerer Kardiotoxizität
„Die erst seit einem Jahrzehnt verfügbaren Immun-Checkpoint-Blocker haben die Krebstherapie revolutioniert“, betonen auch Allergologen um Prof. Dr. Gilda Varricchi von der Universität Neapel, Italien, in ihrem begleitenden Kommentar [2]. Vor diesem Hintergrund richten sie den Fokus auf den Umstand, dass offensichtlich bevorzugt Männer mit Checkpoint-Blockern behandelt werden.
Dabei könnte sich die Behandlung insofern für Frauen besser eignen, weil bei ihnen Herz-Kreislauf-Störungen oder Risikofaktoren – zumindest vor der Menopause – seltener auftreten. Damit dürften sie auch weniger anfällig sein für die Kardiotoxizität der Checkpoint-Inhibitoren, denn einer Studie zufolge erkranken Patienten mit kardiovaskulären Risiken vermehrt an Myokarditis, vor allem wenn sie zusätzlich zu einer Kombitherapie mit Checkpoint-Inhibitoren Antidiabetika einnehmen.
Vorsicht mit Immun-Checkpoint-Blockern bei Frauen könnte allenfalls deswegen gerechtfertigt sein, weil die Prävalenz der meisten Autoimmun-Erkrankungen bei ihnen höher liegt als bei Männern, schreibt das Team um Varricchi. Folglich bestehe die Gefahr, dass sie auch für die Autoimmun-Effekte der Checkpoint-Blocker empfindlicher sind.
Diese Befürchtung werde jedoch durch eine Studie entkräftet, in der Melanom-Patienten trotz vorbestehender Autoimmun-Erkrankung Ipilimumab oder anti-PD-1 erhalten hatten. Obwohl die Autoimmun-Reaktionen bei 20 bis 30% der Teilnehmer wieder aufflammten, ziehen die Studienautoren das Fazit, dass eine Verordnung dieser Medikamente bei dieser Patientengruppe machbar ist.
Deshalb fordern Varricchi und ihre Mitarbeiter: „Künftige Studien sollten den Einschluss von Frauen garantieren, weil sich nur so definitiv feststellen lässt, ob bei Kardiotoxizität und Effektivität tatsächlich eine Geschlechterdifferenz besteht.“
Medscape Nachrichten © 2019 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Es gilt, wachsam zu sein! Krebstherapie macht Immunzellen gegen Tumor scharf, doch aktivierte Abwehr kann das Herz gefährden - Medscape - 3. Jan 2019.
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